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# taz.de -- Gay Pride in Belgrad: Es gibt keinen anderen Weg
> Unter massivem Polizeischutz findet in der serbischen Hauptstadt Belgrad
> wieder eine Pride statt. Doch sie ist noch lange kein fröhliches Fest.
Bild: Serbische Polizisten und Zuschauer am Rande der Parade in 2015
BELGRAD taz | „Was ist denn das!?“, fragt ein älterer Mann eine Frau an
seiner Seite. Das Paar ist an einem mit Regenbogensymbolen geschmückten
Schaufenster in der Belgrader Innenstadt stehen geblieben, zwischen einem
asiatischen Fast-Food-Restaurant und einem Reisebüro in der zentralen
Belgrader Straße Kralja Milana. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite:
das Rathaus und der Präsidentenpalast.
Die beiden schauen neugierig auf das Fenster. „Beograd Prajd“ steht darauf,
Belgrad Pride. Darüber: Infozentrum. Im Schaufenster ausgestellt sind
Souvenirs wie Tassen mit dem Belgrad-Pride-Zeichen und Publikationen wie
„Der Regenbogenschatten über Belgrad“. Man sieht Werbematerial für die
diesjährige Belgrader Pride, die am Sonntag stattfinden soll. Der Mann
schüttelt den Kopf. Und die Frau sagt: „Gott sei mit uns“ und bekreuzigt
sich. Sie gehen weiter.
Die Aktivist_innen im Ende August eröffneten Pride-Infozentrum lächeln.
Ja, sagen Aleksandar Savić und Milica Volić, die an diesem Tag das Zentrum
managen, manche Passanten zeigten sich empört, doch die meisten nähmen das
Pride-Zentrum einfach zur Kenntnis, und viele kämen neugierig rein. Nicht
nur Lesben, Schwule und Transgender oder ausländische Tourist_innen,
sondern auch junge serbische Heterosexuelle, oder Eltern die vor Ort ihre
Kinder aufklären wollten, weil das LGBT-Thema im serbischen Bildungssystem
immer noch Tabu sei.
Volić berichtet von einer „zuckersüßen Oma“ und ihrem schwulen Enkelsohn.
Der junge Mann habe sich ihr anvertraut, die Eltern wüssten jedoch nichts
davon. Die Oma habe sich im Infozentrum erkundigt, wie sie in dieser
„verzwickten“ Situation helfen könne. Auch Gegner der Pride schauten im
Infozentrum rein, und dass sei gut, sagen die Aktivist_innen: Man komme ins
Gespräch, rede miteinander, auch wenn man verschiedener Meinung sei.
In Berlin, London oder Paris gehören die Pride, LGBT-Lokale oder Clubs
längst zum Alltagsleben. Doch in Belgrad, und besonders in der serbischen
Provinz, ist das noch längst nicht der Fall. Es gibt zwar eine LGBT-Szene,
aber sie existiert abseits, im Schatten, fern von den Blicken der
konservativen Öffentlichkeit. Auf den Straßen Serbiens wird man kein
lesbisches oder schwules Paar sehen, keine nicht heterosexuelle Menschen,
die sich an der Hand halten oder sich küssen. Sie sind unsichtbar.
## Nicht unsichtbar, ein Mal im Jahr
Ein Mal im Jahr ist das anders, in der Pride-Woche, sieben Tage vor der
Gay-Parade. Mit Podiumsdiskussionen, Konzerten, Ausstellungen und Partys
zeigt sich die LGBT-Szene. Auch das Infozentrum macht mit, mitten in der
City, neben Regierungsgebäuden. Das ist etwas Neues in Belgrad. „Wir wollen
die Menschen über die Pride informieren, aber auch die Distanz zwischen
Bürgern und der LGBT-Gemeinschaft überbrücken“, erklärt Savić.
Drinnen ist eine Kurzübersicht der Belgrader Pride-Geschichte ausgestellt.
Die erste Pride fand 2001 statt: Nur wenige Menschen versammelten sich
damals, sie wurden brutal von rechtsextremistischen Gruppen angegriffen,
die wenigen Polizisten waren völlig überfordert. Danach wurde die Pride
jahrelang mit verschiedenen Begründungen immer wieder abgesagt oder
verboten. Im Jahr 2010 war es endlich wieder so weit: Rund 500 Menschen
marschierten auf der Pride, beschützt von 6.000 Polizisten. Keiner der
Teilnehmer_innen wurde verletzt, doch mehrere tausend rechtsextreme
Hooligans lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei, versuchten sich
zu den „kranken Schwulen“ durchzukämpfen, um sie zu verprügeln. Über
hundert Polizisten wurden verletzt, das Zentrum Belgrads demoliert, mehrere
hundert Rechtsextremisten verhaftet.
Von 2011 bis 2013 wurde die Parade dann wieder „aus Sicherheitsgründen“
verboten. „Verfassungswidrig“, sagt Milica Volić und fügt an: „Es sind
alles kleine Schritte, aber es wird von Jahr zu Jahr besser.“ Das liegt
auch an der serbischen Politik. Im Infozentrum habe es bisher keine einzige
unangenehme Szene gegeben. Allerdings meldete die serbische Polizei in
diesem Jahr 79 physische und verbale Übergriffe auf LGBT-Menschen.
