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# taz.de -- Wissenschaftskommunikation: Lebenslügen der Wissensvermittler
> Forschungsinstitute bauen ihre Abteilungen für Kommunikation aus. Oft
> wenden sie sich über Social Media direkt an die Öffentlichkeit.
Bild: Wissenschaftler gehen auf die Straße: March for Science 2017
Berlin taz | Ein Relikt aus den blühenden Zeiten des
Wissenschaftsjournalismus ist die [1][Konferenz „Wissenswerte“]. In dieser
Woche fand sie zum 14. Mal statt, sonst in Bremen, diesmal in der
hessischen Wissenschaftsmetropole Darmstadt. Fake News und die
Glaubwürdigkeit des Journalismus standen auf dem dreitägigen Programm der
450 Teilnehmer. Die Profession der Wissenschaftsvermittler durchläuft einen
tiefgreifenden Wandel.
„An Nachwuchs fehlt es jedenfalls nicht, und er ist gut ausgebildet“, hat
Christoph Koch, Ressortleiter Wissen beim Stern, auf der Darmstädter Tagung
festgestellt. „Es herrscht hier und da schon auch Aufbruchstimmung, wenn
man die neuen Start-ups im Wissenschaftsjournalismus sieht und wie sie hier
geworben haben, etwa [2][RiffReporter]“, bemerkt der Darmstädter
Journalismusprofessor Torsten Schäfer. RiffReporter ist eine
Journalistengenossenschaft, die an einem internetgestützten Verkaufsmodell
für Wissenschafts-Artikel arbeitet.
Das Familientreffen der Wissenschaftsjournalisten, das vor allem der
internen Vernetzung und der Auftragsakquise für freie Autoren dient, kann
allerdings nicht über den prekären Zustand des Medienressorts
hinwegtäuschen. In den klassischen Zeitungen und Sendern ist das
Wissenschaftsthema quantitativ auf dem Rückzug. Nur wenige Blätter leisten
sich noch eigene Wissenschaftsseiten, während gleichzeitig die sozialen
Medien immer weiter expandieren.
Gravierender ist indes der politische Bedeutungsverlust des
Wissenschaftsjournalismus, der sich aus der kritischen Begleitung des
Wissenschaftssystems nahezu vollständig zurückgezogen hat. Wenn Parteien
ihre Konvente halten, Konzerne ihre Bilanzen vorstellen, dann sind die
Medien dabei. Für die Jahrestreffen und Wahlen der Helmholtz- oder
Leibniz-Gemeinschaft als Beispiele der letzten Monate interessiert sich
(fast) kein Journalist mehr.
Der heutige Wissenschaftsjournalismus – Lebenslüge eins – ist keiner mehr,
weil er den Kernbereich des Journalismus als Chronist und
gesellschaftlicher Bewerter des Wissenschaftssystems aufgegeben hat.
Stattdessen werden Berichte über Laborergebnisse und Entdeckungen
geliefert, folgt überwiegend den Individualinteressen einzelner Reporter.
Dieser Trend der Entpolitisierung der Berichterstattung marginalisiert die
immer weniger werdenden Wissenschaftsjournalisten in den Redaktionen. Auch
Innovationen aus dem Fach, wie das aus Stiftungsgeldern aufgebaute
[3][„Science Media Center“], haben daran nichts geändert.
## Eine Pressemitteilung reicht
Das Desinteresse der Wissenschaftsjournalisten am Wissenschaftssystem hat
auf der anderen Seite, der Wissenschaft, eine fatale Wirkungsspirale in
Gang gesetzt. Immer seltener laden die Wissenschaftsorganisationen zu
förmlichen Pressekonferenzen ein. Die Helmholtz-Gemeinschaft legte im
September ihren Jahresbericht vor – keine PK; die deutschen
Hochschulrektoren versammelten sich im November in Potsdam – keine PK. Der
Stifterverband hat mit der Unternehmensberatung McKinsey einen neuen
Hochschul-Report fertiggestellt. Früher gab es dazu ein Gespräch mit den
Autoren der Studie, in dem auch kritische Rückfragen ihren Platz hatten,
jetzt reicht eine Pressemitteilung.
„Aus vielen Gesprächen mit Journalisten und den Erfahrungen der letzten
Jahre, haben wir uns gegen ein Pressegespräch entschieden“, erklärt eine
Sprecherin des Sifterverbandes. „Durch eine große Presseresonanz konnten
wir aber eine breite Öffentlichkeit erreichen. Das bestätigt uns, dass es
in diesem Jahr der richtige Weg war.“ Die Grundhaltung, gegenüber der
Öffentlichkeit rechenschaftspflichtig und -bereit zu sein, geht verloren.
