| # taz.de -- Indonesische Familie beim IS in Syrien: Alptraum in Rakka | |
| > Eine Familie lässt sich von den Versprechen des IS verlocken. Dort | |
| > zerplatzen ihre Träume – und die Suche nach einem Fluchtweg beginnt. | |
| Bild: Wollte ihren Computerkurs beim IS beenden: Nur K. aus Indonesien | |
| Ain Issa ap | Die 17-jährige Nurshardrina K. hatte wenig Mühe, ihre Familie | |
| zu überzeugen. Angelockt von dem, was sie im Internet gelesen hatte, schlug | |
| die Indonesierin ihren Eltern, Schwestern, Tanten, Onkeln, Cousins und | |
| Cousinen vor, nach Syrien überzusiedeln und sich der Terrormiliz | |
| Islamischer Staat anzuschließen. Das war wenige Monate, nachdem die | |
| Extremisten im Sommer 2014 ihr „Kalifat“ in Teilen Syriens und des Iraks | |
| ausgerufen hatten. Tatsächlich entschied sich die Familie, in die damalige | |
| syrische IS-Hochburg Rakka auszuwandern. | |
| Aber es dauerte nicht lange, bis ihre Träume von einem besseren Leben | |
| zerstört wurden – und ihre Versuche begannen, dem Alptraum zu entfliehen. | |
| Statt der vom IS versprochenen Wohltaten sah sich die Familie mit einer | |
| Gesellschaft konfrontiert, in der Ungerechtigkeit und Brutalität | |
| herrschten, alle gesunden Männer verpflichtet waren, sich für die Front zu | |
| melden und Frauen erwarten mussten, mit Kämpfern verheiratet zu werden. | |
| Nur, wie der Spitzname der inzwischen 19-Jährigen lautet, lebt heute mit | |
| ihrer Mutter, zwei Schwestern, drei Tanten, zwei Cousinen und deren drei | |
| kleinen Söhnen in Ain Issa, einem von kurdischen Kräften betriebenen | |
| Flüchtlingslager. Ihre Großmutter ist gestorben, ein Onkel kam bei einem | |
| Luftangriff ums Leben. Ihr Vater und vier Cousins sind in einem | |
| Internierungslager etwas weiter nördlich. Dort werden sie von kurdischen | |
| Kräften vernommen – schließlich haben sie eine Zeit lang auf IS-Gebiet | |
| gelebt. Die Frauen warten derweil in einem Zelt in sengender Hitze auf die | |
| Wiedervereinigung und ihre Rückkehr nach Jakarta. | |
| Nurs Familie zählt zu Tausenden Menschen aus Asien, Europa, Afrika, | |
| Nordamerika und dem Nahen Osten, die dem Traum von einer idealen | |
| aufsteigenden islamischen Gesellschaft gefolgt sind – so, wie sie der IS in | |
| seinen geschickt produzierten Propagandavideos, Online-Blogs und in anderen | |
| sozialen Medien dargestellt hat. Als die Familie ankam, war die Brutalität | |
| der Gruppe schon bekannt: Enthauptungen, Entführungen, die Versklavung von | |
| Frauen – aber Nur wollte das zunächst nicht wahrhaben. | |
| ## Haus, Autos und Goldschmuck verkauft | |
| Sie erinnert sich nur allzu gut daran, ihren Angehörigen damals all die in | |
| IS-Blogs aufgelisteten Wohltaten geschildert zu haben, die sie in Syrien | |
| erwarten würden. Ihre 21-jährige Schwester könnte kostenlos ihre | |
| Computerausbildung beenden, ihre 32-jährige geschiedene Cousine Difansa | |
| Rachmani zum Nulltarif eine Gesundheitsversorgung für sich und ihre drei | |
| Kinder erhalten. | |
| Ihr Vater und ihr Onkel könnten ihre Schulden loswerden, erklärte Nur, die | |
| jüngeren männlichen Familienmitglieder Arbeit finden. Für die junge Frau | |
