| # taz.de -- Lesebühnenautor Ahne: „Weil wir nämlich Punkrocker sind“ | |
| > Spinnen die? Seit 23 Jahren haben die Vorleser der Reformbühne Heim & | |
| > Welt keine ihrer Veranstaltungen ausfallen lassen. Auch Weihnachten | |
| > nicht. | |
| Bild: Der bedeutendste Philosoph aller Zeiten: Ahne | |
| Immer wieder werden wir gefragt, warum wir uns das eigentlich antun. „Könnt | |
| ihr nicht einmal eure beschissene Reformbühne ausfallen lassen? Wenigstens | |
| ein einziges gottverdammtes Mal? Wenigstens zu Weihnachten?“ | |
| Das werden wir quasi ununterbrochen gefragt, von unseren | |
| LebensabschnittspartnerInnen, von nahen und weit entfernten VerwandtInnen, | |
| von BürgerInnen auf der Straße und auch von wildfremden BürgerInnen, wo ich | |
| mich immer frage: Häh?! Woher wissen die überhaupt, wer ich bin? Und dann | |
| denke ich gleich wieder, ich sei berühmt, dabei hatten die BürgerInnen auf | |
| der Straße mich lediglich mit meinem Lesebühnenkollegen Heiko Werning | |
| verwechselt. | |
| Ja, wir sehen alle gleich aus bei der Reformbühne und auch auf den | |
| Lesebühnen insgesamt. Wir sehen gleich aus, hören uns gleich an, denken das | |
| Gleiche und haben dieselben Hobbys, nämlich Surfen, Freeclimben, | |
| Fallschirmspringen und dass uns Feiertage am Popo vorbeigehen. Das heißt, | |
| nicht alle Feiertage gehen uns am Popo vorbei, der 2. Mai, da sind wir | |
| natürlich auf der Straße, Jahr für Jahr, zum Internationalen Kampf- und | |
| Feiertag der ArbeitslosInnen, aber ehrlich gesagt, wenn der Sonntag auf | |
| einen …, gut, das ist bisher noch nie vorgekommen, weil die Würfel stets | |
| hold uns waren. | |
| Aber nehmen wir ruhig einmal an, der Fall träte ein und die Wochentage | |
| ordneten sich tatsächlich so ungünstig im Kalender an, dass der 2. Mai auf | |
| einen Sonntag fiele, wir täten die Demonstration gegen den Zwang zur | |
| Lohnarbeit sicherlich auf 13 Uhr vorziehen, nur um pflichtbewusst, um 20 | |
| Uhr auf der Bühne stehen zu können. Selbst am 2. Mai! | |
| An Weihnachten, und jetzt freue ich mich bereits auf die erbosten | |
| LeserbriefschreiberInnen, welche brandmarken, dass es doch „zu Weihnachten“ | |
| heiße, so wie dasselbe und das Gleiche eben nicht dasselbe oder das Gleiche | |
| is, aber wurscht. Also an Weihnachten macht es uns überhaupt nichts aus, | |
| weil wir nämlich Punkrocker sind, und nicht nur Punkrocker, wir sind auch | |
| Anarchos, Anchovis, Ausländer, FreundInnen des Binnen-I, tripolar und | |
| Kardiologen, und wir weinen immer an Weihnachten. Noch dazu, und jetzt | |
| kommt’s, wir haben noch nie, wirklich noch nie, eine Reformbühne ausfallen | |
| lassen, in 23 Jahren nicht. Sollen wir etwa jetzt damit anfangen? In | |
| unserem Alter? | |
| ## Weihnachten ist Faschismus | |
| Es ist also sicherlich und vor allem der gewohnheitsmäßige Trott, weswegen | |
| wir Woche um Woche in die Jägerklause gerollt werden. Wir haben nichts | |
| anderes zu tun. Wir können nichts anderes. Gib mir eine | |
| Bedienungsanleitung, und ich stopf sie mir in den Mund, schluck sie runter | |
| und grins auch noch zufrieden. Außerdem, Weihnachten ist, seien wir mal | |
| ehrlich, Faschismus. Faschismus, mit einer klebrig süßen Maske aus | |
| Besinnlichkeit und Einkehr zwar, aber eben Faschismus, und Faschismus darf | |
| man nicht verharmlosen. | |
| Um daran zu erinnern, werden wir am Sonntag, dem 24. 12. Buletten und | |
| Bockwürste anbieten, wenn jemand daran denkt, welche mitzubringen. Neben | |
| dem fantastischen Jakob Hein (Arzt), dem souveränen Falko Hennig | |
| (Fahrradfahrer) und dem bedeutendsten Philosophen aller Zeiten (ick selbst) | |
| werden wir übrigens auch Gäste haben, Gäste, die ihr gesamtes Leid und ihr | |
| gesamtes Freud mit uns teilen, im Guten wie im Schlechten. | |
| Uli Hannemann wird kommen, der mopsfidele Luftikus aus dem zartbesaiteten | |
| Neukölln, Meikel Neid, der zartbesaitete Frechdachs aus dem mopsfidelen | |
| Weißensee, und dann haben wir aus dem fernen Japan Masataka Koduka (Japan), | |
| der aus Japan stammt und auf seinem Kontrabass original japanische | |
| Weihnachts-Country-Schlager präsentiert. Dies darf er, weil er nämlich cool | |
| is. | |
| Wir werden Geschenke verteilen. Keine Weihnachtsgeschenke, eher Geschenke | |
| gegen den Kapitalismus, damit niemand mehr was kaufen muss und, nach Karl | |
| Marx, das ganze System vor die Hunde geht. Danach wissen wir noch nicht, | |
| was wir machen, also wenn das System kaputt is, wahrscheinlich einfach so | |
| weiter, zumindest sonntags. Denn am 31. 12. sind ja bereits wieder sieben | |
| Tage um, dann geht’s zwar schon um 16 Uhr los in der Jägerklause, ansonsten | |
| aber haargenau dieselbe Soße, bloß in anders. | |
| 23 Dec 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Ahne | |
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| Jochen Schmidt | |
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