# taz.de -- Fotografie: Anrührende Alltäglichkeiten | |
> In der Hamburger Freelens-Fotogalerie sind derzeit die Werke von Frank | |
> Schinski zu sehen. Seine Spezialität ist der irritierend faszinierende | |
> Alltag | |
Bild: Eines von vielen Bildern aus der seit Jahren wachsenden Reihe „Ist doch… | |
HAMBURG taz | Die Party ist vorbei, der Hund liegt auf dem Sofa. Wer weiß, | |
wie wild es gestern Abend zugegangen ist, wie ausgelassen getanzt wurde, | |
wie betrunken alle waren, im Guten wie im Schlechten. Nun sind Gläser und | |
Flaschen längst weggeräumt, ein Smartphone liegt auf dem Beistelltisch und | |
wird aufgeladen. Zwei Fernbedienungen halten sich bereit: Vielleicht ist | |
Sonntag, vielleicht kommt nachher noch „Tatort“. Nur die Luftballons hängen | |
noch an den beiden Geweihen über dem Sofa.„ist doch so_05“, heißt dieses | |
Bild. | |
Andere Bilder von Frank Schinski heißen dann „ist doch so_01“ oder „ist | |
doch so_07“. Frank Schinski sagt: „Ich bin eher ein analytischer Fotograf.�… | |
Wenn er noch ein zweites mal studieren sollte, würde es wahrscheinlich die | |
Soziologie werden, sagt er. | |
In der Hamburger Freelens-Fotogalerie wird derzeit eine schöne, eine | |
gelungene Auswahl aus Schinskis im Grunde seit Jahren andauernden Projekt | |
„Ist doch so“ ausgestellt. Zu sehen sind Menschen, die in der Pause | |
selbstvergessen ihr Pausenbrot essen; die sich vor ihrem Auftritt auf für | |
sie großer Bühne noch eine letzte Auszeit gönnen, ohne genau das groß zu | |
betonen. Wie sie hingebungsvoll sich ganz für sich ihren neuen Computer | |
richten, wie sie sich an einem Tisch gegenübersitzen und sehr ernst etwas | |
aushandeln, als sei da niemand sonst auf der Welt. Und immer ist da eine | |
ganz eigene, ganz leise Spur von Humor. | |
„Aber es ist ein Humor mit angezogener Handbremse“, sagt Frank Schinski. | |
Denn es ergebe keine lustigen Bilder, wenn man jemanden dabei fotografiere, | |
der in der Nase popele. Und sich auf Kosten anderer zu amüsieren, gehe | |
ohnehin gar nicht, sagt Schinski. | |
## Uniforme Normalität | |
Wir alle könnten diejenigen sein, die Schinski da in ihrer oft uniformen | |
Normalität ablichtet. Erst recht dann, wenn wir das weit von uns weisen. | |
„Ich mag den Fehler an uns Menschen“, ist so ein Schinski-Satz. Oder der | |
hier: „Ich stelle mich hin und mache ein Foto, fertig. Ich versuche nicht, | |
das Foto spannend zu gestalten.“ | |
„Ich bin Migrant, ich komme aus der DDR“, sagt Schinski ziemlich bald. Es | |
falle ihm immer wieder auf, dass er aus der DDR stammt. Natürlich weiß er, | |
dass es den Staat mittlerweile lange nicht mehr gibt. Und er selbst ist | |
gerade mal 14 Jahre alt gewesen, als die Mauer fällt, wie man heute so | |
sagt. „Ich habe nicht politisch gelitten; das zu behaupten, wäre Quatsch“, | |
sagt er. | |
Aber er sei nun mal geprägt durch seine Eltern, durch das Leben in den | |
ersten Jahren, in denen eine gewisse grundlegende Unaufgeregtheit für ein | |
gewisses ruhiges Leben sorgte und die Unterschiede zwischen den Menschen | |
seiner Alltagswelt nicht allzu sehr betont wurden. Mit Folgen bis heute. | |
„Ob der Vorstandsvorsitzender oder die Putzfrau – ich komme mit beiden | |
gleich gut aus“, sagt er. „Wenn ich einen Raum betrete, grüße ich alle, | |
auch wenn ich nur eine einzelne Person unter den Anwesenden fotografieren | |
werde.“ Und er sieht sich selbst als Garant für die verlässliche Arbeit, | |
wie er sie macht: „Vor mir haben die Leute keine Angst. Ich bin kein | |
Alphatier, mache niemandem den Posten streitig und bin relativ schnell | |
einschätzbar.“ Und ja – dass man ihn komisch finde, auch das komme vor und | |
gehe in Ordnung. | |
## Draußen die Zaungäste | |
Es gibt ein Bild, das nahezu idealtypisch zeigt, wie Schinski erzählt. Da | |
wird er an Ostern 2010 ins niedersächsische Selsingen geschickt, wo mitten | |
im Ort eine Backsteinkirche steht. In der Kirche sprechen gerade Angela | |
Merkel als Bundeskanzlerin und Karl-Theodor zu Guttenberg als damaliger | |
Verteidigungsminister. „Das war, als im Rahmen eines Soldatenbegräbnisses | |
zum ersten Mal ausgesprochen wurde, dass Deutschland in Afghanistan im | |
Krieg ist; dass das Wort Krieg tatsächlich fiel“, erzählt Schinski. | |
„Drinnen waren die ganzen Pressefotografen mit ihren langen Tüten und haben | |
