| # taz.de -- Italiens Marine vor Libyen: Diplomaten vergessen Bürgerkrieg | |
| > Der italienische Marineeinsatz auf Wunsch der westlibyschen Regierung | |
| > heizt den Krieg an. Damit wird auch das Flüchtlingselend vergrößert. | |
| Bild: Flüchtlinge vor der libyschen Küste | |
| Tunis taz | Die Reaktion des mächtigsten Kriegsfürsten Libyens auf Italiens | |
| Beschluss, ab sofort in libyschen Hoheitsgewässern gegen Schmugglerboote | |
| von Flüchtlingen vorzugehen, fiel militärisch knapp aus. „Wir werden die | |
| ausländischen Eindringlinge aus dem libyschen Territorium vertreiben“, | |
| erklärte das Medienzentrum der „Operation Würde“ von General Chalifa Haft… | |
| im Osten des Landes. „Nur Handelsschiffe dürfen unsere Häfen wie gewohnt | |
| anlaufen.“ | |
| Zuvor hatte Italien ungewohnt schnell Fakten geschaffen. Kurz nach einem | |
| Parlamentsvotum in Rom am Mittwoch traf das italienische Patrouillenboot | |
| „Commandante Borsini“ im Hafen der libyschen Hauptstadt Tripolis ein. Es | |
| wird für fünf Tage in der Abu-Sitta-Marinebasis ankern. | |
| In Tripolis amtiert die international anerkannte libysche | |
| Übergangsregierung von Premierminister Fajis Sarradsch. 1.000 Kilometer | |
| weiter östlich sitzt die Gegenregierung des nach Tobruk gezogenen libyschen | |
| Parlaments, die den von Ägypten und Frankreich unterstützten General Haftar | |
| zum Armeechef erklärt hat und die Autoritäten im Westen des Landes | |
| bekämpft. Wie gewohnt spricht Haftar allen Beschlüssen der „von den | |
| Vereinten Nationen installierten Regierung“ in Tripolis die Legitimität ab. | |
| Doch aus Westlibyen legen fast alle Boote der Menschenhändler im Mittelmeer | |
| ab – von den Häfen zwischen Misrata und der tunesischen Grenze. Deswegen | |
| konzentrieren sich Italiens Bemühungen auf diesen Landesteil. Vom Küstenort | |
| Zuwara, 100 Kilometer westlich von Tripolis, strömt überdies Gas aus der | |
| libyschen Saharawüste durch die libysch-italienische Greenstream-Pipeline | |
| nach Sizilien. | |
| ## Italien erschließt Gasfelder | |
| Zwar kommen nur 17 Prozent des italienischen Gasverbrauchs aus Libyen, doch | |
| mit Milliardeninvestitionen will der staatliche italienische Energiegigant | |
| ENI neue Felder in Libyen erschließen, um sich vom russischen Gazprom zu | |
| lösen, das den Rest des Bedarfs Italiens deckt. Russland gehört zu den | |
| Unterstützern Haftars in Ostlibyen. | |
| „Die ehemalige Kolonie Libyen ist für Italien aus vielfachem Grund wichtig. | |
| Migration spielt dabei nur in den Medien die Hauptrolle“, sagt der libysche | |
| Analyst Mohamed Khalil, der für Human Rights Watch die Lage über Jahre | |
| beobachtet hat. | |
| Dass man in Rom hauptsächlich an Westlibyen interessiert ist, kritisiert | |
| hingegen der Journalist Ala Drissi aus dem ostlibyschen Bengasi. Dies | |
| verstärke die seit der Kolonialzeit bestehenden antiitalienische | |
| Ressentiments in Ostlibyen. Unterstützt von westlibyschen Stämmen, hatte | |
| die italienische Kolonialarmee in den 1920er Jahren drei Viertel der | |
| Bevölkerung der ostlibyschen Cyrenaika getötet, es gab systematischen | |
| Luftterror und Konzentrationslager. | |
| „Mit der Geheimdiplomatie mit den in Tripolis und anderen westlibyschen | |
| Städten herrschenden Milizen stoßen die Europäer und die besonders aktiven | |
| Italiener den Osten vor den Kopf, vor allem in Bengasi, wo die Armee die | |
| Islamisten nach hohen Verlusten vertrieben hat“, gibt Drissi die | |
| ostlibysche Kritik am Deal zwischen Rom und Tripolis wieder. | |
| Derweil ist nur wenig über das Abkommen zwischen Premier Sarradsch aus | |
| Tripolis und der italienischen Regierung bekannt. Sarradsch hatte | |
| vergangene Woche Italiens Marine zur Unterstützung der libyschen | |
| Küstenwache gegen Schleuser angefordert – aber was genau sie tun soll, kann | |
| niemand sagen. Außenministerium und Premierministeramt widersprechen sich. | |
| Nach heftiger Kritik bestritt Sarradsch nun, dass er Italiens Marine | |
| eingeladen habe, innerhalb der 12-Meilen-Zone zu operieren, wie es Italiens | |
| Marinechef verkündet hatte. | |
| Ein enger Mitarbeiter des Premiers berichtet gegenüber der taz über große | |
| Frustration im Stab von Sarradsch und den Ministerien: Nur wenige | |
| Vereinbarungen der Interimsregierung mit der EU oder UN würden überhaupt | |
| ausreichend schriftlich festgehalten. Europäische Diplomaten erzählen, dass | |
| die libyschen Delegationen bei Verhandlungen oft nicht einmal mitschreiben. | |
| ## Waffenstillstand torpediert | |
| Die bisher konkreteste Folge des italienischen Marineeinsatzes scheint zu | |
| sein, den vor einer Woche von Frankreich vermittelten Waffenstillstand | |
| zwischen Sarradsch und Haftar zu torpedieren. Die Euphorie über Macrons | |
| Coup hielt nur bis zur Einladung der italienischen Marine durch Sarradsch. | |
| Vielleicht war dies Italien auch ganz recht, nach heftiger Kritik aus Rom | |
| am Pariser Alleingang. | |
| Das bedeutet aber auch, den libyschen Konflikt neu anzufachen. „Die Ankunft | |
| des italienischen Zerstörers in Abu Sitta sieht die östliche Armeeführung | |
| nicht als Mittel, um die libysche Marine im Kampf gegen die Schmugglerboote | |
| zu unterstützen, sondern als Stärkung ihrer Gegner“, analysiert Mohamed | |
| Khalil und kritisiert: „Die Diplomaten vergessen, dass ein Bürgerkrieg | |
| stattfindet.“ | |
| 3 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Mirco Keilberth | |
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