# taz.de -- Freiburger Mord-Prozess gegen Hussein K.: Die Stimmung ist nicht ge… | |
> In Freiburg läuft der Prozess gegen einen Flüchtling, der eine Studentin | |
> ermordet haben soll. Stimmungsmache gegen Migranten blieb in der Stadt | |
> aus. | |
Bild: Der Angeklagte Hussein K. wird am 05.09.2017 in Freiburg (Baden-Württemb… | |
Freiburg taz | Ernst und schweigend stehen die Menschen entlang der | |
Salzstraße mitten in der Freiburger Innenstadt, als würden sie eine Pflicht | |
erfüllen. Die Ersten warten schon morgens um sieben vor der Barockfassade | |
des Landgerichts. Sie lassen sich penibel durchsuchen und durch die | |
Sicherheitsschleuse schicken, um einen der hundert Plätze im großen Saal zu | |
ergattern. Dort verhandelt seit Mitte September die Jugendkammer gegen den | |
Flüchtling Hussein K. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, die 19-jährige | |
Freiburger Medizinstudentin Maria L. vergewaltigt und ermordet zu haben. | |
Heute ist es ein Jahr her, dass die junge Frau nachts gegen 2 Uhr auf dem | |
Nachhauseweg am Flüsschen Dreisam gleich hinter dem Fußballstadion auf | |
Hussein K. traf. Er stieß sie vom Fahrrad, würgte sie, verging sich brutal | |
an der bewusstlosen Frau und legte sie dann in den Fluss, wo Maria L. | |
ertrank. Der Leichenfund sorgte in der Studentenstadt für Verunsicherung. | |
Ein medialer Sturm brach jedoch los, als die Polizei bekannt gab, dass sie | |
einen vermeintlich minderjährigen Flüchtling verdächtigt. | |
Ausgerechnet in dieser Stadt, mit ihrem linksliberalen Bürgertum und einem | |
grünen Bürgermeister. Wenn es hier passieren kann, kann es überall | |
passieren. Rassistisches und Gehässiges gegen die Stadt und sogar die | |
Eltern des Opfers war auf Twitter und bei Facebook zu lesen: Das habe | |
Freiburg nun von seiner Multikulti-Haltung. | |
Oberbürgermeister Dieter Salomon hatte tagelang damit zu tun, immer wieder | |
zu betonen, dass Mord und Vergewaltigung in allen Kulturen verboten seien. | |
Und Hans Lehmann, der Vorsitzende des Bürgervereins Oberwiehre, der die | |
Flüchtlingsarbeit in Freiburgs größter Unterkunft organisiert hat, sagte | |
bei Sandra Maischberger: „Auch das wird Freiburg nicht umhauen.“ | |
## Stolz, „dass die Stadt so cool geblieben ist“ | |
Ein Jahr später kann man festhalten: Die Stimmung ist in Freiburg nicht | |
gekippt. Hier gibt es kein Pegida, keine Anschläge auf | |
Flüchtlingsunterkünfte. Eine Demonstration von rechten Gruppen zum | |
Prozessauftakt bestand aus nur wenigen, wenn auch lautstarken | |
Unterstützern. Bei der Bundestagswahl schnitt die AfD in der Stadt mit 7,8 | |
Prozent weit unter dem bundesdeutschen Schnitt ab; die grüne | |
Bundestagskandidatin hätte um ein Haar das Direktmandat geholt. Dem | |
erhöhten Sicherheitsbedürfnis begegnen Stadt und Land inzwischen mit mehr | |
Polizeipräsenz, die die Freiburger dankbar annehmen. | |
Das immerhin ist neu für eine Stadt, in der früher eher gefragt wurde, „was | |
wollen die Scheißbullen hier“, sagt der Oberbürgermeister. Insgesamt, so | |
Dieter Salomon ein Jahr danach, sei er stolz auf seine Stadt, „dass sie so | |
cool geblieben ist“. Aber auch er spürt: Sollte Hussein K. am Ende mit | |
einem unerträglich milden Urteil davonkommen, könnten auch die Freiburger | |
ihre Ausgeglichenheit verlieren. „Dann kommt es zu einem öffentlichen | |
Aufschrei“, sagt der Oberbürgermeister, „aber nicht nur vom rechten Mob, | |
sondern aus der Mitte.“ | |
Aber was lehrt der Fall Hussein K. überhaupt über den Flüchtlingssommer | |
2015? Über Behördenversagen oder die vermeintliche Gutgläubigkeit von | |
ehren- und hauptamtlichen Helfern? Man kann es sich so einfach machen wie | |
das Häufchen AfD-Anhänger, die am ersten Prozesstag vor dem Gerichtsgebäude | |
mit dem Slogan „Grenzen schützen Leben“ aufliefen. Man kann es wie die | |
beiden Frauen aus dem Publikum sehen: Seit dem Mord dürfe man in Freiburg | |
wenigstens über die Gefahren der Zuwanderung und Ängste als Frau sprechen. | |
„Vorher durfte man ja nix sagen.“ | |
Wenn man Dieter Salomon fragt, was die Politik aus dem Fall lernen kann, | |
zuckt er mit den Achseln: „Höchstens, dass die grenzüberschreitende | |
Zusammenarbeit der europäischen Strafverfolgungsbehörden nicht funktioniert | |
