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# taz.de -- Ausstellung zum Wandel des Ruhrgebiets: Das Leben seiner Nachbarn
> Als Idyll mit Hang zur Dystopie: So sah der Fotograf Rudolf Holtappel das
> Ruhrgebiet. Er ist im Museum Unter Tage in Bochum zu entdecken.
Bild: Rudolf Holtappel, „Hüttenwerke wilder Streik“, Oberhausen 1965
Menschen, die heute im Ruhrgebiet aufwachsen, wissen nicht mehr
zwangsläufig um seine industrielle Vergangenheit. Ihre Eltern sind
vielleicht in die Region gezogen, um dort als Lehrer, Grafikdesigner oder
Szene-Gastronom zu arbeiten, und sie betrachten die Industriedenkmäler mit
einer inneren Distanz wie ein Zugereister einen Trachtenzug in München; als
Folklore ohne Bezug zur eigenen Gegenwart.
Mit der Schließung der letzten Zeche 2018 wird das Bergbauzeitalter in der
Region endgültig Geschichte sein. Bevor der Zusammenschluss der
Ruhrkunstmuseen darauf nächstes Jahr mit einer großen
Gemeinschaftsausstellung reagiert, hat jetzt das Bochumer Museum Unter Tage
eine sehenswerte Fotoschau zum Thema zusammengestellt: „Umbrüche – Eine
Region im Wandel“ fordert den Betrachter zur Bestimmung des eigenen
Standpunkts, zur kritischen Auseinandersetzung mit Klischees – und sie ist
ein Beitrag zu aktuellen politischen Diskursen.
Grundstein der Ausstellung war eine Schenkung: Herta Holtappel, Witwe des
2013 verstorbenen Ruhrgebietsfotografen Rudolf Holtappel, übereignete dem
Museum 150 Fotografien von den 1950er bis 1970er Jahren. 110 davon finden
sich in den ersten Räumen der Ausstellung, rund die Hälfte wird zum ersten
Mal öffentlich präsentiert.
Der Besucher findet in ihnen Ruhrgebietsbilder, wie er sie vielleicht aus
Adolf Winkelmanns Kultfilm „Jede Menge Kohle“ oder Schimanski-„Tatorten“
kennt: Dunst und Staub über den Städten, weiße Wäsche vor verrußten
Fassaden, Porträts von rauchenden Kumpels mit rabenschwarzen Gesichtern.
Doch Holtappel, der auch Theater- und Reportagefotograf war, wusste, was
Bühnen und Rollen sind. Er umschiffte Klischees, weil er gleichzeitig in
der Lage war, zu inszenieren und hinter die Erscheinungen zu blicken.
## Unheimlich und fremd
Ein Motiv aus Duisburg („Ecke Buschhausener Straße“) zum Beispiel zeigt
vordergründig einen Polizisten, der den Verkehrsfluss regelt. Doch im
Hintergrund ragt im Dunst eine kahle Haldenlandschaft auf, deren Präsenz
unheimlich und fremd erscheint – wie ein unbekannter Planet, der mit
unserer Welt kollidiert. Auf einem anderen Bild spaziert ein fein
herausgeputztes Paar mittleren Alters auf einem Bürgersteig am Rand einer
Straßenbahnlinie. Gleich hinter ihnen erheben sich monströs die Hochöfen
der HOAG in Oberhausen, die den Stadtteil regelmäßig in schwarzen Qualm
hüllten.
Diesen Moment hat der Fotograf eingefangen – als Idyll mit Hang zur
Dystopie – und sich dabei als Teil des Geschehens empfunden. „Das
Ruhrgebiet war sein Herzensthema, sein ureigenes Interesse“, sagt die
Kuratorin Maria Spiegel. „Es sind unauffällige Alltagssituationen, die er
einfängt; das Leben der Menschen, die seine Nachbarn waren.“
Schon in Holtappels Werk findet sich ein gewichtiger Umbruch: Ein Bild
zeigt die Spiegelung eines geduckt schreitenden Mannes in einer Pfütze. Die
Welt steht hier Kopf und der Titel des Werks bestätigt, dass sie das
tatsächlich getan hat: „Die letzte Schicht“ ist ein Dokument der Schließu…
der Zeche Osterfeld in Oberhausen 1964.
Alexander und Silke von Berswordt-Wallrabe von der Stiftung Situation
Kunst, die das Museum betreibt, wollen mit der Ausstellung nicht in erster
Linie den nostalgischen Blick bedienen. „Wir wollen den Gedanken anstoßen,
sinnvoller mit ehemaligen Industrieregionen umzugehen als zum Beispiel im
amerikanischen Rust Belt, wo die Leute heute Trump wählen“, sagt Alexander
von Berswordt-Wallrabe. Deshalb hat die Stiftung auch ein starkes
Begleitprogramm organisiert, das nach Zukunftsperspektiven für solche
Regionen fragt: Am 15. Oktober sind etwa Vertreter von ThyssenKrupp und
des Konzerns Tata zu Gast, der die Stahlsparte in Bochum übernehmen soll.
Völlig anders als bei Rudolf Holtappel erlebt der Betrachter das Ruhrgebiet
mit den Fotografien Bernd und Hilla Bechers, die eine eigene Schule des
Abbildens und Sehens begründet haben: Ihr Blick ist
seriell-systematisierend, ihre Landschaften sind menschenleer, beherrscht
von der eigentümlichen Industriearchitektur und ihren ingenieurtechnischen
Meisterleistungen. Das Museum Unter Tage zeigt eine ganze Bildserie, mit
der das Paar 1969 die Gutehoffnungshütte Oberhausen in ihrer Gesamtheit
erschloss. Mit seinem Engagement trug es dazu bei, dass die Gebäude seit
1970 unter Denkmalschutz stehen – und legte so einen Grundstein für die
heutige Landschaft aus Industriedenkmälern, die oft als Orte des
kulturellen Lebens wiederauferstehen.
Wieder in einem ganz anderen Licht erscheint die Region in den Bildern
Joachim Brohms, der sich in der Tradition von Walker Evans oder Robert
Frank sah und das Ruhrgebiet fernab von Industrieanlagen in verhaltener
Farbigkeit als zerrissene, ereignislose Landschaft zeigt.
Unheimlicher wird es im Werk von Jitka Hanzlová, die es „vor 35 Jahren ins
Ruhrgebiet geweht hat“, wie sie sagt. Nach fotografischen Expeditionen rund
um den Globus beschäftigte sie sich nach der Geburt ihrer Tochter mit der
Welt vor der Haustür – und fand ein Terrain, das in vielen Fällen
postapokalyptisch wirkt: karg und menschenleer, trist, in gleichsam
außerirdische Farben gegossen. Ein Terrain, das aber auch eine
eigentümliche Schönheit ausstrahlt. Demgegenüber stehen Porträts von
Menschen – zum Beispiel einer schwangeren Frau. Unweigerlich stellt sich
dem Betrachter diese Frage: Wie wird sie, wie wird ihr Kind leben? Wie
wollen wir leben?
25 Oct 2017
## AUTOREN
Max Florian Kühlem​
## TAGS
Ruhrgebiet
Bergbau
Fotografie
NRW-SPD
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