# taz.de -- Griechischer Kunstsommer 2017: Wirkmächtige Paarung | |
> Im Art Space Pythagorion nimmt in diesem Jahr die Kuratorin Katerina | |
> Gregos die Spur des „Summer of Love“ 1967 auf. | |
Bild: Marge Mongo, Lucy in the Sky (Wandtapete), 2017 | |
Schwarze Geisterschiffe gleiten von Fackeln beleuchtet in die Bucht. Eine | |
kleine Armada, begleitet von Lautsprechermusik und der raunenden Erzählung | |
von der Schlacht vor der Insel Samos. Im Hintergrund, eine knappe Seemeile | |
entfernt, schimmern dunkel die Hügel des türkischen Festlands. Jedes Jahr | |
am 6. August wird mit einem grandiosen Feuerwerk der Sieg gefeiert. Gefahr | |
gebannt. Große Gefühle sind das, gespeist von existenziellen Reflexen, die | |
wenig Raum lassen für vernunftbegabte Reflexion. So schön und dabei so | |
vernichtend. | |
Hier, am Hafen von Pythagorion, veranstaltet die in München ansässige | |
Schwarz Foundation seit 2012 jeden Sommer in ihrem eleganten Außenposten | |
eine Ausstellung mit zeitgenössischer Kunst. Katerina Gregos, die | |
Kuratorin, hat in diesem Jahr das Augenmerk auf den „Summer of Love“ 1967 | |
gerichtet – eine Reminiszenz und eine Beschwörung gleichermaßen. | |
Rechtzeitig zur Vernissage illustriert der fröhliche Pomp der Siegesfeier | |
die nie versiegende Anziehungskraft der Macht, die so schamlos | |
Unterdrückung und Krieg legitimiert. | |
Neun Künstler haben über diesen legendären Sommer nachgedacht, den sie | |
höchstens als Kinder erlebt haben. Mit diesen Positionen unterläuft | |
Katerina Gregos sehr klug jede nostalgisch verklärte Überhöhung der Zeit | |
und zielt vielmehr und viel interessanter auf die spätere Rezeption des | |
Phänomens und seiner Folgen. | |
Wofür also steht das einigermaßen legendäre Jahr heute? Das Jahr, in dem | |
sich Zigtausende zu Protesten gegen den Vietnamkrieg formierten, in dem der | |
Bürgerkrieg in Kambodscha begann, in dem sich die griechische | |
Militärdiktatur unter Georgios Papadopoulos etablierte, in dem der | |
Sechstagekrieg radikal neue geopolitische Fakten schafft, in dem Che | |
Guevara in Bolivien exekutiert wird, in dem Muhammad Ali den Militärdienst | |
verweigert, in dem Jimi Hendrix in Monterey seine Gitarre anzündet und die | |
Beatles „Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ veröffentlichen. | |
## 1967 war eines brutaler kriegerischer Konflikte | |
Anders gesagt, 1967 war das Jahr brutaler kriegerischer Konflikte, in dem | |
ziviler Ungehorsam und Flower Power sich zunächst als soziokulturelle | |
Gegenbewegung, dann als weltweit wirksame Irritation und Innovation | |
gleichermaßen ins Zeug legten. Ergebnis waren diverse politische und | |
gesellschaftliche, auch sozialromantische Bestrebungen, die heute | |
international als 68er Bewegung historisiert und gern als sentimental-naive | |
Utopien belächelt werden. Und die ungeachtet der Klage über Versagen und | |
Vergeblichkeit, lautstark nachhallen. | |
Mikhail Karikis hat für dieses Phänomen eine überzeugende audiovisuelle | |
Form gefunden, hat eine elegant geschwungene Sitzskulptur für viele in | |
einem Soundenvironment errichtet, in dem die vor fünfzig Jahren gepressten | |
ikonischen Schallplatten zu sehen und zu hören sind, dazu werden gescheite | |
Bücher zum Thema Liebe und Politik als wirkmächtige Paarung vorgestellt; | |
Gespräch und Reflexion, sie sind das – unsterbliche – Vehikel der | |
Überwindung und Veränderung. | |
Mit ihrer Reminiszenz an das seinerzeit berühmte Graffito an den Mauern der | |
Pariser Sorbonne, das Liebe und Politik so wunderbar verquickte, „The more | |
I make love the more I want to make revolution …“, verweist die | |
estländische Künstlerin Marge Monko auf die Genehmigung der Pille durch das | |
französische Parlament im Jahr 1967 und auf die weltweiten, teils sehr | |
zornigen Reaktionen und überaus zögerlichen Adaptionen dieser Entscheidung | |
in den Folgejahren. | |
Freie Liebe, das Motto der Zeit, aber auch die Freigabe von Drogen (die | |
andere Pille hieß LSD) gingen eine vermeintlich unschlagbare Allianz ein, | |
die so wohl keine noch so rigoros feministische Kampagne hätte auf den Weg | |
bringen können. Buchstäblich mit Wegweisern versucht der in Pittsburgh | |
geborene Tomomi Itakura im Außenraum des Art Space die logische (oder | |
