| # taz.de -- Sven Giegold über die Bundestagswahl: „Ernsthaft ausloten, ob et… | |
| > Er sitzt für die Grünen im Europaparlament und hat Attac mitgegründet. | |
| > Sven Giegold über Jamaika-Sondierungen, Europa und die Große Koalition. | |
| Bild: „Schwarz-Gelb mit Klimaschutz und Europa, das kann nicht genügen.“ | |
| taz: Herr Giegold, viele Grüne verabscheuen eine Jamaika-Koalition. Sie | |
| sagen: Mit Union und FDP kriegen wir zu wenige unserer Inhalte durch. Wie | |
| sehen Sie das? | |
| Sven Giegold: Ich bin dafür, dass wir mit CDU, CSU und FDP entschlossen und | |
| seriös sondieren, wenn eine Mehrheit zahlenmäßig existiert. Es gibt große | |
| inhaltliche Hürden für ein Jamaika-Bündnis und Seehofer wie Lindner sind | |
| wirklich abschreckend. Dennoch meine ich: Wir entziehen uns unserer | |
| Verantwortung, wenn wir nicht ernsthaft probieren, Veränderungen | |
| durchzusetzen. Aus Verantwortung für die Zukunft können wir uns nicht | |
| prinzipiell Jamaika verweigern. Ohne Grüne wird beim Klimaschutz, beim | |
| Zusammenhalt Europas und beim Abbau sozialer Ungerechtigkeit zu wenig | |
| vorankommen. Das alles sind Schicksalsthemen der nächsten Jahre für unsere | |
| Gesellschaft. Vier weitere verlorene Jahre können wir Grüne nicht | |
| verantworten. Wir müssen die Wirbelstürme genauso ernst nehmen wie die | |
| Spaltung Europas. | |
| Sie gehören zum linken Flügel, haben Attac mitgegründet. Seehofer und | |
| Lindner sind von Ihnen himmelweit entfernt. | |
| Natürlich finde ich die Vorstellung von Jamaika furchtbar. Sondierungen | |
| sind dazu da, um auszuloten, ob man trotz Differenzen ein gemeinsames | |
| Regierungsprogramm entwickeln kann. Chancen sehe ich etwa für Europa. | |
| Frankreichs Präsident Macron will die Europäische Union demokratisch und | |
| sozial erneuern. Das ist eine der zentralen Herausforderungen der nächsten | |
| Jahre. Macrons Ideen sind richtig, ihn zu unterstützen, wäre dringend | |
| nötig. Er plant zum Beispiel ein gemeinsames, solidarisch finanziertes | |
| Budget für die Eurozone, das von einem europäischen Parlament legitimiert | |
| und einem EU-Finanzminister gesteuert werden soll. Die Eurogruppe soll | |
| demokratisch kontrolliert werden. Damit könnte Europa endlich zu einer | |
| Investitionsunion werden, ohne einseitige Austeritätsprogramme. | |
| Die Linien der Europapolitik bestimmte die Kanzlerin. Wo kämen die Grünen | |
| ins Spiel? | |
| Europa ist ein Querschnittsthema. Jeder deutsche Minister nimmt an Treffen | |
| des Ministerrates in Brüssel teil. Ohne eine solidarischere Europapolitik | |
| im Koalitionsvertrag kann ich mir keine grüne Regierungsbeteiligung | |
| vorstellen. Das wird ja bei uns basisdemokratisch entschieden. Macron hat | |
| in Frankreich Nicolas Hulot zum Umweltminister gemacht, einen glaubwürdigen | |
| und prominenten Umweltschützer und Filmemacher. Hulot schaltet | |
| Atomkraftwerke ab, er managt ein mächtiges Ressort für den ökologischen und | |
| solidarischen Übergang. Gäbe es ein deutsches Pendant, einen Superminister | |
| für die ökologische Transformation, wäre das eine riesige Möglichkeit. | |
| Deutschland und Frankreich könnten gemeinsam den Weg für eine ökologischere | |
| EU ebnen. | |
| Bestreiten Sie, dass die Pläne der FDP gefährlich für die EU sind? Sie will | |
| zum Beispiel den Rettungsfonds ESM abschaffen. | |
| Ja, im Wahlprogramm der FDP steht gefährlicher Unfug. Wenn das umgesetzt | |
| würde, käme die Eurokrise mit voller Wucht zurück. Aber ich beobachte | |
| jüngst bei Christian Lindner auch andere Signale. Er haut auf den Gong, | |
| vermeidet aber unüberwindbare rote Linien. Er sagt, er wolle keine | |
| bedingungslosen Transferzahlungen in der EU. Okay, wollen wir auch nicht. | |
| Er sagt, über Investitionen könne man reden. Wir wollen ein solidarisch | |
| finanziertes Investitionsprogramm. Da gibt es auch Schnittmengen. | |
| In der Innenpolitik sind die Unterschiede immens. Die FDP will | |
| Steuersenkungen für Gutverdiener, die Grünen wollen eine Vermögensteuer. | |
| Stimmt, die Differenzen sind scheinbar unüberwindbar groß. Man muss aber | |
| ernsthaft ausloten, ob etwas geht. Die FDP wird nicht ohne Steuersenkung | |
| unter dem Strich in eine Koalition eintreten, das ist wohl klar. Aber wenn | |
| zur Gegenfinanzierung ökologisch schädliche Subventionen wegfallen, wäre | |
| das für die Grünen interessant. Fortschritte gegen soziale | |
| Ungerechtigkeiten sind grüne Essentials. Schwarz-Gelb mit Klimaschutz und | |
| Europa, das kann nicht genügen. Auch in der sozialen Frage müssen wir hart | |
| verhandeln. Und wenn das alles nicht geht, geht man halt in die Opposition. | |
| Übrigens: Wer glaubt denn, dass eine Große Koalition mehr soziale | |
| Gleichheit in Deutschland bedeutet? Beim Kanzler-Duell-Duett hat Martin | |
| Schulz Frau Merkel überhaupt nicht zur Umverteilung gedrängt, Null Komma | |
| Null. Union und SPD setzen auf Klientelprogramme. | |
| Die Große Koalition mögen Sie nicht, oder? | |
| Das wäre Stillstand mit ein paar Gerechtigkeitsschnörkeln. Wieder kein | |
| Klimaschutz. Das kann keiner ernsthaft wollen. | |
| 22 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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