# taz.de -- Ahmet Şık: „Ich verteidige mich hier nicht. Ich klage an.“ | |
> Im Prozess gegen die 17 angeklagten Mitarbeiter der Zeitung Cumhuriyet | |
> wurde am Mittwoch der prominente Investigativreporter Ahmet Şık angehört. | |
> Wir dokumentieren seine Rede in Auszügen. | |
Bild: „Wir wissen, dass das, was Tyrannen am meisten fürchten, der Mut ist.�… | |
Ahmet Şık ist einer der prominentesten Journalisten der Türkei und sitzt | |
seit dem 29. Dezember in Untersuchungshaft. Ihm wird unter anderem | |
vorgeworfen, Terrororganisationen zu unterstützen. Im Justizpalast von | |
Istanbul steht er seit Montag mit den anderen Angeklagten vor Gericht. Am | |
späten Mittwochnachmittag durfte er seine Stellungnahme abgeben. Wir | |
dokumentieren im Folgenden Auszüge aus seiner eineinhalbstündigen Rede. | |
Ahmet Şık beginnt seine Verteidigung mit einem Zitat aus dem Vorwort seines | |
Buches „Wir sind diese Wege zusammen gegangen“ von 2014. Die langjährige | |
Koalition zwischen der AKP und der Gülen-Bewegung, die vor dem Putsch | |
bereits endete, sei eine „mafia-artige-Regierung“ gewesen. Ausführlich | |
erörtert er die enge Beziehung zwischen der AKP-Regierung und den | |
Gülenisten, die dazu gedient habe, die „Macht über den Staat“ zu erlangen. | |
Dieses Ziel sei der Grund gewesen, die die Partner zusammenbrachte. Aber | |
auch der Grund, warum sie sich wieder entzweit hätten. | |
Şık vergleicht die Beziehung mit einer explodierenden Kanalisation: „Ja, es | |
war eine Schweinerei und es ist immer noch eine Schweinerei. In dieser | |
Schlacht, in der Ethik und Religion nur benutzt werden, spielen die Lügen | |
eine größere Rolle als die Wahrheit. Dieser Krieg ist nicht einer, der für | |
die Demokratie und eine saubere Gesellschaft geführt wird, nicht für den | |
Frieden oder die Zivilisation. Es wird um die Aneignung des Staates | |
gekämpft.“ Nach etwa 10 Minuten unterbricht der Richter Şıks Rede und mahnt | |
ihn, auf die Anklagepunkte einzugehen. „Wir erwarten von Ihnen nicht, dass | |
Sie eine Kolumne schreiben“. Şıks Antwort: „Wenn Sie einfach warten, werd… | |
Sie sehen, dass das Teil der Verteidigung ist.“ | |
## „Wir haben gesehen, was ‚Geschenk‘ bedeutet“ | |
Der Reporter, der 2011 ein Jahr in Untersuchungshaft war, weil er die | |
Unterwanderung des Staates durch die Gülen-Bewegung recherchiert hatte, | |
erläutert nun, wie sich der Krieg zwischen der AKP und den Gülenisten | |
verschlimmert habe und seinen Höhepunkt im Putschversuch vom 15. Juli 2016 | |
fand, den Staatspräsident Erdogan als „Geschenk Gottes“ bezeichnet hatte. | |
„Wir haben gesehen, was ‚Geschenk‘ bedeutet und es gemeinsam erlebt. Und | |
wir erleben es immer noch. Wir durchqueren die Dunkelheit und immer dunkler | |
werdende Tage, in denen jene, die der Wahrheit eine Stimme geben, jene, die | |
sich weigern, den Befehl zu Verbrechen auszuführen und jene, die ihre | |
verweigerten Rechte zurückverlangen die Stimmen sind, die zum Schweigen | |
gebracht werden sollen. Der Putsch wurde verhindert. Aber alle | |
grundlegenden Rechte und Freiheiten wurden durch den Ausnahmezustand | |
suspendiert.“ | |
An dieser Stelle klingelt im Gerichtssaal ein Mobiltelefon. Ahmet Şık | |
kommentiert: „Wenn sie nach mir verlangen, sagen Sie ihnen, dass ich | |
beschäftigt bin.“ Ahmet Şık fährt fort und erläutert, wie die Regierung | |
versucht, die Menschen davon abzuhalten, die Wahrheit zu sagen. „Sie nutzen | |
das Blut der von den Putschisten ermordeten Opfer. Sie nutzen es als | |
demagogischen Teil einer billigen politischen Strategie. Sie glauben, dass | |
wir verängstigt und still sein werden.“ Noch einmal geht Şık auf das | |
Verhältnis zwischen AKP und den Gülenisten ein. Er behauptet, die Generäle, | |
die am Putsch teilgenommen hatten, seien erst von der AKP auf diese | |
Positionen gesetzt worden. Er stellt die Frage, was an den | |
widersprüchlichen Berichten dran sei, der Geheimdienst habe vorher von den | |
Putschplänen gewusst. | |
## „Nein, ihr wurdet nicht betrogen.“ | |
Und er erinnert an AKP-Offizielle, einschließlich des kürzlich entlassenen | |
Justizministers, die in der Vergangenheit „dem ehrwürdigen Fethullah Gülen | |
Hodjaefendi ihre Grüße übermittelt“ hätten. Jetzt kommt Şık auf Erdogans | |
Kommentar nach dem Putsch „Wir wurden betrogen“ zu sprechen. „Diejenigen, | |