| selbst schien der Islamische Staat das perfekte Umfeld zu sein, den Islam | |
| zu studieren und später einen medizinischen Beruf zu ergreifen. „Es ist ein | |
| guter Ort, in Frieden und Gerechtigkeit zu leben“, erinnert sich Nur an | |
| ihre Worte von damals. „Wir gingen, um für immer zusammen zu sein, im Leben | |
| und im Jenseits.“ | |
| Die Familie verkaufte ihr Haus, ihre Autos und Goldschmuck, brachte | |
| umgerechnet 32.000 Euro für die Reise in die Türkei und anschließend nach | |
| Syrien zusammen. Aber in der Türkei kam es zu einem Disput. Statt wie die | |
| anderen offiziell über die syrische Grenze zu gehen, entschlossen sich | |
| sieben Familienmitglieder zur illegalen Einreise. Sie wurden von türkischen | |
| Grenzbeamten gefasst und nach Indonesien zurückgeschickt. | |
| Der Rest der Familie erreichte im August 2015 das IS-Territorium – und es | |
| kam erneut zu einer Trennung. Die Männer wurden gezwungen, islamischen | |
| Unterricht zu nehmen und monatelang ins Gefängnis gesteckt, weil sie | |
| militärischen Dienst verweigerten. Nach ihrer Freilassung versteckten sie | |
| sich, um einer Zwangsrekrutierung oder neuer Haft zu entgehen. Die Frauen | |
| und Mädchen wurden in eine vom IS betriebene Unterkunft mit ausschließlich | |
| weiblichen Bewohnerinnen gebracht. Es herrschte Missgunst, Streit, es kam | |
| zu Diebstahl und manchmal sogar zu Messerkämpfen, schildert Nur. Zusammen | |
| mit ihrer älteren Schwester und der geschiedenen Cousine stand sie auf | |
| einer Liste von verfügbaren Bräuten für IS-Kämpfer. | |
| ## „Weit vom Islam entfernt“ | |
| „Der IS will nur drei Dinge: Frauen, Macht und Geld“, sagt Nur heute. „Sie | |
| verhalten sich wie Gott (…). Sie schaffen ihre eigenen Gesetze (…). Sie | |
| sind weit vom Islam entfernt.“ Ihr 18-jähriger Cousin, einer der fünf | |
| männlichen Familienmitglieder im Internierungslager Kobano nördlich von | |
| Rakka, vergleicht das Leben unter dem IS mit einem „Leben im Gefängnis“. | |
| Nie erhielt Nur in Rakka die erhoffte Ausbildung, ihre hartnäckigen | |
| Anfragen wurden ignoriert. Und weil sich die Männer in der Familie | |
| weigerten, für den IS kämpfen zu gehen, bekamen sie nie die Jobs, die man | |
| ihnen versprochenen hatte. Rachmani, die Cousine, wurde gratis wegen eines | |
| Nackenproblems operiert und sagt heute: „Ich habe mein Land aus dummen | |
| eigennützigen Gründen verlassen (…). Ich danke Gott, dass ich meine | |
| kostenlose Operation erhalten habe, aber danach alles Lügen.“ | |
| Die Familie suchte monatelang nach einem Fluchtweg. Als sich die kurdisch | |
| geführte Offensive zur Befreiung von Rakka im Juni schließlich | |
| intensivierte, sah sie eine Gelegenheit. Nur ging das Risko ein, in einem | |
| Internet-Café nach „Feinden des IS“ zu suchen. Sie nahm Kontakt zu | |
| Aktivisten auf und fand einen Schleuser, der die Familie für umgerechnet | |
| etwa 3400 Euro über die Frontlinie in kurdisch kontrolliertes Territorium | |
| brachte. Dort stellten sie sich am 10. Juni kurdischen Kräften. | |
| 4 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Sarah El Deeb | |
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