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# taz.de -- Italienische Fußballtragödie: Die Macht der Senioren
> Der vierfache Weltmeister fehlt bei der WM in Russland. Aus den schweren
> Niederlagen der Vergangenheit wurden nie Konsequenzen gezogen.
Bild: Die italienischen Nationalspieler können es nicht fassen
Gian Piero Ventura bugsierte die Squadra Azzurra auf Grund. Ein Unglück,
das sich wohl bis gestern Abend noch kaum einer vorzustellen traute: Die
italienische Nationalmannschaft wird bei der Weltmeisterschaft nächstes
Jahr in Russland nicht dabei sein. Zum ersten Mal seit 1958 verpasst der
vierfache Weltmeister das Turnier.
Im Gegensatz zum von Selbstzweifeln nicht geplagten Schiffskapitän
Schettino, der für die Havarie des Kreuzfahrtschiffs „Costa Concordia“
verantwortlich war, wies Ventura allerdings keine Spur von Schneid auf.
Denn als es ernst wurde, als sich sein experimentelles 4-2-4-System so
richtig beweisen sollte gegen zwar kampfstarke, aber spielerisch limitierte
Schweden, da knickte er ein und holte das 3-5-2 seines Vorgängers Antonio
Conte aus der Mottenkiste. Ventura hatte dieses System zu Recht abgelehnt,
wegen des Mangels an Spielgestaltern in der Zentrale und einem Übermaß an
talentierten Flügelspielern wie Lorenzo Insigne, Stephan El Shaarawy oder
Federico Bernadeschi.
Ventura unterbrach nach dem 0:3 gegen Spanien aber seine begonnene
Revolution. Er wagte sich auch nicht an einen Wechsel auf der
Torwart-Position heran. Veteran Gianluigi Buffon, ein Weltstar, klar, aber
selbst bei seiner Juventus nur noch eine geteilte Nummer 1, sollte sein
Plan von der WM-Teilnahme mit 40 Jahren nicht nur geschützt werden. Neben
ihm sollte auch niemand aufgebaut werden. Die Alten hatten sich mal wieder
durchgesetzt. Wie schon vor drei Jahren, als es vor allem der Widerstand
der Veteranen war, der den als „Störenfried“ diffamierten und zugegeben
nicht einfachen, aber in Nizza wieder zum Torjäger gereiften Mario
Balotelli dauerhaft aus der Nationalelf verbannte.
Holpernd verlief zudem die Integration anderer Spieler. Marco Verratti, bei
PSG zum Spielmacher gereift, erhielt bei Ventura zwar Einsätze, fand aber
nicht das gewohnte Pass-Umfeld vor. Dribbelkönig Lorenzo Insigne wurde
lange ignoriert – und agierte dann hilflos in einem statischen, durch
riesengroße Abstände zum Nebenmann gekennzeichnete Spiel. Seine Qualitäten,
in Neapel gefeiert, kamen beim Nationalteam nicht zur Geltung. Der
Italobrasilianer Jorginho, seit zwei Spielzeiten der konstanteste Passgeber
in der Serie A, wurde von Ventura erst zum Rückmatch gegen Schweden
eingeladen.
Jorginho, am Montag noch der beste Italiener, trifft nun das Pech der
doppelt falschen Entscheidung. Jetzt kommt er für Brasilien nicht mehr
infrage. Die WM in Russland kann er vergessen. Und ob es für Italien in der
nächsten Zeit noch einmal eine WM-Teilnehme geben wird – wer weiß das
schon?
Wer so achtlos mit seinen Talenten umgeht, mit Burschen, die sich in der
traditionell jugendfeindlichen Serie A doch etwas Spielraum erkämpft haben,
der hat seine strukturellen Defizite nicht erkannt.
In diesem Moment der Krise werden die alten Krisenbewältigungspläne wieder
aus der Schublade gezogen. Bessere Jugendprogramme fordert nun die Gazzetta
dello Sport, mehr Platz für junge italienische Profis in der Serie A.
Ähnliches wurde schon 2010 gefordert, nach dem Aus in der WM-Vorrunde in
Südafrika. Die gleichen Forderungen 2014, nach dem Debakel in Brasilien.
Jetzt steht der Calcio vor seiner dritten Stunde null in nur sieben Jahren.
Dass Ventura nicht sofort desertierte, wie damals der verantwortungslose
Schiffsführer Schettino von der Brücke ging, macht ihn dem Seemann indes
gerade ähnlicher. Wer nach so einer Nacht wie der von San Siro nicht sofort
seinen Rücktritt bekannt gibt, weiß nicht, was es heißt, Verantwortung zu
übernehmen.
Der Schiffbruch selbst, so überraschend er im Moment seines Eintretens war,
hatte sich allerdings früher abgezeichnet. Zu lange schon war das Schiff
namens Italia auf Kollisionskurs mit der fußballerischen Realität. Jetzt
braucht es ein Bergungsunternehmen, dann eine Generalüberholung.
14 Nov 2017
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Fußball
Italien
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Weltmeisterschaft
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