| # taz.de -- Mögliche Jamaika-Koalition: Wenn „News“ Politik machen | |
| > Grüne und FDP bereiten sich auf ein Jamaika-Bündnis vor. Ein ominöses | |
| > Dokument bringt Schwung in die Debatte um die Ressortvergabe. | |
| Bild: Plätze zu vergeben am Kabinettstisch! | |
| Berlin taz | Auch Nachrichten, die aus ominösen Quellen stammen oder gar | |
| falsch sind, können in der Politik enorme Sprengkraft entfalten. Und, weil | |
| alle darüber reden, ein wundersames Eigenleben entfalten. Dieser Effekt | |
| ließ sich nun bei Grünen und FDP beobachten, die sich auf Sondierungen für | |
| ein Jamaika-Bündnis vorbereiten. | |
| Die Bombe platzte, als die Rheinische Post auf ihrer Homepage [1][eine | |
| Exklusivgeschichte] veröffentlichte. Demnach soll sich eine 6er-Runde von | |
| FDP und Grünen diese Woche informell getroffen haben. Für die | |
| Freidemokraten sollen FDP-Chef Christian Lindner, Generalsekretärin Nicola | |
| Beer und Parteivize Wolfgang Kubicki dabei gewesen sein, für die Grünen | |
| Parteichef Cem Özdemir, Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und | |
| Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck. | |
| Die Zeitung zitierte aus einem Dokument, in dem Einigungen wie der Start | |
| von Sondierungen nach der Niedersachsen-Wahl festgehalten worden sein | |
| sollen. Sogar über Zuschnitte für Ministerien sollen die Verhandler geredet | |
| haben, jene seien „lediglich sehr informell andiskutiert“ worden. Die FDP | |
| beanspruche das Finanzministerium, das Bildungsministerium mit Technologie | |
| und Digitalem und das Justizministerium. Die Grünen griffen nach dem | |
| Auswärtigen Amt, nach dem Umweltressort samt Verbraucherschutz und nach dem | |
| Entwicklungsministerium. | |
| Die News verbreitete sich in rasender Geschwindigkeit in sozialen | |
| Netzwerken. Dass so früh Ministerienwünsche öffentlich werden, ist | |
| ungewöhnlich. Kungeln die kleinen Partner Ressorts aus, bevor Sondierungen | |
| überhaupt begonnen haben? Tun sie das, obwohl ihre Spitzenleute gerne | |
| betonen, es gehe erstmal nicht um Posten, sondern um Inhalte? Das ließe die | |
| Beteiligten doch in einem sehr unschönen Licht erscheinen. | |
| ## „Minderwertige Quellenlage“ | |
| Die Story stand noch nicht lange online, schon hagelte es harte Dementis. | |
| FDP-Spitzenmann Lindner schrieb auf Twitter: „Die Berichterstattung der | |
| Rheinischen Post ist in jeder Hinsicht frei erfunden.“ Der Grüne Özdemir | |
| schrieb, da müsse er Lindner „ausnahmsweise vollumfänglich recht geben“. | |
| Habeck, der auch dabei gewesen sein soll, sagte der taz am Freitag: „Das | |
| ist Quatsch. Ich war jedenfalls bei keinem solchen Treffen.“ Die | |
| Pressestellen beider Parteien verschickten Mitteilungen, die das Treffen | |
| bestritten. | |
| Bei dem Kurznachrichtendienst entwickelte sich ein munterer Kampf um die | |
| Deutungshoheit, bei dem die Zeitung vorsichtig zurückruderte. RP-Chef | |
| Michael Bröcker postete einen Screenshot des Dokuments. Und schrieb dazu: | |
| „Dieses Dokument haben wir nicht erfunden. Vielleicht aber nur Skizze | |
| übereifriger Parteileute.“ Total überzeugt von der eigenen Quelle klang das | |
| nicht mehr, was prompt wieder kommentiert wurde. | |
