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# taz.de -- Unternehmen und Einreiseerlaubnis: Privatsache Visavergabe
> Deutschland verlagert die Ausgabe von Einreisegenehmigungen an
> Unternehmen. Die Risiken werden ignoriert.
Bild: Begehrt und oft nur privat erhältlich: Einreisevisum im Pass
Berlin/London taz | Durch die Doppeltür mit der Aufschrift „Welcome to VFS
Global“ verlässt die Chinesin Jerdi Wui das Haus mit der Nummer 66. Das
Geschäftsgebäude steht in der Wilson Street, mitten im Londoner
Finanzzentrum, weitab vom Botschaftsviertel Kensington. Trotzdem verlauten
die Schilder links und rechts der Tür, dass Kunden hier ihre Visa für
Reisen ins Ausland bekommen: für Kanada zum Beispiel, für Dänemark, für die
Schweiz, Südafrika und Dubai – und für die Bundesrepublik Deutschland.
Deswegen ist Jerdi Wui Rafael hier. Die 22-Jährige plant mit ihrem Freund
einen Städtetrip nach Köln. Als Chinesin, die in Großbritannien lebt,
braucht sie dafür ein Schengen-Visum. Und das gibt es eben in der Londoner
Filiale der Firma VFS Global.
„Es ist ein bisschen dreckig und stickig, ohne anständige Belüftung, und
auf dem Boden waren Kaffeeflecken. In der chinesischen Botschaft sieht es
besser aus“, sagt die junge Frau. Zwei Stunden musste sie warten. Zwanzig
Kunden waren vor ihr dran, obwohl sie einen Termin hatte. Aber immerhin:
Als sie endlich dran war, ging alles ganz schnell. Und die Mitarbeiter,
sagt Jerdi Wui Rafael, die waren freundlich.
## Ein sensibles Geschäft
Für insgesamt 19 Staaten arbeitet das Personal im Londoner Visazentrum. Die
Filiale ist Teil eines weltweiten Trends: Immer mehr Staaten gliedern Teile
ihrer Konsularabteilungen an private Dienstleister aus. Sie setzen auf
Outsourcing, um Kosten zu sparen und um mit der steigenden Zahl von
Antragstellern fertig zu werden. Auch die Bundesrepublik ist dabei. Derzeit
arbeitet das Auswärtige Amt daran, die Zusammenarbeit mit den Privaten
deutlich auszuweiten.
Dabei mangelt es nicht an kritischen Stimmen. „Bei der Visavergabe geht es
um die Gewährleistung eines verlässlichen staatlichen Handelns im Rahmen
des geltenden Rechts“, sagt die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen
(Linkspartei). Abstriche zur Kosteneinsparung oder zur Profitmaximierung
von Unternehmen dürfe es da nicht geben.
Die Probleme beim Outsourcing: Anders als die Botschaften unterliegen die
Privatfirmen den Gesetzen des jeweiligen Gastlandes. Persönliche Daten der
Antragsteller könnten also in die Hände von Sicherheitsbehörden fallen.
Durch Sicherheitslücken verloren Visadienstleister schon einmal sensible
Informationen an Computer-Hacker. Und dann besteht noch die Gefahr, dass
Mitarbeiter der Unternehmen bei der Terminvergabe die Hand aufhalten. „Mit
der Auslagerung entledigt sich der Staat komplett der Kontrolle über einen
Bereich, der für Bestechungen zutiefst anfällig ist“, sagt der
Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour.
Los ging die Privatisierung der Visavergabe schon unter FDP-Außenminister
Guido Westerwelle. Während seiner Amtszeit strich sein Ministerium erst
Stellen in den Konsularabteilungen und lagerte dann die ersten
Visaverfahren aus – unter anderem in der Türkei, Russland und China.
Frank-Walter Steinmeier (SPD) ließ das Personal wieder aufstocken; aber
weil gleichzeitig auch die Zahl der Visumanträge stieg, ging das
Outsourcing weiter – unter anderem in Tunesien, Marokko und Ägypten. Im
Februar 2017 hat das Außenministerium dann [1][Konzessionen für über ein
Dutzend weiterer Länder ausgeschrieben], darunter Iran und Israel.