die der Kritik und den Warnungen nicht zugehört haben bis auf sie gezielt | |
wurde, diejenigen, die den Staat und all seine Institutionen der Gang | |
übertragen und an deren Verbrechen teilgenommen haben, wollen uns jetzt | |
glauben machen, dass sie einfach nur ‚betrogen‘ wurden. Nein, ihr wurdet | |
nicht betrogen. Im Gegenteil. Ihr habt uns betrogen.“ | |
Şık erinnert das Gericht an seine Verhaftung wegen des Buches, das er über | |
die Gülen-Bewegung geschrieben hat, „Die Armee des Imams“ von 2011. Der | |
damalige Premier Recep Tayyip Erdogan sagte seinerzeit über das Buch, es | |
sei „gefährlicher als eine Bombe“. „Hätte Erdogan mein Buch damals gele… | |
würden wir heute nicht hier sein“, sagt Şık im Gerichtssaal. | |
Er kommt nun auf die Anschuldigungen gegen ihn und die anderen Journalisten | |
zu sprechen: „Ja, die Geschichte wird einmal mehr auf unserer Seite sein. | |
Ihr werdet nicht in der Lage sein, aus der Zeitung Cumhuriyet oder aus uns | |
Terroristen zu machen. Das werden Sie aus dem, was ich Ihnen bisher gesagt | |
habe, sicher verstanden haben.“ | |
## „Glauben Sie nicht, dass uns das einschüchtert“ | |
Seine Schlussworte zu diesem Punkt sind unmissverständlich: „Ich verteidige | |
mich hier nicht oder mache eine Aussage. Ich klage an. Diese Operation, die | |
sich gegen uns richtet, ist nichts anderes als die Jagd auf die Gedanken-, | |
Meinungs- und Pressefreiheit. Und einige Mitglieder der Justiz haben die | |
Aufgabe übernommen, der Lynchmob dieser Jagd zu sein. Jene, die denken, | |
dass dieses dreckige System, diese Verbrecherdynastie für immer bestehen | |
wird, liegen falsch. Das ist alles, was ich zu einer Operation sagen will, | |
die meine journalistische Arbeit kriminalisieren will. | |
Das ist kein Statement zu meiner Verteidigung, weil ich das als eine | |
Beleidigung des Journalismus und der ethischen Werte meines Berufes | |
betrachten würde. Journalismus ist kein Verbrechen. Aus diesem Grund sage | |
ich nur, dass ich gestern ein Journalist war, dass ich heute ein Journalist | |
bin und dass ich auch morgen ein Journalist sein werde. Dafür, das ist | |
offensichtlich, muss ein Preis gezahlt werden. Aber glauben Sie nicht, dass | |
uns das einschüchtert. | |
Weder ich noch die Journalisten, die draußen sind und von denen ich stolz | |
sagen kann, dass sie meine Freunde sind, haben Angst vor euch, wer auch | |
immer ihr sein mögt. Denn wir wissen, dass das, was die Tyrannen am meisten | |
fürchten, der Mut ist. Und die Tyrannen sollten wissen, dass keine | |
Grausamkeit den Fortschritt der Geschichte aufhalten kann. Nieder mit der | |
Tyrannei. Lang lebe die Freiheit.“ | |
## „Die Terrororganisaton nach der Sie suchen…“ | |
Die Befragung seitens des Richters beginnt. Die erste Frage des Richters | |
lautet: „Sie sind Journalist. Geht es im Journalismus um unbegrenzte | |
Freiheit?“ Ahmet Şık antwortet: Es gibt internationale Kriterien, die | |
Freiheit begrenzen. Jedes Land definiert diese Grenze. Das Ethos besteht | |
darin, ob ein Journalist über Fakten spricht oder nicht.“ | |
Es folgen weitere Fragen seitens des Richters zu Tweets und Artikeln, wie | |
er zur Zeitung kam und ob dort es Zensur gäbe. Unter anderem stellt der | |
Richter fest: „Sie haben den Staat einen ‚Mörderstaat‘ genannt“ und Ş… | |
antwortet: „Der Staat hat eine blutige Vergangenheit. Ich habe | |
untertrieben: Der Staat ist ein Serienmörder.“ | |
Auf eine weitere Frage des Richters zu Terrorverbindungen antwortet Şık: | |
„Sie nennen das hier einen Terrorismus-Fall. Aber alles, was sie in den | |
letzten drei Tagen getan haben, sind Fragen über meine journalistische | |
Arbeit. Die Terrororganisaton, nach der Sie suchen, ist als politische | |
Partei verkleidet und regiert dieses Land.“ Der Richter ordnet eine Pause | |
an. Die Anhörung von Ahmet Şık ist beendet. | |
Die komplette Rede in der englischen Übersetzung können Sie [1][hier | |
nachlesen.] Übersetzung und Zusammenstellung: Doris Akrap und Ali Celikkan, | |
basierend auf den Protokollen der im Gerichtssaal anwesenden Journalistin | |
Canan Coşkun und der Solidaritätsgruppe für die Freiheit von Ahmet Şık | |
27 Jul 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://ecpmf.eu/get-help/fact-finding-missions/turkey-free-the-journalists | |
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