| # taz.de -- „Fremdes Haus“ am Theater Bremen: Die andere Seite des Flusses | |
| > Dea Lohers „Fremdes Haus“ entwickelt eine Enthüllungsdynamik, der man zur | |
| > Uraufführung noch misstraut hat. | |
| Bild: Die Unglücklichen sehnen sich nach Freiheit und finden doch nur Ausbeutu… | |
| Vorstadt-Tristesse. Da hocken sie wieder: die durch ein Netz schuldhafter | |
| Verstrickungen aufeinander bezogenen, geradezu mythischen Theaterfiguren | |
| Dea Lohers. Der Banalität des Alltags haben sie sich ergeben, kämpfen | |
| trotzdem mit den ewig großen Fragen der Menschheit und erhoffen Sühne oder | |
| Tod als Erlösung aus ihrem Schicksal. Mit der moralischen Unbedingtheit des | |
| antiken und dem Mitgefühl des zeitgenössischen Dramas gestaltet und | |
| hinterfragt Loher all das bereits in ihrem 1995 uraufgeführtem Stück | |
| „Fremdes Haus“, ein wundermächtiges Angebot zur Katharsis – auf dass wir | |
| Zuschauer mit dem Mut zur Veränderung aus dem Theaterabend heraustreten. | |
| Denn schlimmer als auf der Bühne geht’s ja kaum. | |
| Der als „gottverlassen“ beschriebene Handlungsort ist im Kleinen Haus des | |
| Theaters Bremen das betonierte Ufer eines flach gefallenen Kanals.Schwarze | |
| Hadesbrühe bedeckt den Bühnenboden. Auf Grund gelaufen ist ein als Kneipe | |
| hergerichtetes Floß. Für die kleinen Gefühlstropfen wider den trostfreien | |
| Schmerz finden dort kurze Party- und trunken schnelle Sex-Exaltationen | |
| statt. Ein Breitwandpanorama der Verzweiflung. | |
| Obwohl es der Autorin konkret um Menschen geht, die aus der | |
| Balkankonfliktregion der 1990er-Jahre geflüchtet sind, wirkt das Stück | |
| weder gestrig noch wird es als Beitrag zur aktuellen Flüchtlingsdebatte | |
| genutzt. Es geht grundsätzlich um soziale Heimatlosigkeit. Alle leben auf | |
| der nachtdunkel falschen, träumen sich auf die sonnenhell andere Seite des | |
| Kanals. Dort wachsen sogar Bäume, heißt es, da wohnen schöne Menschen in | |
| schönen Häusern. Unerreichbar fern scheint dieser Reichtum. Mitten ins | |
| Elend stapft nun Jane, mazedonischer Deserteur des Jugoslawien-Kriegs und | |
| Neffe eines Freundes des hier gestrandeten Partisanen Risto. Jane erbittet | |
| Unterkunft, bringt Unruhe auf die Bühne, ist Katalysator und wird | |
| Desillusionist. | |
| Die Milieuerzählung erhebt sich zum Enthüllungskrimi des Verdrängten. Zu | |
| Uraufführungszeiten des Stücks wurde dieser Entwicklung noch misstraut, | |
| Regisseure überschrieben sie mit szenischem Brimborium. Heute steht die | |
| Wirkungskraft des Textes außer Frage, seine Aufführungen werden | |
| konzentrierter. | |
| Herausragend nun die Bremer Produktion: Alize Zandwijk übersetzt das | |
| Geschehen und die lakonisch nüchterne Sprachpoesie weniger in | |
| Körperlichkeit, denn in karg präzise Theatralität, stilisiert Bewegungen | |
| und lässt die Darsteller im Statuarischen eine beeindruckende | |
| Spielintensität entwickeln. Die Gesichter der Schauspieler sind anfangs | |
| lemurenhaft lehmverkrustet: Masken der Lebenslügen. Nach dem jeweiligen | |
| Outing und darauf folgenden Bade werden sie wegwaschen. | |
| Jeder Figur ist zudem ein charakterisierender Sprechduktus des | |
| Verschleierns eigen. Risto prunkt einerseits schwerst röchelnd, als wäre er | |
| von der „Rauchen gefährdet die Gesundheit“-Kampagne gesponsert, bollert | |
| andererseits mit kraftvollem Zynismen herum und stolziert dazu passend auf | |
| Blechtassen-Kothurnen durchs Wasser. Wird er doch in Jugoslawien als | |
| Partisanenheld verehrt und nimmt die übermenschliche Heldenrolle gern an. | |
| Schwiegersohn Jörg kommt als dumpf aggressiver Blaffer daher. Spitz | |
| amüsiert gibt sich die Wirtin, barsch untergangsberauscht die Gattin | |
| Ristos. Mädchenhaft schwärmerisch erstrahlt hingegen die Intonation der | |
| Tochter Agnes (eindrückliches Debüt als neues Ensemblemitglied: Gina | |
| Haller). | |
| Sie ist neben Jane die einzige veränderungswillige Figur. Ihre Pupillen | |
| rasen hin du her, die Lippe zuckt, der Körper erglüht voller Spannung, als | |
| sie in dem Neuankömmling jemanden entdeckt, der es „zu etwas bringen kann“. | |
| Ein Fluchtvehikel. Agnes würde ihm ihr Herz, ihren Körper – alles | |
| verkaufen. Es gibt sogar kurzes Beischlafglück, lustvoll verschämt in | |
| stummer Abstraktion dargeboten. | |
| Die Ursünde aller Figuren aber bleibt: die kapitalistische Moral des | |
| Geschäftemachens auch im Privaten anzuwenden. Jede Art Beziehung beruht auf | |
| Gewinn-Verlust-Rechnungen. Es gibt nur „Deals“, keine Alternativen zum | |
| „verschissenen Handel“, wie Loher formuliert. So sind Dialoge stets Duelle, | |
| unterbrochen von Selbstrechtfertigungs- und Abrechnungsmonologen. Darin | |
| wird Vergangenheit aufgedeckt und Schuld gestanden. Risto hat aus Angst und | |
| Feigheit einst den Onkel Janes an die Geheimpolizei verraten, um selbst | |
| fliehen zu können. Ristos Gattin polstert die Haushaltskasse mit | |
| Sexdienstleistungen auf. Schwiegersohn Jörg heiratete die Tochter Agnes als | |
| eine Art Ablassgeschäft – hat er sie doch angefahren und nachhaltig | |
| verletzt. | |
| Selbst Jane gibt sich dem allgemeinen Seeleverkaufen hin. Die Wirtin lädt | |
| ihn zur Scheinehe ein, mit der die Abschiebung verhindert werden kann. Jane | |
| bezahlt dafür als billige Arbeitskraft hinter der Theke. In verträumter | |
| Wehmut fantasiert er dort von „Freiheit“. Das Staunen machende der | |
| Inszenierung: Durchweht von zärtlich melancholischen Weisen des Musikanten | |
| Beppe Costa nimmt sie die Figuren ernst, ist aber nie parteiisch oder folgt | |
| Lohers Hang zum Pathos, bleibt stets unprätentiös emotionsgeladen. Agnes | |
| wird sanft zur Heldin stilisiert, da sie es schafft, sich vom Gatten und | |
| Liebhaber zu trennen, um Aufbruchs- zur Selbstbestimmung zu erheben. Die | |
| Frage neu stellt, warum und wofür noch leben: ein Katharsis-Anstupser. | |
| Termine: 19. 11., 18.30 Uhr; 29. 11., 20 Uhr; sowie am 14. und 23. 12., 20 | |
| Uhr, Theater Bremen | |
| 28 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Fischer | |
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