Insgesamt soll die Zahl der ausgelagerten Konsularabteilungen von 18 auf 32
steigen. Im Moment laufen die Verhandlungen mit den Bietern.
Wie funktionieren die Geschäfte? Und was bedeuten sie für die
Antragsteller? Wer zum Beispiel in London ein Schengen-Visum für
Deutschland braucht, [2][vereinbart erst einen Termin auf der Internetseite
der Firma VFS Global]. Ist der Tag gekommen, überreichen die Kunden in der
Wilson Street 66 ihre Unterlagen und Reisepässe an die Mitarbeiter der
Firma, außerdem geben sie ihre Fingerabdrücke ab. Das Personal übermittelt
die Daten an die Deutsche Botschaft am Hyde Park, die über die Anträge
entscheidet. Am Ende holen die Kunden ihre Pässe wieder im privaten
Visazentrum im Bankenviertel ab.
## Die zusätzlichen Kosten zahlt der Antragsteller
Die Bundesregierung überweist für die Prozedur kein Geld an den
Dienstleister. Die Firma bekommt ihr Geld von den Antragstellern:
Zusätzlich zu den regulären Visagebühren in Höhe von 60 Euro, die an die
Botschaft gehen, müssen sie dem Unternehmen eine sogenannte Servicegebühr
in Höhe von 21 Euro zahlen. Oder sie geben 65 Euro für das Premiumangebot
aus. Dann wird das Visaverfahren zum All-inclusive-Erlebnis mit einem
VIP-Schalter, kühlen Getränken und einem persönlichen Assistenten, der beim
Ausfüllen des Formulars hilft.
Für spezialisierte Dienstleister ist das Outsourcing ein lukratives
Geschäft. Sie heißen TLS Contact, iData oder eben VFS Global. Auf den
Marktführer vertraut das Auswärtige Amt nicht nur in Großbritannien,
sondern auch in neun anderen Ländern. Insgesamt betreibt das Unternehmen
nach eigenen Angaben 2.377 Visazentren in 129 Ländern.
Genau genommen handelt es sich bei VFS Global nicht um ein einzelnes
Unternehmen, sondern um ein Firmengeflecht mit Ablegern und Holdings in
Steuerparadiesen wie Mauritius und den Cayman Islands. Eigentümer ist der
Schweizer Reisekonzern Kuoni, der im Jahr 2016 allein mit VFS Global einen
Bruttogewinn in Höhe von 255 Millionen Franken erzielte. [3][Laut
Geschäftsbericht] ist die Sparte innerhalb des Konzerns die
„wachstumsstärkste, innovativste und profitabelste“. [4][Laut einem
Rechenschaftsbericht] für das britische Handelsregister bemüht sich das
Unternehmen „weltweit aggressiv um neue Verträge“ und hofft auf eine noch
„schnellere globale Expansion“. Als oberstes Geschäftsrisiko gibt die Firma
an, dass Regierungen ihre Auslagerungspolitik überdenken könnten.
Danach sieht es im Auswärtigen Amt aber nicht aus. „Die Einschaltung von
externen Dienstleistungserbringern hat sich bewährt“, heißt es aus dem
Ministerium. „Ohne die Einschaltung externer Dienstleistungserbringer ließe
sich die kontinuierlich steigende Zahl von Visumanträgen nicht mehr in
angemessener Frist bewältigen.“
## Nur „als letztes Mittel“
Der Europäischen Union missfällt dieser Trend. [5][Der Visakodex der
Gemeinschaft] erlaubt es nur „als letztes Mittel“, mit externen
Dienstleistern zusammenzuarbeiten. Und selbst das nur unter einer
Bedingung: Der Gang zum privaten Visazentrum muss freiwillig bleiben. Auch
die Botschaften selbst sollen weiterhin Anträge annehmen.
