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# taz.de -- Oligarch in Tschechien ohne Immunität: Mit EU-Geldern reich geword…
> Das Parlament hebt die Immunität des Milliardärs Andrej Babiš auf.
> Trotzdem wird er im Oktober wohl zum Regierungschef gewählt.
Bild: Andrej Babiš im tschechischen Parlament: „Ihr werdet mich nicht los!“
Prag taz | An jedem ersten Mittwoch im Monat um Punkt zwölf Uhr mittags
prüft die Stadt Prag ihre Sirenen, und ein lautes Heulen erstreckt sich
über die Moldaustadt. Zwölf Uhr mittags war es gestern auch für Andrej
Babiš: Das tschechische Abgeordnetenhaus beschloss, die parlamentarische
Immunität des Oligarchen, seit seinem erzwungenen Rücktritt als
Finanzminister im Mai einfacher Abgeordneter seiner Bewegung ANO,
aufzuheben.
Die tschechischen Behörden wollen es ihren Kollegen vom europäischen Amt
für Betrugsbekämpfung gleichtun, das den Milliardär seit über einem Jahr im
Visier hat. Babiš steht unter Verdacht, für den Bau seiner Luxus-Hacienda
„Storchennest“ EU-Subventionen in Höhe von umgerechnet rund 1,8 Millionen
Euro erschlichen zu haben. Um aus Fördertöpfen für kleine und
mittelständische Betriebe zu schöpfen, soll Babiš eine der rund 200 Firmen
seiner Holding Agrofert (Jahresumsatz: 6,2 Milliarden Euro) zweckmäßig
ausgegliedert haben.
Babiš gab sich während der Parlamentssitzung theatralisch. Und forderte
selbst die Aufhebung seiner Immunität. „Mich werdet ihr nicht los“,
erklärte er trotzig.
Damit hat er recht. Am 20. und 21. Oktober wählt Tschechien ein neues
Abgeordnetenhaus. Und Babiš’Bewegung ANO, die in den Umfragen mit rund 30
Prozent vorne liegt, würde zur stärksten Partei werden.
Der Betrugsverdacht spielt da keine Rolle. Präsident Miloš Zeman hat schon
erklärt, er werde Babiš unabhängig von den polizeilichen Ermittlungen im
Falle eines Wahlsiegs zum Ministerpräsidenten ernennen.
## Allgegenwärtiger Politfrust
In diesem Fall wird Andrej Babiš sein Ziel erreicht haben: Die Belange des
Staates werden in den Händen des Mannes liegen, der ihm und seiner Holding
am meisten wohlgesinnt ist: ihm selbst.
Der 62-jährige gebürtige Slowake, der im Windschatten des kommunistischen
Außenhandels der ehemaligen sozialistischen Tschechoslowakei groß und
mithilfe alter Seilschaften reich geworden ist, hat sein Imperium aus
Chemie- und Lebensmittelunternehmen, das bis Deutschland reicht, vor allem
auf staatlichen Aufträgen und europäischen Fördermitteln aufgebaut.
Seit 2005 fließen jährlich EU-Fördermittel in Höhe von durchschnittlich 25
Millionen Euro in die Agrofert. Obwohl er wie kein anderer von
EU-Subventionen profitiert, setzt Babiš in seinem Wahlkampf auf die
Anti-EU-Karte. Die Euroeinführung lehnt er genauso ab wie die
Flüchtlingsquote.
„Andrej Babiš ist ein typischer Ost-Oligarch“ meint der Journalist und
Medienmanager Pavel Šafr. „Seine Stellung im kommunistischen Regime hat es
ihm ermöglicht, in der Zeit der Transformation zu übernehmen. Das nutzt er
heute für Geschäfte mit dem Staat“, erläutert Šafr.
Wie „sein“ Staat aussehen soll, hat Babiš jüngst in seinem Buch „Wovon …
träume, wenn ich zufällig mal schlafe“ erklärt: Er will die Mandate im
Abgeordnetenhaus von 200 auf 100 halbieren und den Senat ganz abschaffen.
„Damit schwächt er die demokratische Gewaltenteilung“, sagt Šafr.
Die vierte Macht im Staat hat Babiš schon längst kastriert, als er 2013 das
größte Medienhaus des Landes übernahm. Als vergangene Woche ans Licht kam,
dass Babiš als Finanzminister die Steuerfahndung dazu missbraucht hatte,
unliebsame Konkurrenten seiner Holding wirtschaftlich zu liquidieren,
machte eine seiner Zeitungen mit einer Geschichte über
Geschlechtsumwandlungen bei Fischen auf.
Dass beim tschechischen Wähler hier nicht alle Sirenen heulen, hängt nicht
nur mit der Medienmacht von Babiš, sondern auch mit dem allgegenwärtigen
Politfrust zusammen. Babiš ist raffiniert genug, sich in der Öffentlichkeit
mithilfe ein paar gekaufter Intellektueller hinter der Maske des liberalen
Antikorruptionskämpfers zu verstecken.
Ab Oktober wird sich zeigen, welch „lupenreiner Demokrat“ sich dahinter
verbirgt.
6 Sep 2017
## AUTOREN
Alexandra Mostyn
## TAGS
Tschechien
Andrej Babis
Betrug
Immunität
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Schwerpunkt Flucht
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