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# taz.de -- Debatte Religion: Unzeitgemäße Privilegien
> Konfessionsfreie werden vom Ethikunterricht bis zum Arbeitsrecht überall
> diskriminiert. Die Bevorzugung der Kirchen gehört abgeschafft.
Bild: Auch hier steckt die Kirche drin: Krankenhaus in Berlin-Wilmersdorf
In Kürze ist es wieder so weit. Ein neuer Jahrgang von Erstklässlern wird
eingeschult. Sie sollen in den nächsten Jahren in der Schule all das
lernen, was man zum Leben in der Gemeinschaft so braucht: lesen, schreiben
und ein Grundwissen über die Welt, in der wir leben. Und sie sollen auch
lernen, wie man sich zu verhalten hat, damit ein friedliches Zusammenleben
möglich ist, was die Regeln unserer Gesellschaft, unsere Normen und Werte
sind.
Dafür gehen die katholischen Kinder in den katholischen
Religionsunterricht, die evangelischen Kinder gehen in den evangelischen
Religionsunterricht, die Kinder orthodoxer Christen gehen in den orthodoxen
Religionsunterricht, die jüdischen Kinder gehen in den jüdischen
Religionsunterricht, die Muslime in den islamischen Religionsunterricht und
so weiter. Und die Kinder von humanistisch orientierten oder
konfessionsfreien Menschen? Die gehen in vielen Bundesländern nirgendwo
hin.
Bis heute ist der staatliche Ethikunterricht in vielen Bundesländern nicht
in allen Jahrgangsstufen und nicht in allen Schulen eingeführt worden.
Einen humanistischen Lebenskundeunterricht, der im Gegensatz zum
Ethikunterricht nicht weltanschaulich neutral sein muss, sondern
humanistische Werte vermitteln kann, gibt es bislang nur in Berlin und
Brandenburg.
Über ein Drittel der deutschen Bevölkerung ist jedoch inzwischen
konfessionsfrei. In den neuen Bundesländern sind es sogar über 80 Prozent.
Die christlichen Kirchen haben seit vielen Jahren erhebliche
Mitgliederverluste. Die etwa 3,5 bis 5 Prozent Muslime in Deutschland
können diesen Schwund an religiös orientierten Menschen nicht kompensieren.
Die Zahl der Konfessionsfreien nimmt jedes Jahr zu.
## Politische Tabuthemen
Dass der Staat die Kirchen nach 1945 in die Prozesse der moralischen
Erziehung der nachfolgenden Generationen und der sozialen Absicherung der
Bevölkerung einbezogen hat und sie dafür finanziell gut ausstattete, war
bei einer damals zu über 98 Prozent christlichen Bevölkerung
nachvollziehbar. Doch inzwischen ist daraus eine unzeitgemäße
Privilegierung der Kirchen geworden.
Das Beispiel des Ethikunterrichts ist symptomatisch für die Benachteiligung
humanistischer und konfessionsfreier Menschen in allen Lebensbereichen.
Eine Mutter aus Baden-Württemberg, die für ihre Kinder an der Grundschule
einen Ethikunterricht wünschte, hat versucht, diesen einzuklagen. Das
Bundesverwaltungsgericht hat diese Klage 2014 abgewiesen. Nach der
Auffassung des Gerichts privilegiert das Grundgesetz die Religionen, so
dass es Konfessionsfreie hinnehmen müssten, wenn der Staat ihren Kindern
eine entsprechende moralische Erziehung verweigere. Die dagegen
eingereichte Verfassungsbeschwerde ist noch nicht entschieden.
Selbst wenn diese Auslegung des Grundgesetzes richtig sein sollte, worüber
man sehr streiten kann, wäre es dringend geboten, hieran politisch etwas zu
ändern. Dies passiert aber nicht. Die Privilegien der Kirchen im
Arbeitsrecht, ihre Bevorzugung als Träger von Sozialeinrichtungen und ihre
erhebliche finanzielle Subventionierung sind politische Tabuthemen.
