| # taz.de -- Film: Blicke hinter das Klischee | |
| > Die Reihe „Cineromani – Empowering Roma Filmmakers“ bietet | |
| > Roma-Filmemachern eine Präsentationsfläche. | |
| Bild: Der Film "Slumdog" von Lidija Mirkovic macht Schluss mit dem Klischee von… | |
| Vor dem Collegium Hungaricum in der Dorotheenstraße steht ein kleines | |
| buntes Häuschen. Die Holzhütte ist über und über beklebt und bemalt, mit | |
| Plakaten und Slogans. „Who is pulling the strings to control our world?“ | |
| steht da, außerdem „Romany Revolution“ und „The Irish Traveller Movement… | |
| Drinnen hängt die Erklärung der Menschenrechte, auf ein Stofftuch | |
| geschrieben, dazu Fotos von Demonstrationen am 8. April – dem | |
| Internationalen Tag der Roma. | |
| Die Installation „Safe European Home?“ vom britischen Künstlerduo Delaine | |
| und Damian Le Bas Sr. will soziale Missstände in Europa ins Licht rücken. | |
| Pünktlich zur Biennale prangert der Mini-Pavillon auch an, dass die Roma in | |
| diesem Jahr erneut nicht in Venedig vertreten sind. Das Kunstwerk ist Teil | |
| der Veranstaltungsreihe „Cineromani – Empowering Roma Filmmakers“, die vom | |
| Collegium Hungaricum Berlin (.CHB) in Zusammenarbeit mit der International | |
| Romani Film Comission (IRFC) präsentiert wird. | |
| Am Wochenende startete Cineromani mit einer aktuellen Werkschau. Kurz-, | |
| Dokumentar- und Spielfilme und andere künstlerische Arbeiten beschäftigten | |
| sich mit der Kultur der Roma. Der Begriff Roma umfasst bei der | |
| Veranstaltung auch Sinti, Tsigane, Menouche, Gypsies, Jenische, Gitanos, | |
| Travellers …, die drei Punkte stets dahinter. Zusammen machen sie die | |
| größte ethnische Minderheit Europas aus und sind doch unterrepräsentiert in | |
| der Gesellschaft und in den Künsten. | |
| Die Mitveranstalter IRFC, eine Gruppe von Roma-Filmemachern, die sich | |
| letztes Jahr im Rahmen der Berlinale zusammengefunden haben, will das | |
| ändern. Sie will dafür sorgen, dass auch Roma Filme machen können, sich | |
| vernetzen und selbst aktiv sind, statt bloß von außen betrachtet zu werden. | |
| Die Mitbegründerin der Kommission Lidija Mirković war einer der Stars des | |
| Wochenendes. Über sie wurde schon viel berichtet, auch in den deutschen | |
| Medien. Neun Monate lebte die Regisseurin in Belleville, einer der größten | |
| Roma-Slumsiedlungen Belgrads, und drehte einen Dokumentarfilm über das | |
| Leben in extremster Armut. Im .CHB zeigte sie Szenen aus dem noch | |
| unfertigen Film. | |
| Gleichzeitig präsentiert Mirković die Fotoreihe „Dialogue with Carmen“, d… | |
| während ihrer Zeit in Belleville entstand. Die Bewohner des Slums halten | |
| sich auf den Fotos das Porträt der Carmen vor ihre Gesichter, eines der | |
| ältesten Roma-Stereotype: die feurige Zigeunerin, exotisch und | |
| verführerisch. Wie dieses Klischee mit dem Leben am Rande der Gesellschaft, | |
| unter Brücken und auf Müllhalden, kontrastiert wird, ist eindrucksvoll. Das | |
| ist Mirković’ Thema: der Kontrast von Selbst- und Fremdrepräsentation. Die | |
| Künstlerin, die in Deutschland aufwuchs und sich selbst Zigeunerin nennt, | |
| will ihr Volk und ihre Kultur selbst darstellen und setzt sich dafür ein, | |
| dass andere es auch tun können. | |
| Die Filmemacher, die sich dafür im .CHB zusammengefunden haben, stammen aus | |
| Serbien, Ungarn und dem Kosovo, sie behandeln in ihren Werken | |