hat.“ Fragt man Hans Lehmann, der damals viele mit seinem besonnenen | |
Talkshow-Auftritt beeindruckt hat, wird er nachdenklich. Er spricht von | |
Überforderung der Behörden und der ehrenamtlichen Helfer angesichts der | |
großen Zahl an Flüchtenden. Da habe einer wie Hussein K. leicht | |
durchrutschen können. | |
## Wer ist Hussein K.? | |
Im Landgericht sitzt derweil fast jede Woche dieser junger Mann im | |
weinroten Sweatshirt, der mit seinem brutalen Verbrechen die Stimmung im | |
Land verändert hat. Mit bleichem, teigigem Gesicht und müdem Blick folgt er | |
der Verhandlung. Oft wirkt er, als würde er während der Zeugenaussage vor | |
sich hin dämmern. Wenn ihm gerade nicht sein Dolmetscher die Aussagen der | |
Zeugen in Dari übersetzt, nickt er wie in Trance leicht vorgebeugt mit dem | |
Kopf. Vielleicht weiß bis heute keiner genau, wer dieser Hussein K. | |
wirklich ist. Kaum einer der Zeugen nimmt bei seiner Aussage im | |
Gerichtssaal auch nur kurz Blickkontakt mit dem früheren Freund oder | |
Schutzbefohlenen auf der Anklagebank auf. Zu groß sind Entsetzen, | |
Unsicherheit und Enttäuschung. | |
Hussein K. hat die Tat gestanden, aber seine Aussage so gestaltet, dass | |
Juristen sie auch als Totschlag werten könnten. Viele Angaben, die er zu | |
seinem Leben macht, sind zumindest fragwürdig. Vor allem das Alter, das für | |
das Strafmaß entscheidend ist. | |
Möglicherweise ist Hussein K. in Afghanistan groß geworden, vielleicht aber | |
auch in Iran. Sicher ist, dass er auf der griechischen Insel Korfu | |
gewalttätig wird: Er stürzt eine junge Frau acht Meter in die Tiefe, sie | |
überlebt schwer verletzt. K. wird von einem örtlichen Gericht zu zehn | |
Jahren Haft verurteilt. | |
Doch weil die griechischen Gefängnisse überfüllt sind, wird er vorzeitig | |
entlassen. Er soll sich regelmäßig bei der Polizei melden. Hussein K. denkt | |
nicht daran und reist über die Balkanroute weiter. Die griechische Polizei | |
stellt seine Fingerabdrücke nicht den europäischen Behörden zur Verfügung, | |
deshalb kann er unerkannt nach Deutschland kommen. | |
## Ein „Gentleman“ sei er gewesen | |
Hier angekommen, verschweigt er seine kriminelle Vorgeschichte und gibt an, | |
erst 1999 geboren zu sein. Als vermeintlich minderjähriger Flüchtling kommt | |
er in den Genuss der Flüchtlingshilfe. Eine Pflegefamilie, ein Freiburger | |
Kinderarzt und dessen Frau, nimmt ihn auf. Beide stammen aus Afghanistan, | |
sprechen Dari, die Muttersprache Husseins. | |
Zusammen mit einem Freund aus dem Wohnheim kommt er in der Einliegerwohnung | |
des großen Hauses unter. Vorbildliche Bedingungen, sollte man meinen. Ob | |
Lehrer, Sozialarbeiter und die Pflegemutter – alle zeichnen das Bild eines | |
jungen Mannes, der viele Möglichkeiten gehabt hat. Ein „Gentleman“ sei er | |
gewesen, sagt eine Studentin, die ihn als Lehrpraktikantin in der Schule | |
kennen gelernt habe. Aufgeschlossener, reflektierter und sprachbegabter als | |
seine Mitschüler, so beschreibt sie ihn. Sie habe damals gedacht, „der geht | |
seinen Lebensweg hier“. Ein Sozialarbeiter berichtet davon, dass Hussein K. | |
in Religionsfragen moderner gedacht habe als andere Flüchtlinge. | |
Aber es gibt auch den anderen Hussein. Der auf viele etwas distanziert | |
wirkt, mit Freunden an genau jenen Orten in Freiburg seine Zeit totschlägt, | |
wo Drogen verkauft werden. Jemand, der offenbar ein Alkoholproblem hat. Ein | |
Junge, der über Albträume klagt, traurig und niedergeschlagen wirkt. Der | |
auch mal vor Wut gegen Türen boxt. Aber keiner der Zeugen beschreibt ihn | |
als unberechenbar, gewalttätig oder bedrohlich. Seine Pflegemutter | |
berichtet, wie sie ihm von dem Verbrechen an der Dreisam erzählt hat, nicht | |
ahnend, dass ihr Pflegesohn der Täter war. | |
Hussein habe wenig interessiert geklungen, auch als sie ihm erzählt habe, | |
dass wahrscheinlich per DNA-Test nach dem Täter gesucht werde. Und dann | |
berichtet sie davon, dass die Familie mit Hussein K. gemeinsam ein | |
Kulturfest besucht habe. Spontan habe Hussein K. dort zum Mikrofon | |
gegriffen und vor dem fremden Publikum ein Lied gesungen. Das Fest war am | |
18. Oktober. Keine 48 Stunden nachdem er Maria L. getötet hatte. | |
16 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
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