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# taz.de -- Vernachlässigte Tropenkrankheiten: 30 Cent können Leben retten
> Im Kampf gegen Aids sind andere verheerende Krankheiten vergessen worden.
> Das ist bitter, zumal ihre Prävention oft kostengünstig ist.
Bild: Ein Kind erhält in Kinshasa eine Impfung gegen Gelbfieber
Der HI-Virus scheint seit Jahren der Lieblingsfeind vieler
Entwicklungshelfer zu sein. Wer einen Menschen am Endstadium Aids hat
sterben sehen, weiß auch, warum: Krebsgeschwüre im Mund und auf der Haut,
Entzündungen des Gehirns, Pilze in der Lunge, Abmagern bis auf die Knochen.
Und all das lässt sich mit einer täglichen Tabletteneinnahme hinauszögern
und so gut wie immer verhindern. Würmer, die sich im Darm von Kindern
fortpflanzen oder die Lymphgefäße der Beine verstopfen, scheinen dagegen
harmlos.
Nur konsequent also, dass die Entwicklungshilfe viel weniger Geld ausgibt,
um Würmer zu behandeln, als für die Bekämpfung von HIV und Aids. Jein?
Tatsächlich scheinen Entwurmungsprogramme lange Zeit im Kampf gegen den
Killer Aids vergessen worden zu sein. Dabei sind sie extrem günstig und
helfen Menschen, sich aus der eigenen Armut zu befreien.
Ein Blick auf die Zahlen hilft, die Zusammenhänge zu verstehen. Weltweit
sind 38 Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert. Fast zwei Millionen
Menschen stecken sich jedes Jahr neu an, die meisten davon in
Subsahara-Afrika. Und fast eine Million Menschen stirbt an den Folgen. Nur
Tuberkulose ist unter den Infektionskrankheiten noch tödlicher.
Ein Vergleich mit der Menge an Wurminfizierten rückt die Dinge ins
Verhältnis: 40 Mal so viele, also mehr als 1,5 Milliarden Menschen, leiden
an einer Infektion mit Würmern, die sich im Darm oder in anderen Organen
des Körpers ansiedeln und dabei oft erheblichen Schaden anrichten. Viele
weitere Millionen leiden an anderen Parasiten, wie Trypanosomen, die in
Lateinamerika Chagas verursachen und in Afrika die Schlafkrankheit, beide
potenziell tödlich.
## Verheerend, aber nicht unbedingt tödlich
Die meisten dieser sogenannten Vernachlässigten Tropenkrankheiten töten
aber, anders als HIV, nicht. Sie rauben den Infizierten stattdessen
Lebenschancen. Hakenwürmer zum Beispiel: Die Larven der Würmer warten im
Boden, bohren sich in die Haut von Menschen und wandern über die Blutgefäße
in die Lunge. Dort reizen sie die Bronchien, werden hochgehustet und dann
in den Darm heruntergeschluckt, wo sie es sich gemütlich machen und Blut
saugen. Die Blutarmut, die entsteht, verstärkt in vielen Regionen, in denen
es an Essen fehlt, die Mangelernährung. Gerade für Kinder ist das
verheerend.
Andere Infektionen, wie die lymphatische Filariasis, führen zu dauerhaften
Behinderungen. Die Larven der Fadenwürmer, die diese Krankheit verursachen,
werden über Mücken übertragen. Die ausgewachsenen Würmer verstopfen die
Lymphgefäße – die Lymphe staut sich auf und die Beine schwellen an. Sie
werden so dick wie Elefantenfüße, weshalb man die Krankheit auch
Elefantiasis nennt. Die Betroffenen müssen gepflegt werden – so fallen
gleich zwei Arbeitskräfte weg und Kinder bleiben der Schule fern. Dazu
kommen noch die psychischen Folgen: Junge Männer mit vernarbten Beulen im
Gesicht, verursacht durch sogenannte Leishmanien, haben es schwer, eine
Frau zu finden, Depressionen machen pflegenden Angehörigen zu schaffen. Die
Vernachlässigten Tropenkrankheiten treffen vor allem Menschen, die in Armut
leben. Und sie verschlechtern ihr Bildungsniveau und machen sie
arbeitsunfähig.
