Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Nelsons Abflug aus Dublin
> Vor mehr als fünfzig Jahren wurde mitten in der irischen Hauptstadt eine
> verhasste Säule in die Luft gesprengt. Der Sprengmeister ist jetzt
> verstorben.
Es ist zwanzig Jahre her. Mein Freund John und ich saßen im Club der
Dubliner Lehrergewerkschaft und amüsierten uns mit verbilligten Getränken,
als sich ein älterer Herr zu uns setzte. Liam Sutcliffe war zwanzig Jahre
älter als wir – also in dem Alter, in dem wir heute sind. Wir kamen ins
Gespräch. Irgendwann erwähnte jemand den englischen Admiral Lord Nelson.
Liams Augen leuchteten auf. „Ihr erinnert euch“, sagte er mit gesenkter
Stimme, „an die verfluchte Säule?“ Die Nelson-Säule stand auf Dublins
Hauptstraße, der O’Connell Street, seit 1809. Die Dubliner hatten sich
daran gewöhnt, Liam und zwei Freunde hassten das Ding jedoch. Darüber
hinaus war es der 50. Jahrestag des Osteraufstands, der den Grundstein für
die irische Unabhängigkeit gelegt hatte.
Am 1. März 1966 platzierten die Drei im Sockel der Säule eine Bombe, die um
vier Uhr nachts explodieren sollte. Als Timer hatten sie jedoch eine
Zwölf-Stunden-Uhr benutzt, sodass die Bombe um vier Uhr nachmittags
hochgegangen wäre. „Es hätte ein Blutbad gegeben“, sagte Liam. „Zum Gl�…
waren die Drähte falsch verbunden.“
In der folgenden Nacht holte er den Sprengsatz aus dem Sockel, kaufte eine
24-Stunden-Uhr, verband die Drähte korrekt und legte die Bombe am 8. März
1966 zurück an ihren Platz. Diesmal funktionierte es, und niemand war
traurig über Nelsons überstürzten Aufbruch. Die Belfaster Band Go Lucky
Four stand mit ihrem Lied „Up Went Nelson“ zwei Monate lang an der Spitze
der Charts. Irlands Präsident Éamon de Valera, einer der Kommandanten des
Osteraufstands von 1916, schlug einer Zeitung die Schlagzeile vor: „Admiral
Nelson verließ Dublin auf dem Luftweg.“
Nelsons Kopf war von Studenten gestohlen worden. Sie vermieteten ihn unter
anderem an die Dubliners, die ihn bei einem Konzert auf der Bühne
ausstellten. Der Kopf kam sogar in einer Reklame für Damenstrumpfhosen zu
Ehren. Bei einer Party beschlagnahmten Zivilpolizisten den Kopf, mussten
aber feststellen, dass es eine Attrappe aus Pappe war. Der echte Kopf steht
heute in einer kleinen Dubliner Bibliothek.
Zu Schaden war bei dem Anschlag niemand gekommen, keine einzige
Fensterscheibe war zu Bruch gegangen. Erst als die irische Armee eine Woche
später den Rest der Säule sprengte, zerbarsten die Scheiben der Läden im
Umkreis von 500 Metern. „Diese Dilettanten hätten mich den Job zu Ende
bringen lassen sollen“, sagte Liam.
Er war in den fünfziger Jahren in die Irisch-Republikanische Armee (IRA)
eingetreten – und als IRA-Spion in die britische Armee. 1967 trat er der
IRA-Abspaltung Saor Éire bei, einer militanten marxistischen Gruppe, weil
die IRA ihm zu friedfertig war. Vor zehn Tagen ist Liam im Alter von 84
Jahren gestorben, vorigen Dienstag wurde er beerdigt. Vor Kurzem hatte er
gesagt, dass er die Millenium-Stahlnadel, die heute an der Stelle der
Nelson-Säule steht, noch weniger als die Säule mochte. Zu mehr ist er
leider nicht mehr gekommen.
15 Nov 2017
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
## TAGS
Dublin
Irland
Großbritannien
Irland
England
Zeitumstellung
Prominente
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Blinder Wackelpudding
Die meisten Sommersprossen haben, ist als Kategorie im Guinnessbuch der
Rekorde nicht anerkannt. Für Iren ein Nachteil.
Die Wahrheit: Babyface mit Stirnlocke
Eine der mediokeren Gestalten der an mediokeren Gestalten nicht armen
britischen Politik ist der ehemalige Schatzkanzler George Osborne.
Die Wahrheit: Suu Kyi geht nicht ans Telefon
Der grauhaarige Wichtigtuer Bob Geldof malträtiert die Öffentlichkeit immer
wieder mit viel Humbug. Auch dieses Mal enttäuscht Geldof nicht.
Die Wahrheit: Alles Scheiße
Puh, Poo: In England stinkt es auch zum Himmel, wie ein Besuch im
nationalen Scheiße-Museum auf der Isle of Wight nahelegt.
Die Wahrheit: England hat die Zeit gestohlen
Bis 2016 hatte in Irland die Dublin Mean Time gegolten, und die hinkte 25
Minuten und 21 Sekunden hinter der Greenwich Mean Time her.
Die Wahrheit: Was ist Bono?
Eine nicht repräsentative Umfrage: Gut die Hälfte kennt keine Promis, 30
Prozent sind mit einem befreundet und 17 Prozent mit einem verwandt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.