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# taz.de -- Toter Offiziersanwärter in Munster: Friendly Fire nach dem Marsch
> Die Soldaten, die nach einer Übung kollabierten, mussten Strafmärsche
> absolvieren. Die Sepsis, an der einer starb, könnte damit zusammenhängen.
Bild: Bundeswehrkaserne in Munster: Hier waren die Offiziersanwärter stationie…
Berlin taz | Aufputschmittel wären einfach gewesen. Junge Soldaten werfen
sich vor dem Marschieren ein paar Pillen ein, nach einigen Kilometern
brechen sie zusammen, einer stirbt später im Krankenhaus. Tragisch, aber
selber schuld: Zu Beginn der Woche schien der Fall der Offiziersanwärter,
die im Juli im niedersächsischen Munster kollabierten, schon so gut wie
gelöst. Die [1][Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte da über angebliches
Doping] in dem Ausbildungszug berichtet.
Am Ende der Woche sieht die Sache komplizierter aus. Ermittler der
Bundeswehr haben Soldaten befragt, Spinde durchsucht und Blutproben
untersucht – und dabei keine Hinweise auf verbotene Substanzen gefunden.
Dafür fanden sie heraus, dass die Marschübung am 19. Juli härter war als
bisher bekannt. Das geht aus einem Zwischenbericht des
Verteidigungsministeriums an den Bundestag hervor, über den am Donnerstag
[2][zunächst die Rheinische Post berichtete] und der auch der taz vorliegt.
Vier Soldaten seien bei leichten Eingewöhnungsmärschen kollabiert, hatte
die Bundeswehr bisher angegeben. Die Übung sollten sie mit leichtem Gepäck
und ohne Zeitvorgabe absolvieren. Ziel sei es wie üblich gewesen, sie
schrittweise an körperliche Belastungen heranzuführen.
Tatsächlich steht für die Offiziersanwärter am 19. Juli ein
Eingewöhnungsmarsch auf dem Dienstplan. In der Grundausbildung ist eine
solche Übung über wenige Kilometer für den ersten Ausbildungsmonat
vorgesehen. Das Pensum soll für den Anfang reichen, nach wenigen Wochen in
der Armee sind schließlich noch nicht alle Soldaten richtig fit.
In Munster soll der Marsch im Gelände beginnen, etwas mehr als drei
Kilometer von der Kaserne entfernt. Nach dem Transport zum Startpunkt
stellen die Ausbilder aber fest, dass 29 der 43 Offiziersanwärter nicht
ihre komplette Ausrüstung dabei haben. Um die fehlenden Gegenstände zu
holen, müssen sie „stellenweise im Laufschritt“ zurück marschieren.
## Zusammenbruch vor der Kaserne
150 Meter vor der Kaserne bricht der erste Soldat zusammen. Die
Vorgesetzten lassen ihn in erst in den Sanitätsbereich der Kaserne fahren,
von dort kommt er ins Krankenhaus. Zehn Tage später stirbt er dort.
Die restlichen Soldaten marschieren am 19. Juli die drei Kilometer zurück
ins Gelände, einige müssen zwischendurch Liegestütze machen. Eine
Offiziersanwärterin ist währenddessen „kurzzeitig benommen und nicht
ansprechbar“, läuft aber trotzdem weiter. Später am Tag passiert ihr das
noch zwei Mal.
Im Gelände angekommen, machen die Soldaten in den nächsten Stunden weitere
Übungen und Pausen. Am Nachmittag beginnt dann der ursprünglich
vorgesehene, reguläre Eingewöhnungsmarsch. Zwei weitere Offiziersanwärter
„fallen aus“ und kommen ins Krankenhaus. Dort müssen sie zwei Wochen lang
bleiben, inzwischen absolvieren sie mehrwöchige Rehamaßnahmen.
Der nächste Soldat bricht ganz am Ende des Marsches zusammen. Im
Hubschrauber kommt er ins Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg. Sein Zustand
ist einen Monat später immer noch kritisch.
## 11 von 43
Ein weiterer Soldat sitzt nach der Übung auf einem Stuhl in der Unterkunft
und ist kurzzeitig nicht ansprechbar, kann seinen Dienst danach aber
fortsetzen. Fünf andere Offiziersanwärter klagen während der Märsche über
Schmerzen und Beschwerden an den Knien, Unterschenkeln, Füßen oder am
Bauch.
11 von 43 jungen Soldaten, ein Viertel des Ausbildungszuges, sind
angeschlagen, benommen, leicht verletzt, schwer verletzt oder tot – nach
einer Übung, die die Ausbilder zur Strafe für vergessene Gegenstände
deutlich verschärft haben. Durften sie das?
Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte am Freitag, es sei nicht
ungewöhnlich, dass Soldaten in der Grundausbildung zurück zur Kaserne
marschieren müssen, um vergessene Ausrüstung zu holen. „Das ist ein
Vorgang, der sicherlich nicht alleine steht in der Bundeswehr.“ Von einem
Strafmarsch wolle er dabei nicht sprechen, lieber von einer „erzieherischen
Maßnahme“.
Wann solche Maßnahmen zulässig sind, regelt die Bundeswehr [3][in einem
speziellen Erlass]. Die Maßnahmen sollen „Gleichgültige anspornen, sowie
Unwillige wirksam an ihre Pflichten erinnern“. Vorgesehen sind
Zurechtweisungen, Meldungen an die Vorgesetzten, schriftliche Strafarbeiten
oder die „Verlängerung eines einzelnen Teilabschnitts der Ausbildung“.
Alles steht aber unter der Vorgabe, die „Unversehrtheit der Person“ und die
„Gesundheit der Soldatinnen und Soldaten“ zu beachten. Haben die Ausbilder
in Munster das berücksichtigt?
## Organversagen wegen Sepsis
Der Sprecher des Verteidigungsministeriums sagt, er warne vor voreiligen
Schlüssen. Ob der Extramarsch für die Erkrankungen „kausal war, ob er
mitursächlich war oder einer von vielen Faktoren“, sei noch nicht klar.
Entscheidende Details sind tatsächlich noch offen. Worunter die Soldaten im
Krankenhaus und in der Reha genau leiden, ist zum Beispiel nicht öffentlich
bekannt. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg, die den Vorgang prüft, teilte
bisher nur ein erstes Obduktionsergebnis mit. Eine Sprecherin der Behörde
sagte der taz, die Todesursache des verstorbenen Soldaten sei ein
„Multiorganversagen in Folge einer Sepsis“.
Was passiert bei so einer Erkrankung? Michael Bauer ist Professor am
Sepsis-Zentrum der Uniklinik Jena und sagt: „Bei einer Sepsis reagieren das
Immun- und andere Abwehrsysteme nicht angemessen auf eine Infektion. Sie
sollen eigentlich den Erreger bekämpfen, übertreiben es aber und machen
sozusagen Friendly Fire: Sie greifen auch eigene Organe an.“ Wenn das erste
Organ versagt, beginnt eine Abwärtsspirale. Eines nach dem anderen fällt
aus – bis zum Tod des Patienten.
Besonders anfällig seien Menschen mit ohnehin geschwächtem Abwehrsystem:
kranke, junge oder alte. „Die Wahrscheinlichkeit, dass die Abwehrsysteme
nicht mehr richtig reagieren können, steigen aber auch, wenn man sich bei
einem Marsch komplett verausgabt hat und den Körper damit einem extremen
Stress ausgesetzt hat“, sagt Bauer.
## Eilmarsch zur Strafe
Drei Kilometer in Uniform und in Laufschritt, bei [4][Höchsttemperaturen
von rund 28 Grad und einer relativ hohen Luftfeuchtigkeit über 50 Prozent]:
Ob das ausreichte, um eine Sepsis auszulösen ist noch nicht geklärt. Die
Staatsanwaltschaft hat bei der Rechtsmedizin weitere Untersuchungen in
Auftrag gegeben, die Bundeswehr setzt ihre interne Untersuchung fort.
Vielleicht lohnt es sich, wenn sie dabei einen Blick in ihre eigenen
Archive wirft. Schon im Jahr 2010 [5][bemängelte der Wehrbeauftragte des
Bundestags einen Eingewöhnungsmarsch], bei dem „die erlaubte Marschlänge
von fünf Kilometern verdoppelt“ und „ein Marschgepäck von bis zu zehn
Kilogramm befohlen wurde, obwohl die entsprechende Ausbildungsvorschrift
bei einem Eingewöhnungsmarsch ausdrücklich kein Gepäck vorsieht“.
Weil im Gepäck der Rekruten bestimmte Kleidungsstücke fehlten, mussten sie
die letzten 600 Meter zur Strafe schneller laufen. „Dieser abschließende
Eilmarsch“, so heißt es im Bericht, „führte zum Ausfall von sieben
Soldaten, von denen drei im Krankenhaus behandelt werden mussten.“
18 Aug 2017
## LINKS
[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/bundeswehr-kollabierte-soldaten-n…
[2] http://www.rp-online.de/politik/bundeswehr-kollabierte-soldaten-waren-auch-…
[3] https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&a…
[4] http://www.muedenwetter.de/vergleichen.php?year=2017&month=08&dt=18
[5] http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/17/009/1700900.pdf
## AUTOREN
Tobias Schulze
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