# taz.de -- Berührende Ehe im Kino: Unartikuliert, aber mit Witz | |
> Aisling Walshs Biopic „Maudie“ mit Sally Hawkins und Ethan Hawke erzählt | |
> eine Liebesgeschichte. Keine schöne, aber eine mit Wucht. | |
Bild: Der Fischhändler und die Künstlerin, ob das gut geht? Ethan Hawke und S… | |
Die letzten Bilder des Films entlarven all die vorhergegangenen als Lüge. | |
Oder sanfter gesagt: als Kino. Es handelt sich um die inzwischen | |
obligatorischen Aufnahmen der realen Personen, deren Leben man eben | |
verfilmt gesehen hat. Die kanadische Folkartistin Maud Lewis und ihr Mann | |
Everett sind darauf zu sehen, wie sie in ihrem winzigen Häuschen ein und | |
aus gehen und schüchtern in die Kamera lächeln. | |
Selbst wenn einem als Kinozuschauer noch die Tränen in den Augen stehen | |
über das im Film Geschilderte, erfasst man die Kluft, die zwischen den | |
beiden „wirklich“ fragilen Alten und den Schauspielern Sally Hawkins und | |
Ethan Hawke liegt. Es ist keine Sache der äußeren Ähnlichkeit, das bekommt | |
die Maske schon ganz gut hin, sondern eine der Wirkung. | |
Die realen Lebensumstände waren wohl härter und unerbittlicher, auch sieht | |
man der echten Maud und dem echten Everett nicht an, was Hawkins und Hawke | |
auf der Leinwand aus ihrer Geschichte machen. Vielleicht hat es sich | |
überhaupt nicht so zugetragen. Aber diese Unschärfe macht den Film der Irin | |
Aisling Walsh sogar noch interessanter. Denn „Maudie“ gehört zu der Sorte | |
Biopic, die daran erinnert, was schön sein kann am Genre: etwas zu | |
erfahren, was über den Wikipedia-Eintrag hinausgeht. | |
Dass Maud zeit ihres Leben fast zwanghaft Blümchen und Tiere auf alles | |
malte, was ihr so unterkam, behandelt der Film nicht als Ringen um eine | |
Künstleridentität. Sally Hawkins’ Maud malt, weil sie es gerne tut; kämpfen | |
muss sie um ganz andere Dinge: um ein unabhängiges Leben, um ihre Liebe zu | |
einem schwierigen Mann, um ihre Gesundheit. | |
## Gebückter Rücken, krumme Finger | |
Der Film setzt ein in den 30er Jahren. Mauds Bruder hat nach dem Tod der | |
Mutter das Elternhaus verkauft und Maud selbst bei der Tante untergebracht. | |
„Sie muss einsehen, dass dies nun ihr Zuhause ist“ – Bruder und Tante red… | |
über sie, als sei sie ein Kind. Tatsächlich hat die Erscheinung der damals | |
Mitte-30-Jährigen etwas Kindlich-Hilfloses: ihre Zierlichkeit, ihr leicht | |
gebückter Rücken und gekrümmte Finger weisen auf die rheumatoide Arthritis | |
hin, die Maud für ihr Leben zeichnete. | |
Stammelnd protestiert sie gegen den Bruder, muss sich dann aber resignativ | |
der Tante und ihren Ermahnungen, „ihren Pflichten“ nachzukommen, fügen. Wie | |
viel Wagemut und Trotz in ihr stecken, zeigt sich in der nächsten Szene, in | |
der man sie beim Tanzen, Trinken und Rauchen sieht. | |
Dann betritt eines Tages der Fischverkäufer Everett (Ethan Hawke) den | |
Laden, in dem sie gerade die Regale betrachtet, und kündigt an, eine Frau | |
zu suchen. „Nicht das, was wir hier anbieten“, antwortet der Verkäufer | |
trocken. Everett pinnt seine Annonce für eine Haushälterin an die | |
Mitteilungstafel. Maud ergreift ihre Chance und bewirbt sich. | |
Es ist nicht unbedingt eine schöne Liebesgeschichte, die „Maudie“ erzählt, | |
aber genau das verleiht ihr eine emotionale Wucht, mit der man im | |
naturgemäß absehbaren Biopic-Genre nicht rechnet. | |
Hawkes Everett verhält sich Maud gegenüber zunächst wenig gentlemanlike. | |
Erst will er sie gar nicht anstellen, weil er ihr ansieht, dass sie nicht | |
schwer arbeiten kann. Dann fordert er umstandslos, dass sie mit ihm das | |
Bett teilt, schließlich gibt es in der winzigen Hütte nur zwei Räume. | |
Genauso umstandslos will er zum Sex übergehen, woraufhin Maud schwach, aber | |
bestimmt einwendet, dass er sie dann besser heiraten solle. | |
## Eine blumenfreie Ecke | |
Wie in diesen von materiellen und anderen Zwängen geprägten Umständen | |
überhaupt so etwas wie eine Liebesbeziehung wachsen soll, fragt man sich | |
als Zuschauer, abgestoßen auch von der Gewaltbereitschaft, die Everett an | |
den Tag legt. Aber dann inszeniert Walsh kleine Vorkommnisse und | |
Veränderungen im Leben der beiden, die wie eine Indizienkette | |
funktionieren. | |
Als Maud immer mehr der häuslichen Wände bemalt, besteht Everett in | |
verächtlichem Ton auf eine blumenfreie Ecke – und gibt damit implizit den | |
Rest der Flächen frei. Als die erste Kundin Geld bietet für eines von Mauds | |
Bildern, verteidigt Everett überraschend sensibel die Interessen seiner | |
Frau. Grob fordert er von ihr, sie solle nicht nur malen, sondern den | |
Haushalt machen – aber dann greift er selbst zum Besen. | |
Und schließlich sitzt er kartoffelschälend vor ihr, stolz darüber klagend, | |
dass wohl alles an ihm hängen bleibe. Erst fast am Ende des Films versuchen | |
die beiden, ihre Gefühle füreinander in Worte zu fassen, unbeholfen, | |
unartikuliert, aber nicht ohne Witz. | |
Im stammelnden Sprechen, mit alternden, unsicherer werdenden | |
Körperhaltungen entfalten Hawke und Hawkins Darstellungen, die ihre | |
Schauspielerpräsenz ganz in den Dienst der Figuren stellen und sie damit | |
sichtbar machen auf eine Weise, wie es „reale“ Aufnahmen nicht können. Was | |
die Kunstgeschichte als klassische Realitätsflucht interpretiert – dass | |
Maud trotz harter Lebensumstände farbenfrohe Bilder voller wundersamer | |
Heiterkeit malte –, macht der Film zu einer Realität der Gefühle. | |
26 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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Ethan Hawke | |
Künstlerin | |
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