Auf dem Papier ist das an den deutschen Botschaften auch der Fall. In der
aktuellen Ausschreibung heißt es: „Antragsteller können jederzeit ihre
Anträge direkt bei der Visastelle einreichen.“ Geltende Verträge mit den
Dienstleistern, die der taz vorliegen, enthalten ähnliche Klauseln. Die
Praxis sieht aber oft anders aus.
In Tunesien spuckt [6][das Onlineformular für die Terminbuchung an der
Botschaft] wochenlang nur eine Fehlermeldung aus: „Es sind zurzeit leider
keine Termine verfügbar.“ Die Botschaft in Marokko [7][schreibt auf ihrer
Internetseite in roter Schrift]: „Schengenvisaanträge müssen im
TLS-Contact-Annahmezentrum eingereicht werden.“ Und in London [8][heißt es
online schlicht]: „Die Deutsche Botschaft hat ihren Visa-Service an den
externen Dienstleiter VFS ausgelagert.“
Aus der Doppeltür in der Wilson Street 66 tritt Anan, ein 40-jähriger
Inder, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte. Vor Reisen nach
Deutschland kommt er regelmäßig in die Filiale von VFS Global. „Die
kassieren zwar eine Zusatzgebühr, aber so viel ich weiß, gibt es keine
alternative Stelle für ein deutsches Visum“, sagt er. Dass er auch direkt
zur Botschaft gehen könnte, hat er noch nie gehört.
## Das Auswärtige Amt kann kein Problem erkennen
Auch er musste heute lange im ersten Stock warten, obwohl er seine zwei
kleinen Kinder dabei hatte. „Wir waren für halb eins bestellt und erst
jetzt, fast zwei Stunden später, sind wir wieder draußen“, erzählt er
genervt. Manchmal gehe es hier schneller, manchmal langsamer. Ein
Glücksspiel.
„Die Auslandsvertretungen überprüfen regelmäßig die externen
Dienstleistungserbringer und deren Service-Niveau“, heißt es aus dem
Auswärtigen Amt. „Die vorliegenden Auswertungen belegen eine hohe
Kundenzufriedenheit.“ Lange Wartezeiten gebe es „an den allermeisten Orten�…
nicht mehr. Statistiken zu Kundenzufriedenheit und Wartezeiten legt das
Ministerium aber nicht vor. Für das Auswärtige Amt bleibt es auch auf
Nachfrage dabei: An vielen Orten gibt es zur Auslagerung keine Alternative.
Dabei hat die EU-Kommission ihren Mitgliedsländern schon vor fünf Jahren
[9][ein Kommuniqué mit Vorschlägen geschickt], wie sie auch ohne private
Dienstleister den Anstieg bei den Visumanträgen bewältigen könnten. Als
Beispiel taucht darin Italien auf. Um den Tourismus anzukurbeln und mehr
Reisende aus China anzulocken, stockten die Italiener im Jahr 2011 das
Personal ihrer Konsulate auf. Schon nach sechs Monaten zeigte sich der
Erfolg: Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum hatte sich die Zahl der
erteilten Visa verdoppelt.
18 Oct 2017
## LINKS
[1] http://ted.europa.eu/udl?uri=TED%3ANOTICE%3A48333-2017%3ATEXT%3ADE%3AHTML&a…
[2] http://www.vfsglobal.com/germany/uk/
[3] http://www.geschaeftsberichte-rating.ch/fileadmin/user_upload/redakteure/ra…
[4] https://beta.companieshouse.gov.uk/company/07389620/filing-history/MzE3Njc1…
[5] http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32009R0810
[6] https://service2.diplo.de/rktermin/extern/choose_realmList.do?request_local…
[7] http://www.rabat.diplo.de/Vertretung/rabat/de/04-konsular-bzw-visainformati…
[8] http://www.uk.diplo.de/Vertretung/unitedkingdom/en/07/Visa/Visa.html
[9] http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX%3A52012DC0649&…
## AUTOREN
Tobias Schulze
Daniel Zylbersztajn
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Visa
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