| unterschiedliche Themen. Die Schriftstellerin und Regisseurin Kriszta Bódis | |
| etwa zeigte in ihrem Dokumentarfilm „A village romance“ die Liebe zweier | |
| Frauen in einem kleinen ungarischen Dorf. Eine ist Roma, die andere nicht. | |
| Eine ist mit einem gewalttätigen Mann verheiratet und hat drei Kinder, die | |
| andere lebt zwar arm, aber offen lesbisch in einem Haus mit ihren | |
| Freundinnen. Der Film ist low budget, die Bilder sind körnig und | |
| verwackelt, aber er berührt. Und ist oft witzig, wenn sich die lesbischen | |
| Frauen über die unbrauchbaren, ständig betrunkenen und triebgesteuerten | |
| Männer des Dorfes lustig machen. | |
| ## Zwischen Bett und Flügel | |
| Neben den Filmvorführungen fand auch eine Liveperformance namens „Hilton | |
| Hotel“ statt. Dafür waren ein Bett, Sessel und ein Flügel im Café des .CHB | |
| aufgebaut, um ein Hotelzimmer zu simulieren. Es war die erste Performance | |
| ihrer Art, das Konzept wirkte noch etwas chaotisch. Das Gespräch zwischen | |
| den Filmemachern und Aktivisten Katalin Gödrös, Kenan Emini und Hamze | |
| Bytyci, die sich im simulierten Hotelzimmer begegneten, war dennoch | |
| interessant. Sie diskutierten die Rolle von Kunst und politischen Aktionen | |
| im Kampf für die Rechte der Roma und zeigten Ausschnitte ihrer politischen | |
| filmischen Arbeiten: Kenan Emini hat die Leiden dokumentiert, die | |
| Roma-Kinder erleiden, die ihr ganzes Leben in Deutschland verbracht haben | |
| und nun ins Kosovo abgeschoben werden. Hamze Bytyci war mit einer Gruppe | |
| junger Roma bei der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus | |
| ermordeten Sinti und Roma letztes Jahr und demonstrierte dort vor Merkel | |
| und Wowereit für ein Bleiberecht der Roma. | |
| Den Abschluss der Werkschau machte der Spielfilm „La BM du Seigneur“ das | |
| französischen Regisseurs Jean-Charles Hue. Auf den Spuren seiner | |
| Familiengeschichte lernte Hue die Familie Dorkel kennen, die in Beauvais im | |
| Norden von Paris in einer Wohnwagensiedlung lebt und der Jenischen | |
| Gemeinschaft angehört. Das war vor 15 Jahren, die Familie nahm ihn auf, | |
| seitdem lebt der Regisseur bei ihr. Er hatte bereits mehrere | |
| Dokumentationen über sein Leben in der Gemeinschaft gedreht, als ihm die | |
| Idee zu „La BM du Seigneur“ kam. | |
| Im Film begegnet Frédéric Dorkel Gott in Gestalt eines weißen Hundes. | |
| Dorkel spielt – wie alle Darsteller des Films – sich selbst und hat dabei | |
| eine enorme Präsenz, nicht nur wegen seiner massigen Gestalt. Er versucht | |
| im Folgenden sein Leben zu ändern, ein guter Christ zu werden und nicht | |
| mehr zu trinken und zu stehlen. Es gelingt ihm nur schwer. Der Film zeigt | |
| die Lebensverhältnisse der Jenischen Gemeinschaft, mitsamt der Rolle, die | |
| Religion, Kriminalität und Alkoholismus in ihr spielen. | |
| Die Filme von Cineromani beschönigen das Leben der Roma nicht, auch | |
| Probleme innerhalb der Gemeinschaften werden dokumentiert. Wie die Roma in | |
| der Filmgeschichte dargestellt wurden, wird im Rahmen einer Retrospektive | |
| im Zeughauskino behandelt. Dort sind noch bis 22. Juni Filme zu sehen, von | |
| Chaplins „The Kid“ von 1921 bis Martin Suliks „Cigán/Gypsy“ von 2011. | |
| ## ■ Cineromani Retrospektive, bis 22. 6. Zeughauskino im DHM, Unter den | |
| Linden 2 | |
| 4 Jun 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Inga Barthels | |
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