Im Vordergrund steht immer mehr die mediale Effizienz, die Quote.
Auf Seiten der Wissenschaftskommunikatoren – den einstigen Pressestellen
der Hochschulen und Forschungseinrichtungen – schreitet die Expansion
voran. Der Bielefelder Soziologieprofessor und Mitautor der
Akademien-Studie [4][Wissenschaft, Öffentlichkeit, Medien (WÖM)] Peter
Weingart erklärte in dieser Woche bei der Technikakademie acatech in
München, dass sich die Zahl der Wissenschaftskommunikatoren in Deutschland
in den letzten zehn Jahren verzehnfacht habe.
Eine Untersuchung des Bundesverbandes Hochschulkommunikaktion ergab im
Herbst, dass die Kommunikationsstellen der deutschen Hochschulen im Schnitt
mit 6,1 Personen besetzt sind. Die HRK hat 268 Mitgliedshochschulen. Hinzu
kommen die nicht erfassten außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
In Zeiten des Medienwandels gibt es für die Kommunikatoren viel zu tun, um
die Bevölkerung auf neuen Kanälen zu erreichen. Längst geht es nicht mehr
nur um Wissenschaftsinformation. Immer bedeutender wird, dem schleichenden
Akzeptanzverlust der Wissenschaft entgegen zu wirken, was auch in der
Aktion March for Science im April zum Ausdruck kam. Hier haben die
Öffentlichkeitsarbeiter der Wissenschaft ähnlich wie die Journalisten an
einem eigenen Rollenwechsel zu arbeiten.
## Lebenslüge zwei
In einem System, das an sich der Produktion von Menschheitswissen,
Gemeinwohl und Objektivität verpflichtet ist, wirken sie – Lebenslüge zwei
– als Vertreter einer wissenschaftlichen Unternehmenskommunikation, die in
erster Linie die Vorzüge der eigenen Institution zu verbreiten hat.
Wissenschaft thematisiert Vor- und Nachteile, Wissenschaftskommunikation
hingegen nur die Vorteile. Eine Parteilichkeit in der Überparteilichkeit,
diese Bastion müsste geschliffen werden. Statt Verkündigungsstellen zur
Propagierung wissenschaftlicher Exzellenz braucht eine
Wissenschaftsgesellschaft Kontakt- und Informationsorte für die Begegnung
von Wissenschaft und Gesellschaft, und zwar auch im kritischen Diskurs.
Weil das Geld für die Wissenschaftskommunikation derzeit in die
Wissenschaftseinrichtungen fließt und nichts ins Mediensystem, sollte mit
Veränderungen an dieser Stelle begonnen werden. Durchaus eine kommunikative
Kulturrevolution, die aber noch auf keiner Fahne steht.
## Verpasste Chance
Eine bislang verpasste Chance in diesem Jahr waren die WÖM-Empfehlungen der
Akademien Social Media und digitale Wissenschaftskommunikation. Mit Bezug
auf die Bedeutung der neuen sozialen Medien für die Wissenschaft wurden im
Sommer eine Reihe von Vorschlägen entwickelt, die durchaus eine vertiefte
Diskussion verdient hätten. Darunter neue Fördermodelle für den
Wissenschaftsjournalismus oder eine gemeinsame Internetplattform, ein
deutsches Wissenschafts-Facebook.
Doch nirgendwo wurden nach der verunglückten Präsentationsveranstaltung im
Juni die Ideen der Akademiegruppe aufgegriffen und weiter entwickelt. Im
letzten Monat meldeten sich die Pressesprecher der Helmholtz-Institute mit
einem dreiseitigen Verriss zu Wort: „befremdlich“, „nicht nachvollziehbar…
„absurd“ – so der Tenor. WÖM habe zu wenig die positiven Möglichkeiten …
sozialen Medien ausgelotet.
Wie weiter mit dem Wissenschaftsjournalismus? „Anfangs dachte man noch,
dass Social Media den Journalismus komplett ablösen könne, aber wir haben
gesehen, dass das auch keine Lösung ist“, wird Holger Wormer vom Lehrstuhl
Wissenschaftsjournalismus an der Technischen Universität Dortmund als
Mitorganisator der Wissenswerte vom Darmstädter Echo zitiert, einer
Zeitung. Gerade in der Epoche der Digitalisierung sei die Kritik sowie die
Wächterfunktion durch Journalisten wichtiger denn je, so Wormer, der auch
Mitautor der WÖM-Empfehlungen ist.
10 Dec 2017
## LINKS
[1] http://www.wissenswerte-bremen.de/Kongress
[2] https://www.riffreporter.de/
[3] https://www.sciencemediacenter.de/
[4] http://www.acatech.de/de/projekte/laufende-projekte/wissenschaft-oeffentlic…
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
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