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# taz.de -- Cumhuriyet-Prozess in Istanbul: Freilassung, aber keine Freiheit
> Ein Teil der Angeklagten wird aus der Untersuchungshaft entlassen. Der
> Prozess wird erst Mitte September fortgesetzt.
Bild: Angeklagte am ersten Tag des Prozesses
Am Freitagabend kam das Urteil: Die Richter entschieden nach der 5-tägigen
Anhörung, dass 7 der 17 angeklagten Mitarbeiter der Zeitung Cumhuriyet
vorläufig freigelassen werden und wie weitere 6 Angeklagte das Ende des
Prozesses nicht im Gefängnis abwarten müssen: der Cartoonist Musa Kart, die
Anwälte Bülent Utku und Kemal Güngör, der Literaturchef Turhan Günay, der
Ombudsmann Güray Öz, Stiftungsmitarbeiter Önder Celik und Autor Hakan Kara.
Vier weitere Angeklagte bleiben weiterhin in Untersuchungshaft, darunter
Akin Atalay und der Investigativreporter Ahmet Şık. Das Gericht nannte
dafür keine Begründung.
Vor dem Gerichtssaal warteten Leute auf das Urteil und riefen denselben
Slogan, der schon bei dem „Marsch der Gerechtigkeit“ im Juni gerufen wurde:
„Rechte, Gesetz, Gerechtigkeit“. Der Abgeordnete der größten
Oppositionspartei Sezgin Tanrıkulu sagte nach dem Urteil: „Die Entscheidung
darüber, wer freigelassen und wer im Gefängnis bleibt, wurde nicht im
Gericht, sondern anderswo und vorher getroffen.“
Nach der Urteilsverkündung sagte der Journalist Ahmet Şık: „Sie wollen,
dass wir niederknien. Die Mitglieder dieser verfaulten Einheit, diese
Tyrannen, denen jede Würde fehlt, sollten sehr gut wissen, dass ich bis
heute nur vor meiner Mutter und meinem Vater niedergekniet bin und dass ich
niemals vor irgendjemand anderem niederknien werde.“
Der erste Prozesstag fiel auf den Jahrestag der Aufhebung der Pressezensur
in der Türkei. Jedes Jahr wird der 24. Juli als „Tag der Pressefreiheit“
gefeiert. Der amtierende Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu ließ es sich auch
in diesem Jahr nicht nehmen, per Tweet „den Journalisten, die der Wahrheit
auf der Spur sind“, zu gratulieren.
Zur selben Zeit standen 17 Journalist*innen der ältesten Zeitung des
Landes, der Cumhuriyet, vor Gericht im Justizpalast von Istanbul. Fünf Tage
lang wurde ein Prozess geführt, den der Verteidiger Duygun Yarsuvat vor den
Richtern als „Feindjustiz“ bezeichnete. Fünf Tage lang wurde ein Prozess
geführt, den viele Beobachter als Schauprozess gegen den Journalismus und
die Pressefreiheit werten.
Die Cumhuriyet-Mitarbeiter, von denen die meisten bereits seit neun Monaten
in Untersuchungshaft sitzen, haben die gesamte Woche über ihre
Verteidigungen vorgetragen. Die Anklagepunkte gegen sie lauteten:
„Rechtswidrige Übernahme des Vorstands der Cumhuriyet-Stiftung“,
„Veränderung der Redaktionslinie“ und „Publikation von Nachrichten und
Texten, die der Unterstützung der bewaffneten Terrororganisationen FETÖ,
PKK und DHKP-C dienen“.
## Tweets als Beweismittel
Die Beweismittel, die diese Anklageschrift stützen sollten, bestanden aus
publizierten journalistischen Texten, Tweets, der Dokumentation von
angeblich „zweifelhaften“ Veränderungen in der Buchhaltung der Zeitung
sowie Zeugenaussagen von Ex-MitarbeiterInnen der Zeitung und von der
Regierungspartei AKP nahestehenden Personen.
Die Journalisten Hikmet Çetinkaya, Kadri Gürsel und Ahmet Şık, die viele
Jahre lang über die Beziehungen zwischen der AKP-Regierung und der
Gülen-Bewegung geschrieben und vor deren Konsequenzen gewarnt haben, wurden
wegen „Unterstützung der Terrororganisation FETÖ“, die aus Mitgliedern der
Gülen-Bewegung besteht, angeklagt.