vielleicht doch nur zufällige?) Verbindung der aufbegehrenden | |
Nachkriegsjugend mit heutigen Gruppierungen und Überzeugungen (oder sind es | |
trendverhaftete Knebelungen?) herzustellen. | |
## Der Hippie 1967 steht gegen den Hipster 2017 | |
Er konfrontiert quasi als einander bedingende Konsequenz den „Hippie 1967“ | |
mit dem „Hipster 2017“, den „Whole Earth Catalogue 1967“ mit dem „Wor… | |
Wide Web 2017“. Das rückt die Arbeit ästhetisch und inhaltlich in das Reich | |
der Gemeinplätze, ist eher unbefriedigend und nicht sonderlich griffig. | |
Als überaus gelungene Verknüpfung erweisen sich hingegen die zwei Filme, | |
die in Zusammenarbeit des griechischen Künstlers Nicolas Kozakis mit dem | |
belgischen Kulturphilosophen Raoul Vaneigem entstanden, „Our Existence is a | |
Maze“ und „What of Our Life“. Bild und Sprache, Wahrnehmung und Gedanke | |
bilden eine verblüffende Harmonie, ohne sich illustrativ aufeinander zu | |
beziehen. | |
In unaufgeregter, manchmal melancholischer Bildsprache verdeutlicht Kozakis | |
die Quintessenz der menschlichen Existenz, hier in der nordgriechischen | |
Landschaft, während die extrem kritischen, dabei auf ihre Weise poetischen | |
Sentenzen des situationistischen Vordenkers die verheerenden Auswirkungen | |
eines unmenschlichen kapitalistischen Systems präzisieren, in dem wir uns, | |
wenn wir uns nicht auf die Liebe besinnen, nur verirren können. | |
Die Liebe wird in dieser Ausstellung als soziokultureller Topos zur Basis | |
drängender politischer Veränderungen. Liebe und Politik sind demzufolge | |
untrennbar verbunden, will man sich aus der Umklammerung von Angst, Gier | |
und Ausbeutung lösen. Der belgische Künstler und Filmemacher Johan | |
Grimonprez verweist in seiner Montage eines Interviews mit dem | |
amerikanischen Politphilosophen Michael Hardt und Sequenzen aus Jean-Luc | |
Godards Film „Alphaville“ von 1965 auf die zeitgemäß interpretierten | |
Zusammenhänge von Liebe, Politik und Gemeinsinn. | |
## Wo alle auf Liebe bezogenen Wörter verboten sind | |
Godard beschreibt in seiner Fiktion einer zukünftigen Stadt, was geschieht, | |
wenn alle Wörter, die sich auf Liebe und Zuneigung beziehen, verboten | |
werden. Jeden Tag verschwindet wieder ein Wort in einer Welt, die für die | |
Liebe keine Verwendung mehr hat. Hardt sagt, wir müssen neu definieren, wie | |
wir die Welt, die Politik, die Liebe, die Allmende (ein heute | |
bezeichnenderweise wenig gebräuchlicher Begriff, der die Gemeingüter wie | |
die Ressourcen der Natur etc. meint) benennen und strukturieren wollen, um | |
weiter existieren zu können und nicht in einem System zu verdämmern, das | |
sich als untauglich und zerstörerisch erwiesen hat. | |
Uriel Orlow untersuchte über Jahre die Bedingungen auf den | |
Containerschiffen, die nach der unvorhersehbaren Sperrung des Suezkanals zu | |
Beginn des Sechstagekriegs von 1967 bis 1975 festsaßen. Die Mannschaften | |
waren gezwungen, in der absoluter Isolation eine funktionierende | |
internationale Gemeinschaft zu bilden. Bild- und Archivmaterial belegen die | |
Anstrengungen, für deren Gelingen die Liebe zum „Anderen“ Voraussetzung | |
war. | |
Und ein sanguinisches Naturell. Man veranstaltete 1968 eigene Olympische | |
Spiele, tolerierte transsexuelle Gepflogenheiten, die Prioritäten für das | |
Zusammenleben wurden neu definiert. Eine Tapete mit im wissenschaftlichen | |
Duktus gezeichnetem Meeresgetier illustriert in dieser modularen | |
Installation die Natur der Migration schlechthin. Auch hier wieder der | |
Suezkanal: Seit seinem Bestehen 1868 ist eine Wanderung der Fische vom | |
Roten Meer in das wärmere und salzhaltigere Mittelmeer zu beobachten. Mit | |
allen Begleiterscheinungen einer feindlichen (oder freundlichen) Übernahme. | |
Orlow imaginiert mit seiner hybriden Tierwelt in den Meeren einen Ausweg | |
aus brutalen Konfliktsituationen, wie sie sich exemplarisch im östlichen | |
Mittelmeer darstellen. Eine neue, grenz- und regelüberschreitende Spezies | |
muss her. Ein Traum, farbfrisch, gut und richtig wie vor fünfzig Jahren. | |
Ein erweitertes Liebeskonzept wäre ein prima Anfang. | |
10 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Annegret Erhard | |
## TAGS | |
zeitgenössische Kunst | |
Lichtkunst | |
Schwerpunkt Flucht | |
Kunst | |
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