# taz.de -- Kommentar US-Angriffe auf Syrien: Nicht besser als Putin | |
> Die USA töten im Kampf gegen den IS wahllos Zivilisten – und lügen | |
> hinterher dreist. Seit Trumps Amtsübernahme soll sich die Zahl verdoppelt | |
> haben. | |
Bild: Die Anti-IS-Koalition gibt vor, islamistischen Terror zu bekämpfen, töt… | |
Am 16. März 2017 kreisen US-amerikanische Reaper-Drohnen über dem Himmel | |
von al-Jinah, einem kleinen Dorf nahe Aleppo, das von Rebellen | |
kontrolliert wird. Die Operatoren der unbemannten Flugzeuge haben eine | |
Moschee im Visier. Sie entscheiden sich für die Vernichtung und drücken ab. | |
Zwischen 19.00 und 19.30 Uhr – während des Abendgebets – treffen acht | |
Hellfire-Raketen das Gebäude. Anschließend wirft ein bemanntes Flugzeug | |
eine über zweihundert Kilogramm schwere Bombe ab. Dutzende von Menschen | |
sterben oder werden schwer verletzt. | |
Die Angaben zur Anzahl der Todesopfer variieren. Beobachter vor Ort | |
berichteten anfangs von über 50 Todesopfern, während die Syrische | |
Beobachtungsstelle für Menschenrechte von 29 Toten sprach. Der Syrische | |
Zivilschutz, auch bekannt als Weißhelme, berichtete von mindestens 35 | |
Todesopfern und war – so wie nach vielen Bombardements in Syriens | |
Rebellengebieten – kurz nach dem Angriff vor Ort, um Menschenleben zu | |
retten. Letztendlich kam Human Rights Watch zum Schluss, dass mindestens 38 | |
Menschen – allesamt Zivilisten – den Drohnenangriffen zum Opfer gefallen | |
waren. | |
Doch das Pentagon will von all dem nichts wissen. Laut US-Offiziellen war | |
ein „Al-Qaida-Treffen“ das Ziel des Angriffs. Demzufolge wurden | |
hauptsächlich „Terroristen“ getötet. Von maximal einem zivilen Opfer – | |
„womöglich einem Kind“, wie es in einem vor kurzem erschienenen Bericht der | |
US-Regierung heißt – ist die Rede. | |
Im Pentagon ist man der unerschütterlichen Meinung, im Recht gewesen zu | |
sein und dementsprechend richtig gehandelt zu haben. Das Problem: Das | |
US-Militär hatte weder den Tatort besucht noch andere Untersuchungen vor | |
Ort eingeleitet. Das Vorgehen des Pentagons lässt sich auch anders | |
bezeichnen: nämlich als dreistes Lügen. Man hat sich damit seine eigene | |
Wahrheit geschaffen, die – wieder einmal – mit der Realität nichts zu tun | |
hat und ausschließlich das eigene Gewissen bereinigen soll. | |
## Kaum Berichte über sogenannte Kollateralschäden | |
Diese Haltung des US-Militärs ist keine Ausnahme, sondern mittlerweile die | |
Regel. Seitdem der Kampf gegen den IS im Irak und in Syrien begonnen hat, | |
tötet die Anti-IS-Koalition regelmäßig Zivilisten. Medial gerät das Ausmaß | |
dieser sogenannten Kollateralschäden oftmals in den Hintergrund, während | |
westliche Politiker weiterhin vom vermeintlich gerechten und notwendigen | |
„Kampf gegen den Terror“ schwadronieren. Ironischerweise wird in diesem | |
Kontext oftmals Russland kritisiert, welches in Syrien ebenfalls | |
militärisch interveniert und dabei genauso brutal vorgeht. Der Tenor: An | |
der Seite von Assad tötet Russland Zivilisten – wir tun das nicht. | |
„Die Ziele, die laut den Amerikanern Verbindungen zu al-Qaida hatten, waren | |
Zivilisten und hatten keinerlei Verbindungen zu militärischen | |
Organisationen. Einige von ihnen waren Religionslehrer“, sagte Jamil Ahmad, | |
ein Mitglied der Syrischen Weißhelme, in einem Interview. Ahmad befand sich | |
im Dorf, als die Moschee angegriffen wurde. „Die erste Rakete traf die | |
