Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Facebook-Musical in Bremen: Die Poesie der AGB
> Zwei Milliarden Menschen haben bereits ein Häkchen unter die AGB von
> Facebook gesetzt. Ungeprüft. Diesen Schlüsseltext der Gegenwart macht nun
> die No-Budget-Bühne des Deutschen Nationaltheaters Bremen zugänglich.
Bild: Könnte zum Exportschlager der freien Bremer Theaterszene werden: „Face…
BREMEN taz |Sei du selbst, poste, like und zeige dich. Ob älter oder
jünger, sie haben alle dieses Lächeln der schönen neuen Welt aufgesetzt.
Absolvieren mit Show-Tanz-Elementen und Disco-Posen-Ironie eine
Choreografie der guten Laune. Und der uniformen Selbstinszenierung – im
Modedesign Mark Zuckerbergs: graues T-Shirt über blauer Jeans. Ja, hier
frohlocken leicht zu beglückende, nützliche Idioten des Zuckerberg’schen
Imperiums, das soziale Medien kostenlos zur Verfügung stellt und sich mit
den Daten der Nutzer bezahlen lässt.
Diesem Prinzip haben bereits mehr als zwei Milliarden Menschen zugestimmt.
Nämlich ein Häkchen gesetzt und so die allgemeinen Geschäftsbedingungen von
Facebook anerkannt. Aber zumeist nicht gelesen. Deswegen werden sie nun in
Bremen getanzt, gesungen und gespielt: „Facebook-AGB – das Musical“.
Selbstverständlich inklusive Cookie-, Daten-, Werberichtlinien, den
Grundsätzen und Privatsphäre-Ausführungen sowie Sondererklärungen für
Nutzer mit Wohnsitz in Deutschland.
Zusammengenommen sind das, mit allen Verweisen und Unterpunkten, 20.000
Worte mehr als „Faust 1“ – „fast 100 DIN-A4-Seiten“, sagt Regisseur P…
Gahmert. Er ließ sich die Sätze von Juristen übersetzen, von Bremens
Datenschutzbeauftragtem erklären – und will nun möglichst vielen Menschen
seine Forschungsergebnisse verkünden, um für Datenschutz zu
sensibilisieren.
Was liegt da näher, als den Zuschauergenerator anzuwerfen und [1][ein
Musical zu inszenieren]. Die AGB kritisch unterhaltsam unters Volk zu
bringen mit einem Corps de ballet, ganz viel Musik und noch mehr Gefühl –
in Form einer Liebesgeschichte in Lackrosa. Uraufführung wurde mit einem
15-köpfigen Ensemble in der schönen Schäbigkeit des ehemaligen
Güterbahnhofs gefeiert.
Die Urlesung des Textes fand noch [2][im Deutschen Nationaltheater Bremen]
statt. Es ist nicht ganz so groß wie die entsprechenden Institutionen in
München, Mannheim und Weimar, sondern ein Ein-Personen-Stück von Peer
Gahmert.
Der nichts mit dem historischen Projekt zu tun haben will, Hoch- und
Volkskultur zusammenzuführen, um einen gemeinsamen Wertekanon fürs
Erweckungserlebnis Nationalbewusstsein zu etablieren. „Nationaltheater
klingt einfach groß, wichtig und traditionsreich“, sagt Gahmert. Also nach
all dem, was das 2016 gegründete Nationaltheater in Bremen nicht ist. Man
muss wissen: Der selbst ernannte „ewige Generalintendant“ ist Satiriker.
Schreibt für einschlägige Medien. Und guckt jeden Morgen stundenlang fern,
um sein Onlinemagazin „eine-zeitung.net“ mit kauzigen Politkommentaren zu
[3][bereichern].
Er bastelt zudem Theaterstücke aus Romanen – gerade „Per Anhalter durch die
Galaxis“ für die Kaserne Basel. Und inszeniert. Demnächst „Souvenir“ in…
Bremer Etage: Stephen Temperleys Fantasie über die Möchtegernopernsängerin
Florence Foster Jenkins. Die Hauptbühne des Nationaltheaters war bisher die
Kneipe Gastfeld. 20 Abende hat Gahmert dort gestaltet – mal einen
ugandischen Actionfilm gezeigt, mal eine nordkoreanische Propagandakomödie.
Auch die Dresdner Hetzrede des AfDlers Björn Höcke dargeboten. Und
Live-Tutorials veranstaltet: „Wie hacke ich mich in ein AKW, und was tue
ich dort.“
Jetzt wagt er mit Kollege Tim Gerhards den Sprung ins große Showgeschäft:
Entertainment als Mittel zum Zwecke der Aufklärung. Nicht mehr auf den Hut
wird gespielt, sondern richtig Eintritt an der Kasse verlangt. Nach dem
Solidaritätsprinzip. Man bekommt ein Ticket für drei, darf aber auch 100
Euro dafür hinblättern. „Das klappt gut, die meisten zahlen so zwölf Euro�…
sagt Gahmert. Aber schon vorab hat er mehr als 20.000 Euro an Fördergeldern
für sein verrückt schlüssiges Musik-AGB-Theater-Konzept eingeworben.
