| # taz.de -- Regisseurin über „Western“ in Bulgarien: „Wessen Recht gilt … | |
| > Valeska Grisebachs „Western“ dreht sich um deutsche Bauarbeiter in | |
| > Bulgarien. Es geht auch um Männlichkeitsfantasien in homosozialen Räumen. | |
| Bild: Das ungerührte Gesicht: Meinhard Neumann als Meinhard in „Western“ | |
| taz: Frau Grisebach, Ihr letzter Film „Sehnsucht“ lief 2006 im Wettbewerb | |
| der Berlinale. 2017 war „Western“ in Cannes zu sehen. Dazwischen liegen elf | |
| Jahre – was haben Sie eigentlich die ganze Zeit über gemacht? | |
| Valeska Grisebach: Ich habe meine Tochter bekommen und mich entschieden, | |
| nicht sofort den nächsten Film zu machen. Allerdings habe ich schon früh | |
| angefangen, über „Western“ nachzudenken, und daneben relativ viel, unter | |
| anderem an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin unterrichtet und | |
| dramaturgische Beratungen gemacht. Es war dann eine sehr intensive, | |
| insgesamt fünfjährige Zeit, „Western“ auf die Beine zu stellen – nicht | |
| zuletzt, weil ein Teil der Finanzierung unerwartet gekippt ist und wir ein | |
| Jahr länger mit den Dreharbeiten warten mussten. | |
| Was hat den ersten Impuls zum Film gegeben? | |
| Ich hatte eine große Sehnsucht nach dem Western-Genre, da es das Genre | |
| meiner Kindheit ist. Gerade diese eigentlich einsamen Heldenfiguren und | |
| deren Arten, Männlichkeit zu konstituieren, interessieren mich. Auf der | |
| einen Seite gibt es da das ungerührte Gesicht, das man nicht verlieren | |
| darf, auf der anderen Seite steckt auch immer ganz viel Gefühl dahinter. | |
| Der Western ist für mich das Genre, das ganz stark gesellschaftliche Fragen | |
| verhandelt. | |
| Welche vor allem? | |
| Wie konstituiert sich Gesellschaft und nach welchen Regeln? Wessen Recht | |
| gilt bei diesen Typen, die an der Grenze von Zivilisation und Wildnis leben | |
| – das Recht des Stärkeren oder zum Beispiel das Recht der Empathie? | |
| Einerseits gibt es da die Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit, | |
| andererseits das lustvoll-asoziale Moment, nicht mehr dazuzugehören, aber | |
| dann doch davon zu träumen, irgendwann wieder zu Hause anzukommen. Wie | |
| verhalte ich mich, wenn ein Konflikt auftaucht? Übernehme ich Verantwortung | |
| oder nicht? | |
| Eine Pointe des Films ist, dass die Bauarbeiter in „Western“ nach | |
| Bulgarien, also nach Osten gehen, wodurch der US-amerikanische | |
| Frontier-Mythos umgekehrt wird. Würde der Film aber etwa auch in Spanien | |
| funktionieren? | |
| Vielleicht würde der Film auch dort funktionieren, wobei mich aber ein | |
| spezifisches, innereuropäisches Kräfteverhältnis interessiert hat. Wenn | |
| man als Deutscher irgendwo hinreist, passiert das oft unter einem | |
| unbewussten Vorzeichen, das viel über einen Status innerhalb Europas | |
| erzählt. Bulgarien bringt als ärmstes Land der Europäischen Union natürlich | |
| eine ganz andere Perspektive mit. | |
| Eine Überlegenheitsperspektive? | |
| Genau, und auch ohne sie jetzt bewerten zu wollen, schwingt diese | |
| Perspektive bei meinen Figuren automatisch mit, denn sie kommen mit ihren | |
| großen Maschinen und ihrem Wissen in dieses Land. | |
| Es liegt eine Ironie darin, dass im Film deutsche Bauarbeiter nach | |
| Osteuropa gehen und der bulgarischen Bevölkerung fremdenfeindlich begegnen. | |
| Als Erstes hängen die Männer dort eine deutsche Flagge auf. | |
| Ich beschäftige mich schon seit Jahren mit dem, was man | |
| Fremdenfeindlichkeit nennen könnte. In der Fremde eine deutsche Fahne | |
| aufzuhängen ist auch eine sehr ambivalente Art und Weise, in Kontakt zu | |
| treten. Es ist eine Provokation, aber gleichzeitig auch eine Unsicherheit. | |
| Es war für mich ein wichtiger Einstieg in die Geschichte, denn diese | |
| Ambivalenz ist bereits zu Beginn da. Die beiden deutschen Hauptfiguren im | |
| Film teilen die Erfahrung, dass ihnen das Leben noch ein Abenteuer | |
| schuldet, zugleich ist ihnen die Fremde unheimlich und potenziell | |
| gefährlich. Daher habe ich das Gefühl, dass der Film am Anfang eher | |
| vorsichtig ist, als dass er übertreibt. | |