Tora Pekin, einer der wenigen Anwälte der Cumhuriyet, die nicht in
Untersuchungshaft sitzen oder selbst angeklagt sind, kommentierte am
vierten Verhandlungstag den Schriftsatz des Staatsanwalts: „Diese tausend
Seiten lange Anklageschrift hat weder Basis noch Halt und ist einfach nur
Müll.“
Cumhuriyet-Vorstand Akın Atalay nannte zwei Punkte, die dieser Prozess zum
Ziel hatte: „Erstens: Cumhuriyet übernehmen oder direkt zum Schweigen
bringen. Zweitens: ein Exempel für all die übrigen Journalisten statuieren,
die sich noch trauen, Nachrichten zu publizieren, die der Regierung nicht
gefallen.“
Chefredakteur Murat Sabuncu konnte seine Verteidigungsrede nicht wie
vorgesehen am ersten Tag halten, weil die Sicherheitsbeamten vor dem
Justizpalast seine sämtlichen Unterlagen beschlagnahmt hatten. Als er am
zweiten Tag dann mit Unterlagen in den Gerichtssaal kam, machte er seine
Aussage. Er verwies auf das Allerabsurdeste und Verräterischste in diesem
ganzen Prozess: „Der für diese Anklageschrift verantwortliche Staatsanwalt
Murat Inam steht derzeit in einem anderen Prozess selbst vor Gericht. Wegen
Mitgliedschaft in der Terrororganisation FETÖ! Ihm drohen zwei
lebenslängliche Haftstrafen. Und wegen der Anklageschrift dieses Herren
sitzen wir seit neun Monaten in Haft!“
Beobachter spekulierten darüber, ob der Staatsanwalt bewusst eingesetzt
wurde, um ihn unter Druck zu setzen.
Über den Umstand, dass drei der Zeugen, auf deren Aussagen die
Anklageschrift zum Teil basiert, immer noch für Cumhuriyet arbeiten, zeigte
sich Sabuncu „beschämt“: „Früher waren Journalisten Zeugen ihrer Zeit.
Heute sind sie Zeugen im Prozess gegen die eigenen Kollegen.“
Auf die Nachfrage seiner Familie und diverser Abgeordneter, was ihm derzeit
am schwersten falle, sagte Sabuncu, kenne er die Antwort nicht: „Die Razzia
in meiner Wohnung? Oder dass ich als 47-Jähriger in der Haftanstalt
gezwungen werde, meine Hose auszuziehen? Was mich sehr stört, ist, dass
einer Zeitung wie der Cumhuriyet, die für Laizismus und demokratische Werte
steht, Terrorunterstützung vorgeworfen wird.“
Der emotionalste Moment der Verhandlungswoche war die Verteidigung des
Journalisten Ahmet Şık. Er selbst sagte zu seiner Rede allerdings: „Ich
verteidige mich hier nicht. Ich klage an.“ Cumhuriyet-Reporterin und die
Büronachbarin von Şık, Canan Coskun hatte die Verhandlung täglich im Saal
beobachtet. Was sich im Gerichtssaal während Şıks eindrucksvoller Rede
abspielte, beschreibt sie so: „Ahmets Anklage hat uns Mut gemacht. Selbst
als der Prozessausschuss irgendwann damit drohte, uns aus dem Saal zu
werfen, hörten wir nicht auf zu applaudieren. Wir konnten nicht anders.
Ahmet hat uns in nur zwei Stunden so viel Mut gegeben, dass es für unser
ganzes Leben reichen wird.“
Die Journalistin Banu Güven, die den Prozess ebenfalls täglich im
Gerichtssaal verfolgte, beobachtete, „wie die Staatsanwälte auf arrogante
Weise und ohne großen Aufwand versuchen, eine Straftat zu inszenieren.
Dieser Prozess wird als Prozess der Schande in die Geschichte eingehen.
Seit Montag sehen wir ganz deutlich, wer Gülens wahre Partner sind.“
Der Staatsanwalt hatte im Fall von Ahmet Şık in seinem Plädoyer den Antrag
gestellt, ihn weiter in Haft zu lassen und außerdem ein neues Verfahren
gegen ihn [1][wegen dessen Rede am 26. Juli vor Gericht] zu eröffnen. Ob
das passiert, ist offen.
Die nächste Anhörung ist auf den 11. September terminiert.
28 Jul 2017
## LINKS
[1] https://gazete.taz.de/article/?article=!5437442
## AUTOREN
Ali Celikkan
Erk Acarer
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