| # taz.de -- Sinti und Roma: „Staatlich geförderter Antiziganismus“ | |
| > Der Kinderfilm „Nellys Abenteuer“ reproduziere Vorurteile über Sinti und | |
| > Roma, sagen Kritiker. Wie Antiziganismus überwunden werden kann, ist | |
| > Thema einer Konferenz in Berlin. | |
| Bild: Szene aus dem Film „Nellys Abenteuer“ | |
| Angeblich soll es nur ein harmloser Familienfilm sein. Ein Film „über Mut, | |
| fremde Kulturen und echte Freundschaft“, wie ihn der verantwortliche Sender | |
| SWR bewirbt. So mancheR wird allerdings beim Schlagwort „fremde Kulturen“ | |
| aufhorchen: Wer ist denn hier „fremd“? Tatsächlich tobt um den Film „Nel… | |
| Abenteuer“ seit einiger Zeit eine heftige Kontroverse. Die Geschichte um | |
| ein schwäbisches Mädchen, das im Urlaub in Rumänien von Roma bestohlen und | |
| entführt wird, befördere bestehende Vorurteile über Europas größte | |
| Minderheit, beschwert sich nicht nur Romani Rose vom Zentralrat der Sinti | |
| und Roma. | |
| Besonders empört die Kritiker, dass der Film mit mehr als 900.000 Euro | |
| Steuermitteln gefördert und vorigen Sonntag im öffentlich-rechtlichen | |
| Kinderprogramm ausgestrahlt wurde. „Das ist öffentlich geförderter | |
| Antiziganismus“, sagt etwa die Musikerin und Vorsitzende des Landesrats der | |
| Roma und Sinti Romnokher Berlin, Dotschy Reinhardt. | |
| Am kommenden Mittwoch wird sie im Rahmen der Konferenz „Every Day Is | |
| Romaday!“ eine Diskussion zur Frage moderieren, nach welchen Kriterien | |
| Kunst von und über Roma staatlich und privat gefördert wird. | |
| ## Gauner und Trottel | |
| Fest steht: Die Roma machen im Film all das, was der brave Michel schon | |
| immer über sie gewusst zu haben meint. Sie fahren Mercedes, lassen ihre | |
| Kinder betteln und stehlen. Sie klauen blonde Kinder, ihre Frauen tragen | |
| bunte weite Röcke, sie sind arm, lieben aber Musik und Geselligkeit. Und am | |
| Ende sind sie die Trottel, die vom viel gewitzteren deutschen Gauner übers | |
| Ohr gehauen werden. | |
| „Diese Bilder von Roma als Halunken, Gauner und arme Schlucker bleiben | |
| hängen, gerade bei Kindern und Jugendlichen“, befürchtet Sarah Rosenau vom | |
| Bündnis für Solidarität mit Sinti und Roma, das die Konferenz am kommenden | |
| Mittwoch organisiert. Daher sei der Plan der Macher, den Film als | |
| Unterrichtsmaterial für Schulen anzubieten, „fatal und stünde im | |
| Widerspruch zum Bildungsauftrag der Schulen“, wie es in einer | |
| Pressemitteilung des Bündnisses heißt. | |
| Diese Einschätzung teilt auch Pavel Brunßen vom Zentrum für | |
| Antisemitismusforschung der TU Berlin. Er hat im Auftrag des Zentralrats | |
| der Sinti und Roma ein Gutachten erstellt, in dem er feststellt, dass der | |
| Film „zahlreiche antiziganistische Klischees sowie homogenisierende und | |
| essentialisierende Darstellungen über Roma beinhaltet“. | |
| ## „Verwechslung zwischen Wirklichkeit und Fiktion“ | |
| Die Filmemacher ficht die geballte Kritik nicht an. Regisseur Dominik | |
| Wessely erklärt gegenüber der taz: „Hier findet eine Verwechslung statt | |
| zwischen Wirklichkeit und Fiktion. Wir haben einen Abenteuerfilm gemacht. | |
| Das haben wir auch den Herrn vom Zentralrat lange versucht zu erklären, | |
| anscheinend ohne Erfolg.“ | |
| Für Genreerzählung gebe es bestimmte Erzählkonventionen, so Wessely. Dazu | |
| gehöre der Umgang mit erzählerischen Versatzstücken, die man auch Klischees | |
| nennen könne. „Wenn darauf bestanden wird, dass die Romafiguren Stereotype | |
| sind, dann fehlt es an filmanalytischer Kenntnis.“ | |
| SWR-Programmdirektor Christoph Hauser erklärt, „Nellys Abenteuer“ zeige, | |
| „wie ein junges Mädchen seine Vorurteile überwindet und sich in Rumänien | |
| mit Roma-Jugendlichen anfreundet“. | |
| Tatsächlich hat der Film kurze aufklärerische Momente. Etwa als Nelly das | |
| Roma-Mädchen Roxanna fragt, warum die Häuser in ihrem Dorf kein Wasser | |
| haben. Antwort: „Die Gadsche geben uns keines. Und sagen dann, Tzigani | |
| seien dreckig.“ Später sagt sie: „Für Tzigani ist hier kein Platz. Wir si… | |
| wie Scheiße am Schuh von Europa.“ | |
| ## „Fühle mich verarscht“ | |
| Dieser Satz gefällt auch Hamze Bytyci vom Verein RomaTrial. „Der Film ist | |
| gut gemeint, aber nicht gut gemacht“, sagt der Roma-Aktivist, Schauspieler | |
| und Sozialarbeiter. Ihn ärgert besonders, dass es anders hätte laufen | |
| können. Denn die Filmfirma habe RomaTrial zunächst gebeten, mitzuarbeiten, | |
| erzählt er. Doch als er Kritik am Drehbuch anmeldet habe, sei daraus nichts | |
| geworden. Dennoch hätten die Filmleute einen „letter of intend“ von | |
| RomaTrial benutzt, um beim Antrag für die Fördergelder zu punkten. Bytyci: | |
| „Ich fühle mich von den Filmemachern von vorne bis hinten verarscht.“ | |
| Auch Dotschy Reinhardt ärgert sich, dass die Verantwortlichen, alle | |
| Angehörige der Mehrheitsgesellschaft, die Kritik der Minderheit einfach als | |
| irrelevant behandeln. „Das ist überheblich und arrogant“, sagt sie. Um zu | |
| verhindern, dass staatlich geförderte Filme über Sinti und Roma derart | |
| entgleiten, schlägt sie vor, das künftig Vertreter der Minderheit in | |
| Filmförderungs-Jurys Mitsprache bekommen. „Es muss aufhören, dass immer | |
| wieder über unser Köpfe hinweg gehandelt wird.“ | |
| 18 Nov 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
| Sibel Schick | |
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