# taz.de -- Drama „Mudbound“ auf Netflix: Im Schlammbad | |
> Das Südstaatendrama „Mudbound“ legt nahe, dass der Streaminganbieter | |
> Netflix dem Kino auch noch die Oscars streitig machen will. | |
Bild: Mary J. Blige in „Mudbound“ | |
Der Streamingdienst Netflix hat Gewissheiten erschüttert, die | |
jahrzehntelang galten. Darunter die, dass die großen Filme zuerst im Kino | |
laufen und dann, Jahre später, wenn wir längst wissen, wie viele Oscars sie | |
gewonnen haben, im Fernsehen. | |
Das galt bisher. | |
Eine Frau erzählt aus dem Off von der Farm, die sie einmal hatte. Klingt | |
nach „Out of Africa“: Im reisekatalogschönen Kenia verliebt sich da Meryl | |
Streep wunderschön unglücklich in den feschen, freiheitsliebenden Robert | |
Redford in seinen besten Jahren. | |
Die Stimme aus dem Off sagt aber dies: „When I think of the farm, I think | |
of mud. Encrusting knees and hair. Marching in boot-shaped patches across | |
the floor. I dreamed in brown.“ Aus so viel braunem Schlamm kann kein | |
Feelgood-Melodram mehr werden. Es sind die 1940er Jahre in Mississippi. Es | |
scheint hier ständig – nein, nicht zu regnen: zu schütten. Aus Erde wird | |
Schlamm, daher der Filmtitel: „Mudbound“. Und die ironische Pointe, dass | |
der Initiator des Ku-Klux-Klan-Lynchmobs am Anfang und Ende des Films – das | |
Motiv bildet seinen erzählerischen Rahmen – in aller Eile in einem | |
Sklavengrab beerdigt werden muss. Ein eingeborener Südstaatler erkennt das | |
sofort am Einschussloch in der Stirn des gefundenen Schädels. | |
James Agee und Walker Evans haben in ihrem epochalen Werk „Let Us Now | |
Praise Famous Men“ die bittere Armut im amerikanischen Süden, in Alabama, | |
während der Great Depression dokumentiert. So überzeugend, so erschütternd, | |
dass ihr Auftraggeber, das Magazin Fortune, die Reportage dann nicht | |
veröffentlichen wollte. Evans’ Fotos zeigen armselige Holzhütten, Männer in | |
verdreckten Latzhosen, Frauen in verdreckten Baumwollkleidern, | |
ausgemergelte Körper, und ausdruckslose Gesichter, selbst bei den Kindern. | |
## Sind die Oscars schon so weit? | |
Den Rassismus der US-amerikanischen Zivilgesellschaft muss Ronsel Jackson | |
(Jason Mitchell) nach seiner Rückkehr aus dem Krieg erst wieder lernen – | |
wenn er im Bus hinten sitzen und ein Ladengeschäft zur Hintertür verlassen | |
muss. Er ist einer von sechs Off-Erzählern. Eine andere Stimme gehört Laura | |
McAllan (Carey Mulligan), die als junge Frau einen nach ihren bescheidenen | |
Vorstellungen weltläufigen Mann (Jason Clarke) heiratet – und sich bald auf | |
der von ihr beschriebenen Farm wiederfindet. | |
Netflix will das neue Fernsehen sein und das neue Kino gleich dazu. Eine | |
klitzekleine Kinoauswertung hat man „Mudbound“ trotzdem gewährt. Weil der | |
Film nur so Oscar-tauglich ist. Weil das Internet für die weißen, alten | |
Männer von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences noch Neuland | |
ist. Man kann ja mal ein bisschen spekulieren: #OscarsSoWhite und die | |
Folgen, die Oscars für „Moonlight“ in diesem Jahr. | |
„Mudbound“ hat weiße und schwarze Rollen. Die Unterscheidung in Haupt- und | |
Nebenrollen dürfte schwierig werden. Die von der Sängerin Mary J. Blige und | |
von Carey Mulligan gespielten Frauen sind den Männern in jeder Hinsicht | |
voraus. Regisseurin Dee Rees ist eine sich zu ihrer Homosexualität | |
bekennende Afroamerikanerin, die nicht zuletzt ein packendes | |
Südstaatendrama gedreht hat – eines, das von jedem „Lost Cause“-Kitsch k… | |
weiter entfernt sein könnte. | |
28 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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