Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Die Lockenwicklernattern
> Kate öffnet den Kofferraum, nimmt einen Bademantel heraus und zieht ihn
> an. Zu guter Letzt dreht sie sich Lockenwickler in die Haare …
Manche Leute möchte man lieber nicht kennen. Bisweilen lässt es sich aber
nicht vermeiden, weil sie enge Freunde von Verwandten sind und stets zu
Familienfesten eingeladen werden. Dave und Kate sind solch ein Pärchen.
Beide sind Ende sechzig und seit fast 50 Jahren durch ein gemeinsames Hobby
untrennbar verbunden – die Liebe zum Alkohol.
Dave interessiert sich für Politik, sofern sie Einfluss auf sein Hobby hat.
Er mag die Regierung nicht. Dafür gäbe es viele Gründe, aber für Dave zählt
nur einer: Die Regierung ist auf die Idee verfallen, Mindestpreise für
alkoholhaltige Getränke einzuführen. „Damit sollen jetzt angeblich die
Kosten für Alkoholkrankheiten gesenkt werden“, tobt Dave. „Als ob
Alkoholismus ein Problem der Unterschicht wäre. Die reichen Säcke lachen
sich doch tot und betrinken sich weiterhin mit Châteauneuf-du-Pape für 20
Euro die Flasche.“
Damit hat er recht, aber wie immer ist ihm ein Ausweg eingefallen. „Im
Winter kostet die Fähre nach Frankreich 100 Euro pro Strecke für ein Auto
und zwei Passagiere“, sagt er. „Jeder darf 120 Flaschen mitnehmen. Wenn der
Wein fünf Euro billiger als in Irland ist, hast du tausend Euro gespart.“
Wenn man außerdem ein paar Flaschen Schnaps mitnehme, lohne sich die Sache
erst recht.
„Nächstes Jahr werde ich 70“, sagt Dave. „Da kann ich gleich doppelt so
viele Flaschen einkaufen und behaupten, sie seien für mein Geburtstagsfest.
Da sind die Zöllner machtlos!“ Im darauffolgenden Jahr wird Kate 70. Bis
2020 ist der flüssige Nachschub also gesichert. „Bis dahin ist der Brexit
vollzogen“, frohlockt Dave. „Dann kann man in Nordirland zollfrei
einkaufen.“
Das Stammlokal der beiden Hobbytrinker ist das „Brazen Head“, Dublins
älteste Kneipe am Südufer der Liffey. Hier stoßen allerdings drei
Polizeibezirke aneinander, sodass die Chance einer Alkoholkontrolle dreimal
so hoch ist wie auf der anderen Seite der Brücke, wo es nur einen Bezirk
gibt. Deshalb parken Dave und Kate auf der Nordseite.
Neulich musste ich mit in die Kneipe. Zum Zapfenstreich sind beide voll wie
die Nattern. Bevor sie ins Auto einsteigen, nimmt Kate Reinigungstücher aus
ihrer Handtasche und schminkt sich unter einer Laterne mit Hilfe eines
Taschenspiegels ab. Dann macht sie sich die Fingernägel mit
Nagellackentferner sauber. Ob sie zu Hause Stromausfall haben, frage ich,
doch Kate ignoriert mich.
Stattdessen öffnet sie den Kofferraum, nimmt einen Bademantel heraus und
zieht ihn an. Zu guter Letzt dreht sie sich Lockenwickler in die Haare und
bindet ein Kopftuch um. Jetzt sieht sie aus, als sei sie gerade aus dem
Bett gekrochen.
Das sei ja auch Sinn der Sache, erklärt Dave. „Wenn uns jetzt eine
Polizeistreife anhält, denkt der Beamte, dass die arme Frau aufstehen
musste, um ihren besoffenen Mann aus der Kneipe abzuholen“, sagt er. „Kein
Polizist käme auf die Idee, sie ins Röhrchen blasen zu lassen, wir werden
immer durchgewunken.“
11 Sep 2017
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
## TAGS
Irland
Schwerpunkt Brexit
Alkoholismus
Paris
Irland
Hochzeit
Irland
Irland
Diät
Nordirland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Eiffelturm ohne Oscar
Zum Auftakt der französischen Woche auf der Wahrheit: Ralf Sotscheck
erinnert sich an ein Bauwerk, dass ihm einst Kopfzerbrechen bereitete…
Die Wahrheit: Kampf dem Rhodidunndrumm
Während in Deutschland neuerdings braune Arschlöcher ins Parlament gewählt
werden, darf in Irland manch seltsamer Kauz Abgeordneter werden.
Die Wahrheit: Freigelassene Hochzeitsgäste
Trauungsfeiern werden immer opulenter. Aber warum lässt man zur Vermählung
ausgerechnet Schmetterlinge aufsteigen?
Die Wahrheit: Die Drumcondra-Connection
Ray Burke bekleidete von 1979 bis 1997 praktisch jedes Amt im Kabinett –
und deklarierte Bestechungsgelder in seiner Steuererklärung nicht.
Die Wahrheit: Der Schildawald
Um es kurz zu machen: Irland führt so manches im Schilde. Doch lesen Sie
selbst …
Die Wahrheit: Zehn ganze Portionen am Tag
„Nach zwei Tagen komme ich mir vor wie eine Komposttonne. Wozu ewig leben,
wenn man dafür auf Laub herumkauen muss? …“
Die Wahrheit: Mumien, die auf Ziegen reiten
Einem Mitglied des nordirischen Oranier-Ordens ist etwas Schlimmes
aufgefallen: Ein katholischer Brauch hat sich bei den Protestanten
eingeschlichen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.