Trotzdem fließen kaum Gelder in den Kampf gegen die Vernachlässigten
Erkrankungen. Während 2016 ein Viertel der Entwicklungshilfegelder für
Gesundheit Aids-Programmen zugutekam, erhielten Programme zur Bekämpfung
Vernachlässigter Tropenkrankheiten gerade mal ein Prozent. Dabei sind diese
Programme extrem günstig: Einen Patienten zu entwurmen, kostet meist
deutlich weniger als ein Euro.
Entwurmungsprogramme sind sogar deutlich kosteneffektiver als
HIV-Programme. Das zeigen Schätzungen, die auf sogenannten DALYs beruhen,
englisch abgekürzt für behinderungsbereinigte verlorene Lebensjahre. DALYs
berücksichtigen dabei, anders als reine Sterblichkeitszahlen, auch die
Behinderung durch bestimmte Krankheiten. Um ein behinderungsfreies
Lebensjahr zu retten, zeigen diese Studien, braucht man, wenn man in
Aids-Medikamente investiert, mehr als 30-mal so viel Geld wie bei
Entwurmungsprogrammen.
## Viel Hilfe mit wenig Geld möglich
Das bestätigt auch die Internetseite GiveWell.org. Die versucht wohltätige
Entwicklungshilfe-Projekte nach ihrer Effektivität zu beurteilen. Von den
sieben Favoriten, die sie ausgewählt hat, sind zwei Malaria-Programme, und
ganze vier dienen der Entwurmung oder der prophylaktischen Gabe von
Wurmmedikamenten.
Nur: Was sagt uns das? Sollen nun Gelder aus HIV- und Aids-Programmen in
Entwurmungsprogramme umgeleitet werden? Erst einmal muss man mit
Schlussfolgerungen vorsichtig sein: Trotz aller Mühe ist es oft extrem
schwer, Entwicklungshilfeprojekte auf ihre Wirksamkeit zu prüfen oder
überhaupt zu schätzen, wie viele Menschen weltweit an einer Krankheit
leiden. Aber selbst wenn die Effektivitätsstudien stimmen, ist das kein
Aufruf dazu, die Aids-Mittel zu kürzen. Aids-Programme haben in den letzten
zwei Jahrzehnten Millionen Menschenleben gerettet. Vielmehr geht es darum,
Programme gegen Vernachlässigte Tropenkrankheiten weiter zu stärken. Auch
wenn es in den vergangenen Jahren erste große Erfolge gab, lässt sich hier
mit wenig Geld noch sehr viel bewegen.
Und letztlich lassen sich die Vernachlässigten Krankheiten und HIV eben
auch nicht sauber voneinander trennen. Das zeigt die Billharziose, die vom
Pärchenegel verursacht wird, der in Seen auf seine Opfer wartet. Über 200
Millionen Menschen in Subsahara-Afrika leiden unter Billharziose, viele von
ihnen auch unter einer urogenitalen Form. Diese hinterlässt kleine Wunden
im Genitaltrakt, die leicht bluten. Nur logisch also, dass infizierte
Frauen eine erhöhte Gefahr haben, sich beim Sex mit HIV anzustecken. Wenn
sie schon während der Schule – wie es die Weltgesundheitsorganisation
vorschlägt – präventiv Mittel gegen die Pärchenegel bekämen, ließen sich
womöglich viele HIV-Infektionen verhindern. Kostenpunkt: etwa dreißig Cent
pro Behandlung.
1 Jan 2018
## AUTOREN
Jakob Simmank
## TAGS
Schwerpunkt HIV und Aids
Prävention
Schwerpunkt HIV und Aids
Lesestück Interview
Zika-Virus
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