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# taz.de -- Spekulationsgeschäfte im Rathaus: Strafe für FDP-Kommunalpolitike…
> Das Landgericht Mannheim verurteilt Christel Augenstein auf Bewährung.
> Sie zockte und hörte auch dann nicht auf, als die Dinge aus dem Ruder
> liefen.
Bild: Verteidiger (und FDP-Vize) Wolfgang Kubicki glaubt, das Gericht in Mannhe…
Mannheim taz | Zum ersten Mal wurden in Deutschland Kommunalpolitiker im
Zusammenhang mit unerlaubten Zinswetten strafrechtlich verurteilt. Das
Landgericht Mannheim verhängte gegen Christel Augenstein (FDP), die
ehemalige Oberbürgermeisterin von Pforzheim, eine Bewährungsstrafe von
einem Jahr und acht Monaten. Ihre ehemalige Kämmerin, Sabine Weishaar,
wurde zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.
Weishaar kam 2002 ins Amt und fand einen überschuldeten Haushalt in der
baden-württembergischen Kommune vor. Zunächst versuchte sie, die Zinslast
einzudämmen, indem sie variable Zinssätze durch Swaps (Tauschgeschäfte) mit
Banken in fixe Zinssätze umwandelte. Solche Absicherungen sind zulässig. Ab
2004 wurde Weishaar verwegener und vereinbarte mit der Deutschen Bank
Zinsswaps, um Gewinne zu erzielen. Das war aber nicht erfolgreich. Im
September 2006 hatten die Swaps einen „negativen Marktwert“ von 17,9
Millionen Euro.
Nun offenbarte sich Weishaar der Oberbürgermeisterin und bot ihren
Rücktritt an. Doch die FDP-Politikerin lehnte das ab, wohl auch um das
eigene Renommee nicht zu gefährden. Gemeinsam beschloss man, die
Deutsche-Bank-Swaps in neue, noch riskantere Swap-Geschäfte
„umzustrukturieren“, um endlich Gewinne zu machen. Geschäftspartner der
Stadt war jetzt die Bank JP Morgan. Doch der negative Marktwert stieg immer
weiter an.
Die FDP-Politikerin wurde 2009 als OB abgewählt. Erst anschließend kam es
aufgrund einer anonymen Anzeige zu strafrechtlichen Ermittlungen. Ihr
Nachfolger Gert Heger (SPD) beendete 2010 die Geschäfte – mit einem
vorläufigen Schaden von 57 Millionen Euro. Immerhin zahlte JP Morgan vier
Jahr später 37 Millionen Euro zurück und die Deutsche Bank 2016 weitere 7,7
Millionen Euro. Am Ende blieb der Stadt noch ein Schaden von rund 12
Millionen Euro.
## Anklage wegen Untreue
Die Staatsanwaltschaft klagte Augenstein und Weishaar 2013 wegen schwerer
Untreue an. Sie hätten durch die Zinswetten ihre
Vermögensbetreuungspflichten für den Pforzheimer Haushalt verletzt.
Angeklagt wurden dabei nur Geschäfte ab 2006. Zur damaligen Zeit hätten
viele Kommunen riskante Zinswetten abgeschlossen. Aber fast alle hätten
aufgehört, nachdem die Dinge aus dem Ruder liefen. Dagegen seien Augenstein
und Weishaar noch mehr Risiken eingegangen, so die Staatsanwälte.
Das Mannheimer Landgericht folgte der Anklage weitgehend. Es sei völlig
klar, dass die Stadtverantwortlichen keine unbegrenzten Risiken für den
Haushalt eingehen dürfen, sagte der Vorsitzende Richter Andreas Lindenthal.
Und wandte sich gegen die „Mär“, die Banken hätten Kommunen damals
betrogen.
„In den Verträgen stand eindeutig, dass es um unbegrenzte Risiken geht“, so
der Richter. „Sie haben kein Osterei gekauft und dann eine Handgranate
geliefert bekommen“, wandte er sich an die beiden Frauen, „Sie wussten,
dass es um Handgranaten geht und haben nur gehofft, dass sie nicht
hochgehen.“
## Verteidiger Kubicki kündigt Revision an
Das Gericht wählte ein Strafmaß, das gerade noch die Aussetzung der
Freiheitsstrafen zur Bewährung erlaubt. „Wir haben damit Ihre konstruktive
Mitwirkung bei der Aufklärung des Sachverhalts belohnt“, so Richter
Lindenthal.
Augensteins Verteidiger, FDP-Vize Wolfgang Kubicki, kündigte noch im
Gerichtssaal an, dass seine Mandantin Revision beim Bundesgerichtshof
einlegen wird. Das Landgericht Mannheim habe wohl die Struktur von
derivativen Finanzgeschäften nicht richtig verstanden. Nach Angaben von
Kubicki haben bundesweit mehr als 800 Kommunen solche Geschäfte getätigt.
In ihren letzten Worten hatten beide Frauen auf einen Freispruch gehofft.
Augenstein sagte, sie sehe sich als Opfer von „intransparenten Angeboten“
eigentlich vertrauenswürdiger Banken. Augenstein ist Diplom-Finanzwirtin,
Weishaar Wirtschaftsmathematikerin. Wenn der BGH die Urteile bestätigt,
müssen die beiden Frauen noch mit Schadenersatzforderungen rechnen. Die
Stadt Pforzheim hatte sich dies ausdrücklich offen gehalten. Die heute
68-jährige Augenstein muss zudem um ihre Pensionsansprüche bangen.
22 Nov 2017
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Kommunalpolitik
Untreue
Baden-Württemberg
FDP
Wolfgang Kubicki
Untersuchungshaft
Kiel
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