# taz.de -- Vor der Wahl in Kenia: Die große Angst | |
> Am Tag vor Kenias umstrittener Neuwahl steigt die Spannung auf den | |
> Siedepunkt. Oppositionsführer Odinga mobilisiert zum „Widerstand“ | |
Bild: Raila Odinga vor seinen Anhängern im Uhuru-Park, Nairobi, 25. Oktober | |
NAIROBI taz | „Ich bin das Drama der Neuwahlen so satt. Ich will wieder ein | |
normales Leben“, sagt Judy Atieno und gibt einen großen Seufzer von sich. | |
Sie kauft gerade Gemüse am Rande des Zentrums der kenianischen Hauptstadt | |
Nairobi. Verkäuferin Wanjira Kombo stimmt mit ganzem Herzen ein. „Die | |
Zankerei hängt mir zum Hals heraus.“ | |
Beide Frauen sind Anhänger rivalisierender politischer Parteien. Beide sind | |
gleichermaßen enttäuscht über die Entwicklungen rund um die Wiederholung | |
der Präsidentenwahl in Kenia, die am Donnerstag stattfinden soll. Viele | |
Kenianer sind erschöpft von den Aufhetzungen und Drohungen der militanten | |
Anhänger von Präsident Uhuru Kenyatta und seinem Rivalen, Oppositionsführer | |
Raila Odinga. | |
Odinga boykottiert die Neuwahl, die nötig wurde, nachdem er mit seiner | |
Klage gegen den Wahlsieg Kenyattas im August vor dem obersten Gericht am 1. | |
September recht bekam. Kenyatta, dessen Sieg damit sicher ist, hält an der | |
Wahl fest. Gestern sollte das oberste Gericht erneut ein Urteil fällen – | |
über einen Antrag dreier Bürgerrechtler. Sie wollten die Wahlen verschoben | |
sehen, weil die politische Situation keine glaubwürdigen Wahlen möglich | |
mache. | |
Aber von den sieben Richtern waren nur zwei da und so konnte es wegen | |
Mangel an Quorum kein Urteil geben. Philomena Mwilu, die stellvertretende | |
oberste Richterin, hatte sich entschuldigt, weil ihr Chauffeur am Abend | |
zuvor erschossen wurde. | |
Zwei andere Richter waren krank und zur Behandlung im Ausland, der Rest | |
hatte fragwürdige Entschuldigungen. So sagte der Vorsitzende des obersten | |
Gerichts, David Maraga, das Gericht sei entscheidungsunfähig. | |
## „Die Verfassungsordnung umgestürzt“ | |
Kenianer gehen davon aus, dass die abwesenden Richter eingeschüchtert | |
worden waren, durch die Regierungsseite. Schließlich hatte Präsident | |
Kenyatta schon gedroht, er würde sich „um die Justiz kümmern“, nachdem das | |
oberste Gericht seine Wiederwahl annulliert hatte. Am Dienstag hatte die | |
Regierung kurzfristig den Mittwoch zum Feiertag erklärt. | |
Die Erklärung des obersten Richters schockierte das Land. „Dies ist der | |
Tag, an dem die Demokratie gestorben ist“, sagte ein Fernsehkommentator. | |
James Orengo, bekannter Jurist und Vertreter der Kläger, erklärte vor dem | |
Gerichtsgebäude: „Die Verfassungsordnung Kenias ist umgestürzt worden.“ Es | |
könne nun keine legitimen Wahlen geben. | |
Das oberste Verwaltungsgericht hatte wenige Stunden zuvor in einem anderen | |
Urteil die Berufung sämtlicher Wahlleiter durch die Wahlkommission für | |
rechtswidrig erklärt. Es schreckte aber davor zurück, die Wahlleiter | |
abzusetzen und damit die Wahl auszusetzen. | |
Dennoch interpretieren viele Beobachter auch diesen Richterspruch als | |
Zeichen, dass keine regelkonforme Wahl heute mehr möglich sei. | |
## „Kein Frieden für die Regierung“ | |
Raila Odingas Oppositionskoalition „Nasa“ boykottiert die Wahlen sowieso. | |
Auf einer Großkundgebung im zentralen Uhuru-Park von Nairobi peitschte | |
Odinga am Mittwochnachmittag seine Anhänger auf: Die Nasa-Koalition sei ab | |
Donnerstag keine Oppositionsbewegung mehr, sondern eine | |
„Widerstandsbewegung“, rief er: „Wenn es für das Volk keine Gerechtigkeit | |
gibt, gibt es für die Regierung keinen Frieden.“ | |
Die Behörden hatten die Kundgebung verboten, weil die Opposition sie nicht | |
korrekt beantragt haben soll – trotzdem sammelten sich im Park, wo es von | |
Polizei wimmelte, Tausende Oppositionsanhänger in den typischen | |
orangefarbenen T-Shirts der Odinga-Partei. Sie ließen sich nicht | |
einschüchtern, auch nicht von den dunklen Regenwolken über Nairobi. | |
Im Westen von Kenia, der Hochburg der Opposition, gab es in verschiedenen | |
Orten Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Polizei, vor allem in | |
Kisumu, wo der Provinzgouverneur die Demonstranten anführte. | |
## „Die Probleme haben sich gelöst“ | |
Der Chef der Wahlkommission IEBC, Wafula Chebukati, bekräftigte derweil, | |
dass die Wahlen stattfinden sollen. Die Wahllokale seien fertig, | |
Sicherheitsbehörden und Opposition hätten ihm versichert, dass jeder, der | |
wählen will, das ungehindert tun kann, sagte er vor Journalisten. „Seit ich | |
vorige Woche meine Zweifel hatte über die Neuwahlen, sind die in den | |
letzten Tagen verschwunden, weil Probleme sich gelöst haben“, behauptete | |
er. | |
Vorige Woche hatte Chebukati erklärt, dass er keine glaubwürdigen Wahlen | |
garantieren konnte. Zuvor war IEBC-Mtglied Roselyn Akombe in die USA | |
geflohen, weil sie um ihr Leben fürchtete. Es ist kein Geheimnis, dass es | |
innerhalb der IEBC großen Streit gibt. Der Druck von beiden politischen | |
Lagern erscheint sehr groß. | |
25 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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