Immer noch dürfen die Kirchen ihre Arbeitnehmer in von ihnen betriebenen
Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten oder Pflegeeinrichtungen nach der
Religionszugehörigkeit auswählen. Sie können entlassen, wenn Arbeitnehmer
aus der Kirche austreten oder sich in ihrem Privatleben nicht an die
kirchlichen Moralregeln halten.
## Erhebliche Nachteile für Konfessionsfreie
Ob diese Diskriminierung Konfessionsfreier mit der
Gleichbehandlungsrichtlinie der EU vereinbar ist – damit befasst sich seit
dieser Woche der Europäische Gerichtshof (EuGH). Es geht im konkreten Fall
um eine Bewerberin für eine Referentenstelle bei der Evangelischen Kirche
Deutschlands (EKD). Die Frau wurde abgelehnt, weil sie kein Kirchenmitglied
ist. Ironischerweise ging es bei der Stelle um die Antirassismuskonvention
der UNO.
Nicht nur im Arbeitsrecht haben Konfessionsfreie erhebliche Nachteile.
Immer noch gibt es vielerorts in Deutschland ein Quasimonopol der Kirchen
bei Kindergärten, Krankenhäusern und Sozialeinrichtungen, so dass
Konfessionsfreie in kirchliche Sozial- und Erziehungseinrichtungen gehen
müssen.
Nach wie vor werden Staatsakte mit religiösen Ritualen begangen, während
ein stets größer werdender Teil der Bevölkerung dazu keinen Bezug mehr hat.
Kirchenvertreter sitzen in den Rundfunkräten und Kirchen haben Sendezeiten
in den öffentlichen Medien. Immer noch werden die Kirchen in hohem Maße
staatlich subventioniert, indem zum Beispiel in vielen Bundesländern die
Gehälter der Bischöfe vom Staat bezahlt werden. Diese Liste ließe sich noch
lange fortsetzen.
## Moral geht auch ohne Kirche
Die Politik ist eher bereit, neben dem Christentum andere Religionen zu
fördern, als religiöse Privilegien zu beschneiden. Dies zeigt sich deutlich
am Umgang mit dem Islam. Mit rechtlichen Konstruktionen, die gegen den
verfassungsrechtlichen Grundsatz der Trennung von Staat und Religionen
verstoßen, ist inzwischen in allen Bundesländern ein islamischer
Religionsunterricht eingeführt worden.
Ebenso gibt es staatlich finanzierte Islamlehrstühle an den Universitäten.
Um keine Missverständnisse zu erzeugen: Selbstverständlich haben die
Muslime die gleichen Rechte wie alle anderen Religionen. Die Frage ist nur:
Warum werden Religionen überhaupt privilegiert? Warum gibt es bis heute
keinen einzigen Lehrstuhl für Humanistik? Warum sind die meisten
Ethiklehrer bis heute für diesen Unterricht nicht ausgebildet?
Die Kirchen behaupten, ohne sie gäbe es keine Moral. Religionen seien daher
für die Gesellschaft unverzichtbar. Unsere Gesellschaftsordnung ist jedoch
nicht religiös begründet, sondern humanistisch. Menschenrechte und
Demokratie mussten in einem jahrhundertelangen Kampf gegen die Kirchen
erstritten werden. Sie sind das Ergebnis der Säkularisierung und
Humanisierung unserer Gesellschaft.
Die Politik sollte endlich begreifen, dass es nicht die Religionen sind,
die unsere Gesellschaft zusammenhalten, sondern Menschenrechte und
Demokratie. Diese Werte gilt es zu stärken, nicht die Religionen.
23 Jul 2017
## AUTOREN
Thomas Heinrichs
## TAGS
Religion
Atheismus
Religionskritik
Arbeitsrecht
katholisch
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