Die kompliziert verschachtelten Definitionen, Klauseln und
Rechtebehauptungen sollen komplizierte Sachverhalte noch komplizierter
machen, so erklären die Bühnenperformer. Damit es wirklich keiner verstehe,
würde alles unlesbar kleingeschrieben – oder in Versalien, damit
Satzzeichen nicht mehr zu erkennen seien.
Was Facebook mit den AGB sinngemäß formuliert? „Wir nehmen alle deine Daten
und protokollieren, solange du eingeloggt bist, dein Verhalten im Internet,
gucken auch mal, was du sonst noch so auf dem Rechner hast und sagen dir
bestimmt nicht, was wir mit all den Informationen machen“, interpretiert
Gahmert die Facebook-Devise. Aber weiß das nicht inzwischen jeder – und
macht trotzdem weiter mit? Auch Gahmert hat eine Facebook-Seite fürs
Musical eröffnet – als Scherz mit Werbewirkung.
Ihrer eigenen Dramaturgie gemäß beginnen die AGB-Ausführungen im O-Ton
immer ganz nett. „Dir gehören alle Inhalte und Informationen, die du auf
Facebook postest“, steht da. Dann aber heißt es: „Du gewährst uns eine
nicht exklusive, übertragbare, unterlizenzierbare, weltweite Lizenz für die
Nutzung jedweder IP-Inhalte“ – eben aller geposteten Texte, Fotos, Videos.
„Man verzichtet praktisch auf seine Urheberrechte“, konstatiert das
Schauspielensemble.
Und rezitiert weiter. Facebook habe dank des AGB-Häkchens von jedem der
chronisch geduzten Nutzer die Erlaubnis bekommen, Namen und Profilbild „für
kommerzielle, gesponserte oder verwandte Inhalte, die von uns zu Verfügung
gestellt oder gestaltet werden, einzusetzen“. „Ohne mich zu fragen, können
die mein Foto und meinen Namen nehmen und mit einer Werbekampagne Geld
verdienen, die behauptet: Peer Gahmert mag Mercedes. Weil ich deren Seite
aus Spaß mal gelikt habe“, so Gahmert.
All die empörenden Machtpotenziale, die Facebook sich angeeignet hat, nicht
pädagogisch, belehrend oder gar verteufelnd, sondern mit kabarettistischem
Schwung luftig-leicht aufzuspießen – gelingt frappierend. Gerade weil die
Inszenierung der spröden Vorlage karg komisch daherkommt. Die Lecture
Performance wird zudem in schriller Schlichtheit gerahmt mit einer Illusion
von Drama.
Ludmilla Euler spielt bärbeißig graziös eine Schriftstellerin, die sechs
Jahre lang die tiefgründige AGB-Poesie aus dem Wörtermassiv der deutschen
Sprache herausgedrechselt hat und nun rasend leidet, dass niemand dieses
Meisterwerk der Gegenwartsliteratur verlegen will. So steigt sie in den
Fahrstuhl zum sozialen Schafott: Alkoholismus, noch mehr Drogen,
Prostitution, Obdachlosigkeit … ach, als Retter naht ein junger
Computernerd, der ein soziales Netzwerk online an den Start bringen will
und noch ein paar allgemeine Geschäftsbedingungen braucht.
Klar, was folgt: Küsse, Karriere und Kotzbrockenarroganz.
Zuckerberg-Darsteller Mateng Pollkläsener tönt: „Meine Nutzer sind alle
Idioten.“ Und die AGB-Autorin strahlt. Ein Viertel der Menschheit hat ihr
Werk (nicht) gelesen, und jeden Tag werden es mehr.
Richtig gut funktioniert, die abschreckenden Endlossätze auf prägnante
Songlyrics herunterzubrechen. Mit possierlichen Reimen wie „Kostet kein
Geld, die schöne neue Welt“. Drumherum erklingen leider nur billig
recycelte Pop- und Musicalhit-Klischees, die in der Klangsterilität des
Genres aufgenommen wurden und wie Karaokemusik zugespielt werden.
Richtig lebendig wird es nur, wenn Lena Meckel rappt – und so eine Form für
emotionalen Ausdruck findet. Wären einzig darstellende Künstler dabei, die
als Schauspieler und Sänger zu überzeugen wüssten, könnte dieser lässig
verspielte Abend ein Exportschlager der freien Bremer Theaterszene werden.
Charmant ist er schon jetzt.
15 Aug 2017
## LINKS
[1] http://facebook-agb-das-musical.de/
[2] https://dntb.de/
[3] http://www.eine-zeitung.net
## AUTOREN
Jens Fischer
## TAGS
Schwerpunkt Meta
Musical
Datenschutz
Lesestück Meinung und Analyse
Berliner Volksbühne
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ewiges Gedächtnis von Facebook: Ein Gefühl der Ohnmacht
Kein Vergessen: Bilder, die unsere Autorin in ihrer Jugend veröffentlicht
hat, bleiben für immer verfügbar. Sie hat keinen Einfluss auf ihre Daten.
Kolumne Der Zuckerberg | Teil 6: Die Ostbühne
Ein vom Staat subventioniertes Theater bekommt eine neue Leitung. Das Volk
heult auf, als hätte man das Ampelmännchen geköpft.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.