Lehrer in der Moschee. Als die Menschen in Panik ausbrachen und versuchten | |
zu fliehen, schlug eine weitere Rakete ein und tötete viele Zivilisten“, so | |
Ahmad. Unter anderem wurden der Imam der Moschee und mindestens fünf Kinder | |
bei dem Angriff getötet. Zehn Todesopfer konnten nicht mehr identifiziert | |
werden. | |
Dass der Westen nicht besser als Putin ist, wird nicht nur in al-Jinah, | |
sondern in ganz Syrien deutlich, wo zwischen Ende Mai und Ende Juni 2017 | |
von der Koalition mindestens 500 Zivilisten zu Tode bombardiert wurde. Laut | |
der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte handelte es sich dabei | |
um die höchste Anzahl von zivilen Opfern, die von der Koalition innerhalb | |
eines Monats verursacht wurde. Demnach hat der Westen in diesem Zeitraum in | |
Syrien mehr Menschen getötet als Russland, Assads Armee sowie der IS | |
zusammen. Da Russland allerdings insgesamt mehr Zivilisten getötet hat als | |
die USA und ihre Verbündeten, steht das russische Militär weiterhin an der | |
Spitze. | |
Wie lange das noch so bleibt, wird sich zeigen. Während die Zahl der | |
zivilen Opfer der Russen in den letzten Monaten sank, stiegen die Anzahl | |
der von der westlichen Koalition getöteten Zivilisten an. De facto sind | |
seit der Amtsübernahme Donald Trumps über 2.000 Zivilisten durch | |
US-amerikanische Bomben umgekommen. Laut Airwars, einer | |
Journalistenorganisation, die die Luftangriffe der Anti-IS-Koalition in | |
Irak und in Syrien beobachtet, hat sich die Anzahl ziviler Opfer durch | |
westliche Bomben seit der Amtsübernahme Donald Trumps verdoppelt. | |
## Einlösung eines Wahlversprechens? | |
Die hohe Anzahl getöteter Zivilisten in beiden Ländern könnte auch ein | |
Hinweis darauf sein, dass der US-Präsident sein „Wahlversprechen“ hält, | |
indem er wahllos bombardieren lässt. Bereits während seines Wahlkampfs | |
verkündete Trump, dass er die Tötungen von „Familien von Terroristen“ als | |
legitim betrachtete. | |
Tatsächlich verbreitet der US-Präsident dadurch nur noch mehr Chaos und | |
Terror in einer Region, die bereits genug von beidem hat. Die Bombardements | |
Trumps werden – wie auch schon jene Obamas – von den Menschen vor Ort | |
nämlich als das angesehen, was sie sind: Terror. Seitdem die USA vor drei | |
Jahren ihren Anti-IS-Krieg ausriefen, wurden in weit mehr als 20.000 | |
Luftangriffen über 80.000 Bomben über Syrien abgeworfen. Sie haben | |
mindestens 4.300 Zivilisten das Leben geraubt. | |
Die Gewalt erzeugt Gegengewalt. Dies ist etwa auch im irakischen Mosul | |
absehbar, in dem der IS nun als vernichtet gilt. In den letzten Wochen und | |
Monaten wurde die Stadt massiv vom US-Militär bombardiert. Hinzu kommen | |
brutale Milizen sowie irakische Sicherheitskräfte – allesamt Verbündete der | |
Amerikaner –, die regelmäßig Kriegsverbrechen begehen. Für viele Beobachter | |
ist deshalb klar: Ein „IS 2.0“ könnte schon bald im Irak auftauchen. | |
Dass die Menschen in al-Jinah, die sich an jenem Tag in der besagten | |
Moschee aufhielten, dies ähnlich sehen werden, liegt nahe. Genauso wie die | |
Möglichkeit, dass einige von ihnen sich bereits der nächstbesten | |
bewaffneten Gruppierung angeschlossen haben – und die USA als Todfeind | |
betrachten, den es zu bekämpfen gilt. | |
19 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Emran Feroz | |
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