| „Scheint echt ne super Quelle zu sein“, spöttelte Göring-Eckardt auf | |
| Twitter. Und FDP-Bundesgeschäftsführer Marco Buschmann entgegnete dem | |
| Zeitungsmann: „Das nennt man wohl das Eingeständnis einer minderwertigen | |
| Quellenlage.“ Auch der taz liegt ein Screenshot eines Dokuments vor, das | |
| die angeblichen Verabredungen aufzählt. Was daran stimmt und was nicht, | |
| ließ sich bis Freitagnachmittag nicht klären. | |
| Doch, wie gesagt, auch ominöse Nachrichten schaffen Fakten – und säen | |
| Misstrauen. Bei den Grünen mutmaßen jetzt einige, dass der kolportierte | |
| Ressortzuschnitt perfekt auf beide Spitzenkandidaten passen würde. Özdemir, | |
| das glauben viele, liebäugelt mit dem Auswärtigen Amt, Göring-Eckardt hatte | |
| während des Wahlkampfes ein Superministerium ins Spiel gebracht, in dem | |
| Umwelt und Verbraucherschutz eine wichtige Rolle spielen würde. Schlagen | |
| beide schon Pflöcke für die Postenverteilung ein? Auch andere Grüne haben | |
| Ambitionen für Ämter. | |
| ## Das AA sei vor allem fürs Prestige gut | |
| Es gibt bei den Grünen aber auch Leute, die einen solchen Deal inhaltlich | |
| für zu leichtgewichtig halten. Und angesichts der Bedeutung der | |
| Finanzpolitik für Europa in einem Jamaika-Bündnis andere Akzente setzen | |
| wollen. „Der Sparkurs von Merkel und Schäuble hat Europa geschadet“, sagte | |
| Grünen-Chefin Simone Peter, die auch im Sondierungsteam sitzt. „Wir | |
| brauchen mehr Solidarität der EU-Staaten untereinander und mehr soziale und | |
| ökologische Investitionen.“ Es sei aber Unfug, fügte sie hinzu, jetzt über | |
| Ministerien zu spekulieren. | |
| Sven-Christian Kindler, Haushaltsexperte der Fraktion, sagte: „Die FDP will | |
| in der Finanzpolitik große Steuergeschenke an Unternehmen, Aktionäre und | |
| Spitzenverdiener durchsetzen.“ Das würde die Spaltung zwischen Arm und | |
| Reich in Deutschland noch weiter vergrößern. „Das ist ein massiver | |
| Widerspruch zu den Grünen.“ | |
| Die Grünen könnten nicht akzeptieren, dass die innenpolitische Agenda von | |
| Union und FDP diktiert werde, sagte Rasmus Andresen, Landtagsvizepräsident | |
| in Schleswig-Holstein. Deshalb müsse am Ende von Koalitionsverhandlungen | |
| ein gewichtiges Ministerium wie Finanzen oder Inneres stehen. | |
| Andere Grüne werden deutlich, wenn man verspricht, sie nicht namentlich zu | |
| nennen. Das Auswärtige Amt sei heutzutage ein reiner Prestigejob, sagt eine | |
| gut vernetzte Grüne. Der Außenminister dürfe über rote Teppiche flanieren, | |
| aber die Kanzlerin bestimme in weiten Teilen die Außen- und Europapolitik. | |
| Die Grünen dürften allein aus taktischen Gründen nicht den Anspruch aufs | |
| mächtige Finanzressort aufgeben. „Wir dürfen nicht schon vor Beginn der | |
| Sondierungen den Eindruck erwecken, wir wären billig zu haben.“ | |
| So kann es manchmal laufen: Eine News, von der viele sagen, dass sie falsch | |
| ist, macht Politik. Und heizt die Debatte über Spitzenjobs an, bevor sie | |
| existieren. | |
| 29 Sep 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.rp-online.de/politik/deutschland/koalitionsverhandlungen-2017-fd… | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
| David Joram | |
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