# taz.de -- Erste Blindenfußball-EM in Berlin: Immer der Rassel nach | |
> Bei der Blindenfußball-EM wird nicht nur auf dem Platz gekämpft. Die | |
> Zurufe der Trainer sind spielentscheidend. Ein Besuch bei der Partie | |
> Spanien gegen Russland. | |
Bild: Beim Blindenfußball kann der Torwart als Einziger sehen | |
Hektisches Gerangel an der Bande. Evgenii Shelaev ist umringt von mehreren | |
Gegenspielern. Sie treten in die Richtung, in der sie den Ball vermuten. | |
Shelaev kann sich befreien. Für den Bruchteil einer Sekunde steht er | |
unschlüssig in der Mitte des Feldes. „Los! Los! Vorwärts, geh vorwärts!“, | |
brüllt der Trainer hektisch von der Seitenlinie. Shelaev läuft los, die | |
Gegner aus Spanien hinterher. Gruppenphase der Blindenfußball-EM, die | |
dieses Jahr in Berlin am Anhalter Bahnhof stattfindet. Russland gegen | |
Spanien, diesmal unter freiem Himmel. | |
Oft wird Blindenfußball in der Halle ausgetragen, da sich die Spieler nur | |
über ihr Gehör orientieren können. Unter akustisch günstigen Umständen ist | |
der Sport aber auch im Freien möglich. Auf dem Sportplatz neben dem | |
Tempodrom konnte man eine geeignete Atmosphäre schaffen. Das Hotel, in dem | |
die Teams untergebracht sind, befindet sich nur wenige Meter vom Spielort | |
entfernt. Immer wieder laufen kleine Gruppen, die Hand auf die Schulter des | |
Vordermannes gelegt, zwischen Platz und Hotel hin und her. | |
Die Rufer der Teams übertönen den Straßenlärm. „Andreeej! Ins Zentrum, | |
schnell!“, brüllt der russische Torwart „Vale, vale!“, schallt es von der | |
Bank der Spanier. Die vier blinden Feldspieler pro Team bekommen das | |
Geschehen von nahezu allen Seiten aus brüllend beschrieben. Der Guide | |
hinter dem Tor des Gegners beschreibt den Stürmern die Lage im Strafraum. | |
An der Seitenlinie koordiniert der Trainer und der Torwart, der einzige | |
sehende Spieler organisiert seine Abwehr. Gespielt wird auf einem kleinem | |
Feld, 40 mal 20 Meter, mit Hockeytoren. | |
Guide und gegnerischer Torwart brüllen derweil wüst durcheinander. | |
„Zhenya!“, ruft der russische Torwart. „Zhenya! Links, liiiinks! Hier! | |
Igor!“ „Cito! Vale!“, brüllt Spaniens Guide gegen den russischen Torwart | |
an. Die Feldspieler folgen ihren Rufen und pendeln den Ball zwischen ihren | |
Füßen. In ihm ist eine Rassel integriert, damit sie wissen, wo er sich | |
befindet. | |
## „Ich bin absolut fasziniert“ | |
Nähert sich ein Spieler demjenigen mit Ball, ruft er „Voy“, um | |
Zusammenstöße zu vermeiden. „Voy“ bedeutet im Spanischen „ich gehe“. … | |
Bande an den Seitenlinien ist glatt, damit die Spieler nicht hängen bleiben | |
und sich an ihr entlangtasten können. | |
Die Ränge sind an diesem grauen Montagvormittag noch spärlich besetzt. Doch | |
die Zuschauer, die da sind, sind begeistert. „Ich bin absolut fasziniert. | |
Wirklich Wahnsinn!“, sagt Björn Vendovszky, der mit Frau und kleiner | |
Tochter gekommen ist. Sie sind zum ersten Mal beim Blindenfußball und | |
möchten wiederkommen. „Ich finde es wichtig, dass man sich so etwas | |
ansieht“, sagt Vendovszky. „Und für mich ist es gut, dass es nicht so lang | |
ist“, fügt seine Frau hinzu und schmunzelt. | |
Eine Halbzeit dauert im Blindenfußball zwanzig Minuten, wobei die Zeit bei | |
jeder Unterbrechung angehalten wird. „Unterbrechung wegen Equipment“, sagt | |
der Stadionsprecher. Auch er hilft, den Spielern die Situation zu | |
beschreiben. „Ich glaub, die Maske muss korrigiert werden“, sagt einer der | |
Spieler zum Schiedsrichter gewandt. Der Schiedsrichter kommt zur Hilfe, | |
hebt die Augenbinde, die einer Skibrille ähnelt, und kontrolliert die | |
Augenpflaster darunter, die das Sehfeld der Spieler zusätzlich abkleben. | |
Die Augenbinden sollen mögliche Unterschiede der Sehschädigungen | |
ausgleichen. Alles okay. Weiter geht’s. Auf der Stirn des russischen Guides | |
pocht mittlerweile eine Vene: „Zhenya! Zurück!“ Das Spiel verlagert sich | |
vor das spanische Tor. | |
## Das Spiel endet unentschieden | |
Der Torwart ist angespannt, die Knie leicht gebeugt, den Blick fest auf den | |
Ball gerichtet. Mit der Hand ertastet er nebenbei den Abstand zum Pfosten, | |
der russische Guide macht es ihm nach, hinter der Linie. Beide stehen fast | |
nebeneinander, die Hand an den Pfosten, leicht in der Hocke. „Linkes Bein, | |
linkes Bein!“, brüllt der Russe. „Weiter! Weiter!“, versucht ihn der | |
Spanier zu übertönen. | |
Später kommt es zum Strafstoß, aus acht Metern Entfernung. Die Rufer | |
verstummen abrupt. Der Spanier platziert den Ball, sein Guide klopft mit | |
einem kleinen Stöckchen erst den einen, dann den anderen Pfosten ab. Der | |
Spanier verschießt trotzdem, das Spiel endet unentschieden. | |
21 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Rebecca Barth | |
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