sich um die Plätze gestritten, das hat mich gar nicht interessiert.“ | |
Denn er ist draußen, schaut sich unter denen um, die in der Kirche keinen | |
Platz gefunden haben, die nicht zugelassen sind, die man auch nicht dabei | |
haben will, die aber trotzdem vor Ort sind, weil eben Angela Merkel und | |
Karl-Theodor zu Guttenberg vor einer Stunde oder mehr aus ihren schweren | |
Limousinen kletterten und nun in der überfüllten Kirche sind, in der sich | |
sonst am Sonntagmorgen nur zwei Hände voll Leute verlieren, und weil alles | |
entsprechend abgesperrt und gesichert ist. Schinskis Foto zeigt die | |
gebannten und bereits gelangweilten Gesichter der Zaungäste und der | |
Wachsoldaten, zeigt sie, wie sie dabei waren, ohne dabei gewesen zu sein. | |
Es ist eine Situation in ihrer ganz banalen und eben auch anrührenden | |
Alltäglichkeit. | |
„Manchmal werde ich von Versicherungen für diese Shake-Hand-Momente | |
gebucht“, erzählt er. „Aber wenn sich dann zwei Leute auf der Bühne die | |
Hände schütteln und sich irgendwas überreichen, verpasse ich das oft, weil | |
ich irgendwo anderes etwas entdeckt habe, was viel spannender war.“ Und das | |
hat er dann fotografiert. | |
Frank Schinski wächst in dem Örtchen Prenzlau an der deutsch-polnischen | |
Grenze auf. Als junger Mann landet er Ende der 1990er-Jahre in Hannover. | |
Seine Idee: Architektur studieren. Schließlich kann er schon mal eine Lehre | |
als Maurer vorweisen, kennt sich also mit dem Bauen von Häusern und | |
Gebäuden grundlegend aus. Doch dann entdeckt er, dass man Fotografie | |
einfach so an der dortigen Fachhochschule studieren kann. Sein Lehrer: Rolf | |
Nobel, einer der führender Vertreter der engagierten Reportagefotografie. | |
Seine Klasse ist mit gerade mal zehn MitstudentInnen sehr klein, der | |
Austausch entsprechend intensiv. Und schon bald ist klar, dass Schinski | |
anders und eigen tickt. Mit Fotografie die Welt aufrütteln? Dafür kreuz und | |
quer durch die Welt jetten und möglichst drastische und zugleich wohl | |
komponierte Bilder von Elend, Leid und Gewalt mitbringen, die dann | |
hierzulande unter marktwirtschaftlichen Bedingungen vermarktet werden? Er | |
ist da skeptisch. Er ist da sozusagen misstrauisch. Also – er lehnt das | |
rundweg ab. | |
Und so findet er seinen ganz eigenen Stil, unbeirrt von Trends und | |
Gegentrends und mehr als unbeeindruckt von den Ratschlägen derer, die ihm | |
sagen, er solle doch seine Bilder ein bisschen aufregender gestalten. „Ich | |
habe keine extreme Handschrift, keine besondere Farbigkeit, setze auf | |
keinen speziellen Winkel – es sind alles erst mal normale Fotos“, | |
umschreibt er sein Können. Und diese Haltung, die sein Stil ist und | |
umgekehrt, sorgt nun für unverwechselbare Arbeiten, bei denen es zugleich | |
keine Rolle spielt, ob sie das sind, was man neu oder eben alt nennt. | |
Arbeiten, die er vor zehn Jahre gestaltet hat, hängen so neben Bildern, die | |
er letzten Monat entdeckt und fotografiert hat. | |
## Viele letzte Arbeitstage | |
Beeindruckend wie auch logisch ist seine Abschlussarbeit, die von letzten | |
Arbeitstagen erzählt: Ein Mann schaut ein letztes Mal aus dem Fenster | |
seines Büros; ein Pfarrer hat seine Dienstwohnung geräumt, sitzt in Hut und | |
Mantel ein letztes Mal im Sessel, während sein Hund auf dem zerschlissenen | |
Teppich ein letztes Mal darauf wartet, dass sie endlich gehen können. „Ich | |
wollte jeweils nur ein Bild haben, ein Schlüsselbild“, erzählt Schinski. | |
„Mich interessiert nicht der einzelne Mensch; nicht, ob er traurig ist oder | |
nicht; nicht, ob er erleichtert ist oder nicht. Mich interessiert die | |
Vergleichbarkeit der ablaufenden Routine.“ | |
Und damit öffnet sich eben auch ein Bild- und Erzählraum, der immer wieder | |
vom ganz Anderen berichtet, von den stillen und unaufgeregten Einbrüchen in | |
die Welt der Konformität. Und das ohne Anstrengung, ganz wie von selbst, | |
als ob es einfach passiert. | |
Ausstellung „Ist doch so“: bis 8. September, Freelens-Galerie, Hamburg, | |
Steinhöft 5 | |
17 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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Lesestück Interview | |
Fotografie | |
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