| Wir sehen im Film lange nur Männer unter sich, und man hat das Gefühl, dass | |
| sich die Männlichkeit innerhalb dieser homosozialen Gruppe immer wieder | |
| über Sprechakte und Rituale aufs Neue etablieren muss. Was hat Sie an | |
| dieser Konstruktion von Männlichkeit interessiert? | |
| Mich als Frau hat dieser relativ geschlossene Männerkosmos interessiert, in | |
| dem Frauen physisch abwesend, aber andererseits unglaublich anwesend sind. | |
| Es wird ständig über sie gesprochen, oder sie werden fantasiert. Ich habe | |
| während der Recherche viele selbstgefilmte YouTube-Videos von Männern auf | |
| Montage gesehen, und es kam häufig darin vor, dass am Ende einer von ihnen | |
| als Frau verkleidet war und so die Frauenrolle übernommen hat. Zum einen | |
| gibt es da also die Sehnsucht nach der Frau, zum anderen aber auch eine | |
| große und andere Intimität unter den Männern. In Interviews hörte ich auch | |
| oft Aussagen wie: „Ich bin diesen Jungs näher und verbringe eine ganz | |
| andere Zeit mit ihnen als mit meiner Frau.“ Ich fand interessant, zu sehen, | |
| was es diesen Männern am Ende für eine Männlichkeit abfordert und welcher | |
| Kodex dadurch etabliert wird. Gleichzeitig hat mich die Zärtlichkeit unter | |
| den Männern berührt, und ich wollte zu keinem Zeitpunkt über ein bestimmtes | |
| Milieu oder dessen Figuren urteilen. Das betrifft auch die Sprache: Auf dem | |
| Bau hat mich die Prosa der Bauarbeiter total beeindruckt. Bei ihrem Humor | |
| hatte ich immer das Gefühl, ich muss ein Schlagfertigkeitstraining machen. | |
| Natürlich kann man sagen, es gehe immer um eine männliche Konkurrenz und | |
| darum, die Schwächeren plattzumachen, doch steckt in der Sprache auch eine | |
| unglaubliche Fantasie. | |
| Deutsche Geschichte, aber auch etwas Militaristisches oder | |
| Imperialistisches scheint sich durch den gesamten Film zu ziehen. War es | |
| Ihnen wichtig, das durch Ihre Figuren zu erzählen? | |
| Ja, denn ich hatte immer das Gefühl, dass auf dieser Baustelle irgendwo im | |
| Grenzgebiet eine militärische Fantasie auftaucht. Das Lager liegt auf einem | |
| ehemaligen Militärstützpunkt, was sich im Film vielleicht zwischen den | |
| Zeilen vermittelt. Es war mir wichtig, diese Fantasie an diesem | |
| wildnishaften Ort mit einer Gruppe von Deutschen dann auch mit einer | |
| deutschen Geschichte zu verbinden. Als Verbündete Bulgariens im Zweiten | |
| Weltkrieg waren die Deutschen eben schon einmal dort, weshalb sie dort auch | |
| auf unterschiedlichste Art überhöht werden. In jeder Überhöhung steckt aber | |
| auch eine Aggression, und diese Zeit hat dort unterschiedliche Spuren | |
| hinterlassen. Vincent sagt an einer Stelle: „Jetzt sind wir wieder hier. | |
| Hat eine Weile gedauert.“ Neben dieser offiziellen Geschichtsschreibung | |
| gibt es dann den Wunsch, sich wieder unschuldig, aber auch stark zu fühlen. | |
| Es gibt den Wunsch, diese Geschichte loszuwerden oder andere Schlüsse aus | |
| ihr zu ziehen. Ich fand es wichtig, zu erzählen, dass das in dieser Gruppe | |
| von Männern mitschwingt. | |
| Sie haben erneut mit Laien gedreht. Reinhardt Wetrek ist eigentlich | |
| Gerüstbauer und nur zum Casting gegangen, um seiner Tochter zu beweisen, | |
| dass er sich etwas traut. Wie haben Sie es letztlich geschafft, Ihren | |
| Darstellern Ihre Vision zu vermitteln und sie über den gesamten Dreh für | |
| das Projekt zu interessieren? | |
| Es ist ein langer gemeinsamer Prozess gewesen, der mit einem ausführlichen | |
| Casting begann. Dort lief die Kamera bereits mit, und es ist eine erste | |
| gemeinsame Erfahrungswelt entstanden. Ich habe immer wieder, erst | |
| allgemeiner, dann dezidierter erzählt, worum es mir mit meiner Geschichte | |
| geht. Grundsätzlich ging es in der Vorbereitung darum, diese Männergruppe | |
| zu finden und gleichzeitig den Eindruck zu vermitteln, wie es sein könnte, | |
| einen Film zu machen. Vor dem Dreh haben wir eine ganze Menge | |
| Schauspielarbeit gemacht, sodass die Darsteller quasi schon warmgespielt | |
| waren für das, was da kommt. | |
| 24 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Toby Ashraf | |
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