| # taz.de -- Buch „Die AfD und die soziale Frage“: Wo die Raster durcheinand… | |
| > Sie proklamieren null Toleranz gegenüber Rassisten, aber wählen AfD. | |
| > Stefan Dietl analysiert, was viele Gewerkschafter zu den Rechten treibt. | |
| Bild: Die AfD ist offen ausländerfeindlich; unter ihren Wählern sind überdur… | |
| Das Buch „Die AfD und die soziale Frage“ von Stefan Dietl rührt an ein | |
| Tabu: Überdurchschnittlich viele Gewerkschaftsmitglieder wählen die | |
| rassistische Partei. Das überrascht zwar einerseits nicht, weil es in den | |
| vergangenen Jahren immer wieder Studien gab, die einen erhöhten Pegel | |
| rechten Gedankenguts unter den organisierten Beschäftigten feststellten. | |
| Doch widerspricht das eklatant dem Selbstverständnis der | |
| DGB-Gewerkschaften. | |
| Sie beteiligen sich intensiv an Bündnissen gegen Rechts und proklamieren | |
| immer wieder null Toleranz gegen Rassismus. Für Dietl, ehrenamtlich im | |
| bayerischen Ver.di-Landesvorstand aktiv, reicht das nicht. Aus seiner | |
| Perspektive hat sich Gewerkschaftspolitik in den vergangenen Jahren zu | |
| stark orientiert an Standortnationalismus, Leistungs- und | |
| Nützlichkeitsprinzipien und damit die Ausgrenzung von Menschen verstärkt, | |
| die im In- oder Ausland unter prekären Bedingungen leben müssen. | |
| „Ohne die Überwindung des Denkens in den Kategorien der internationalen | |
| Staatenkonkurrenz ist ein glaubwürdiges Eintreten gegen den von der AfD | |
| propagierten Rassismus und Nationalismus zum Scheitern verurteilt“, so eine | |
| zentrale These des Autors. | |
| Dietl nähert sich langsam seinem offensichtlichen Anliegen, eine Diskussion | |
| in den eigenen Reihen anzustoßen. Die ersten Kapitel beschreiben teilweise | |
| sehr detailreich die Entstehungsgeschichte der AfD, ihr Personal, die | |
| inneren Spannungsfelder in der Partei und ideologische Vorbilder in der | |
| Geschichte. | |
| ## Wer Angst vor dem Abstieg hat, grenzt sich nach unten ab | |
| Manches ist etwas mühsam zu lesen; sehr eiligen Lesern ohne vertieftes | |
| Interesse an der AfD sei der Einstieg in die Lektüre ab dem Zwischenfazit | |
| empfohlen. Danach geht es weiter mit Daten zur sozialen Zusammensetzung der | |
| Wählerschaft, zum Umfang der Wählerwanderungen und zu Positionen | |
| internationaler Schwesterorganisationen. | |
| Richtig spannend – und provokativ – wird es im letzten Drittel: „Die AfD | |
| stoppen – Gegenmacht organisieren.“ Hier beschreibt Dietl zugespitzt die | |
| Politik der DGB-Gewerkschaften in den vergangenen 20 Jahren. Die | |
| sozialpartnerschaftliche Vorstellung, dass Arbeitgeber und Beschäftigte | |
| letztendlich in einem Boot sitzen und gemeinsam in Konkurrenz zu Betrieben | |
| im Ausland stehen, sei anschlussfähig an AfD-Positionen. Gleiches träfe für | |
| das Leistungsprinzip zu. Das werde vor allem von qualifizierten | |
| FacharbeiterInnen und Angestellten hochgehalten – einer Gruppe, die sich | |
| stark bedroht fühlt. Nicht wenige versuchen, den Abstiegsängsten durch | |
| Abgrenzung nach unten zu begegnen. | |
| Dietl wirft den Gewerkschaften vor, der Entsolidarisierung Vorschub | |
| geleistet zu haben. Statt dem Sozialabbau entschieden entgegenzutreten, | |
| werkelten Funktionäre mit an neuen Regeln zu Leiharbeit oder an den | |
| Hartz-IV-Gesetzen. Und während weltweit in vielen Gewerkschaften prekär | |
| Beschäftigte für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen streiten, „setzen | |
| die deutschen Gewerkschaften auf Regulierung und Kontrolle durch den | |
| Staat“. | |
| Als beispielsweise bekannt wurde, dass die meisten der 3,6 Millionen | |
| Haushaltshilfen illegal beschäftigt sind, forderte der DGB Zollkontrollen | |
| und eine Reform des Minijobgesetzes, statt zu überlegen, wie die | |
| größtenteils migrantischen Arbeitskräfte zu organisieren und bei der | |
| Durchsetzung ihrer Interessen zu unterstützen wären. | |
| Die soziale Schere ist in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten so | |
| stark aufgegangen wie in fast keinem anderen europäischen Land. Dietl | |
| fordert deshalb: Der antagonistische Widerspruch zwischen Kapital und | |
| Arbeit müsse wieder zur Grundprämisse gewerkschaftlichen Handelns werden. | |
| 19 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Annette Jensen | |
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