Die Belgrader Pride sei noch lange kein fröhliches Fest wie in Berlin, sagt
Volić. Die Teilnehmer_innen würden jedes Jahr massiv von Polizeikräften
beschützt, das Stadtzentrum praktisch für die Pride geräumt. Viele
homosexuelle Menschen wollten deshalb gar nicht an der Pride teilnehmen.
Doch zumindest zeigte sich der Staat in den vergangenen Jahren
entschlossen, die Pride zu ermöglichen – auch deshalb, weil das zu den
Forderungen Brüssels an Serbien gehört. Serbien befindet sich im
EU-Beitrittsprozess. Volić hofft, dass sich allmählich auch die serbische
Gesellschaft ändern wird und die Pride ohne den Einsatz von Sondereinheiten
der Polizei stattfinden kann.
Auch das Infozentrum trägt dazu bei. Die Bürger gewöhnen sich an den
Anblick sexuell anders orientierter Menschen. Jedoch ist das Zentrum nur
ein Pilotprojekt, eine Woche nach der Pride wird es wieder geschlossen. Das
Geld, das sechs verschiedenen Menschenrechts- und LGBT-Organisationen
gesammelt haben, reicht nur für knapp einen Monat. Weitere serbische
Unterstützer fanden sich nicht.
## Ministerpräsidentin Brnabić
Nicht unwesentlich für die behutsam wachsende Wahrnehmbarkeit der
serbischen LGBT-Gemeinschaft ist auch Ana Brnabić. Im Juni wurde sie zur
Ministerpräsidentin gewählt – sie ist lesbisch und hält das nicht geheim.
Staatspräsident Aleksandar Vučić hatte sich hinter sie gestellt und sie bei
der Kandidatur unterstützt. Staatspräsident Vučić galt früher als
Rechtsextremist, Nationalist und Hooligan, vor acht Jahren vollzog er
jedoch einen Wandel zum proeuropäischen Politiker.
„Die lesbische serbische Ministerpräsidentin ist für mich nur eine Fassade,
wie so vieles andere in Serbien“, sagt der Theaterregisseur Vojislav
Arsić. Er ist schwul und lebt in Belgrad. So sei das auch mit der Pride:
die Teilnehmer_innen werden durchsucht, gekennzeichnet, von Polizisten
beschützt, die sie komisch anschauen. Dann dürfen sie einige hundert Meter
marschieren. Dies alles verursache ein grässliches Gefühl. Doch Arsić weiß:
Es gibt keinen anderen Weg. Man könne nur hoffen, dass es mit der Zeit
besser werde, wie mit der Pride in Zagreb, an der er 2012 teilnahm und die
ein richtiges Fest gewesen sei. Er hofft, dass sich auch die Belgrader
Pride von einem „Protest für Menschenrechte in ein Fest verwandeln würde,
das Menschenrechte feiert“.
„Natürlich werde ich an der Belgrader Pride teilnehmen, weil mein Platz
dort ist“, sagt Arsić. Unbehagen wird er allerdings auch diesmal fühlen,
trotz all der Politiker, die dort posieren werden, trotz der lesbischen
Ministerpräsidentin, trotz der Toleranz, die die Politik in letzter Zeit
gegenüber der LGBT-Gemeinschaft gezeigt habe, denn das alles, auch dass die
Pride überhaupt stattfinden könne, habe nur mit einem zu tun: dem Gehorsam
gegenüber Staatspräsident Vučić, der befohlen habe, dass die Pride
stattfinden dürfe. In der serbischen Gesellschaft habe sich aber im
Wesentlichen nichts geändert.
Sehnsüchtig erinnert sich Arsić an seine erste Reise nach New York mit
seinem damaligen Freund. Sie seien aus der Metro ausgestiegen, sagt er,
hätten sich angeschaut und sich mitten auf der Straße, am helllichten Tage
geküsst. Sie seien „völlig benommen“ gewesen, wie verrückt von diesem
bislang unentdeckten Gefühl, in der Öffentlichkeit zärtlich zueinander sein
zu dürfen, als Paar durch die Straßen gehen zu können.
In Serbien spricht kaum ein Politiker mit wirklicher Überzeugung über die
Pride, man beruft sich auf die „vom Westen geforderten“ Menschenrechte.
Darauf angesprochen, ob er denn an der Pride teilnehmen werde , antwortete
der Staatspräsident: „Ich habe an diesem Tag Besseres zu tun, und auch wenn
ich nichts Besseres zu tun hätte, würde ich nicht hingehen, weil mich das
nicht interessiert.“
16 Sep 2017
## AUTOREN
Andrej Ivanji
## TAGS
Serbien
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Gay Pride
Belgrad
Lesestück Recherche und Reportage
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Montenegro
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
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Randale.
KOMMENTAR EUROVISION SONG CONTEST: Galaxie des Eurokitsch
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beim Gay Pride wieder Schwule zu jagen. Die Eurovision kommt nach Baku, na
und? Pest trifft Cholera.
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