# taz.de -- Magazin-Launch: Den Stimmen Raum geben | |
> „Contemporary And“ widmet sich der Vielfalt zeitgenössischer Kunst aus | |
> Afrika und der Diaspora. Am Donnerstag stellen sie ihre neue Ausgabe vor. | |
Bild: Flavio Cerqueira, I told you…, 2016. Bronze und Bücher | |
Akinbode Akinbiyi ist ein Chronist des urbanen Lebens. Wie ein Flaneur | |
bewegt er sich durch die Straßen vor allem der afrikanischen Megastädte, | |
Lagos, Kairo, Johannesburg, Kinshasa und hält mit seiner | |
Spiegelreflexkamera Alltagsszenen fest: wartende und vorbeieilende | |
Menschen, Doppeldeckerbusse, Reklametafeln, Kreuzungen, scheinbar | |
Belangloses, das den Rhythmus des modernen Lebens in poetische Bilder | |
übersetzt. Aktuell kann man diese bei der documenta14 in Kassel sehen – und | |
in der neuesten Printausgabe von Contemporary And. | |
Akinbiyi ist als Kind nigerianischer Einwanderer 1946 in Oxford geboren, | |
studierte in Nigeria, England und Deutschland, lebt heute in Berlin und | |
reist für seine Arbeit als Fotograf, Autor und Kurator zwischen den | |
Kontinenten hin und her. Akinbiyis Biografie ist typisch für die | |
Künstler_innen, die auf [1][Contemporary And] vorgestellt werden und wieder | |
nicht, denn sie ist nur eine von vielen. | |
Die beiden Berliner Kunsthistorikerinnen Julia Grosse und Yvette Mutumba | |
haben Contemporary And im März 2013 mit Unterstützung des [2][ifa] als | |
Onlinemagazin für afrikanische, zeitgenössische Kunst sowohl auf dem | |
Kontinent wie in der Diaspora gegründet. Einerseits, um diesen | |
unterrepräsentierten Positionen eine Plattform zu bieten, andererseits, um | |
deren Vielfalt Ausdruck zu verleihen. | |
Zu oft noch werden unter dem Label „afrikanische Kunst“ die | |
unterschiedlichsten Konzepte und Kunstrichtungen zusammengefasst, die kaum | |
mehr miteinander zu tun haben als ein geografisches Detail in der Biografie | |
der Kunstschaffenden. Grosse und Mutumba wollten dem etwas entgegensetzen, | |
deshalb auch der Name „Contemporary And“. | |
„Uns war klar war, dass wir den Bezug zu Afrika nicht im Titel haben | |
wollten“, erklärt Mutumba. „Jede und jeder der Künstler_innen auf | |
Contemporary And ist zunächst einmal zeitgenössisch und noch viele andere | |
Dinge: Vielleicht ist er oder sie in Johannesburg mit Eltern aus Simbabwe | |
geboren, lebt jetzt in Berlin, hat eine Galerie in Mailand oder Residency | |
in Hongkong; oder aber in Addis Abeba geboren und nie aus Addis | |
rausgekommen. All das sind African Perspectives.“ | |
Diese Vielfalt findet sich auf [3][www.contemporaryand.com] auch thematisch | |
wieder. Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis: Unter anderem ist ein Interview | |
mit der afroportugiesischen Theoretikerin und Performancekünstlerin Grada | |
Kilomba aufgelistet, Besprechungen der zweiten Johannesburg Biennale wie | |
der documenta 14, Essays über Kanye Wests Ausflüge in die Kunst, über ein | |
afrobrasilianisches Theaterkollektiv aus São Paulo, das sich mit der | |
Situation schwarzer Transmenschen beschäftigt und welche Rolle Bilder | |
rassistischer Gewalt in der Sammlung des MoMA spielen. | |
Die Texte stammen von Korrespondenten aus der ganzen Welt, denn: „Der | |
Standort Berlin ist für uns unwichtig, das Netzwerk ist entscheidend“, sagt | |
Grosse. Sie wollten ihren Autoren, ganz egal ob sie aus Johannesburg, | |
Dakar, Kairo, Oslo oder London stammten eine Stimme, den Stimmen einen Raum | |
geben. | |
Mit dem Onlinemagazin hat alles begonnen, mittlerweile ist Contemporary And | |
darüber hinausgewachsen. Seit 2014 bringen Mutumba und Grosse zweimal im | |
Jahr eine Printausgabe heraus. Jede hat ein Schwerpunktthema, die aktuelle | |
erschien zur documenta 14 mit dem Fokus auf Bildung. In diesem Jahr | |
veröffentlichten sie ihr erstes Buch, „I am built inside you“, bei | |
Sternberg Press. | |
Contemporary And veranstaltet Critical-Writing-Workshops in | |
unterschiedlichen afrikanischen Städten. Außerdem – und damit betonen | |
Mutumba und Grosse dann doch die Bedeutung des Standorts Berlin – haben sie | |
in der ifa-Galerie, im Rahmen des einjährigen Ausstellungszyklus „Untie to | |
Tie“, Ende März den Leseraum „Center of unfinished business“ eingerichte… | |
nicht als eine Art Handapparat, vielmehr als eine Erweiterung der | |
Ausstellungen. | |
Zusammengesammelt ist eine Auswahl an Büchern, die sich auf | |
verschiedenartigste Weise mit dem Diskurs über koloniale | |
Hinterlassenschaften in der heutigen Welt beschäftigen. In den Regalen | |
stehen etwa Romane von Alexander Puschkin, dessen afrikanische Herkunft | |
kaum bekannt ist, kunsthistorische Überblickswerke, Reden von Malcom X, | |
Bücher über die Occupy-Bewegung, über afrikanische Fotografie. | |
Einige Bücher stammen aus den Beständen des Bildungsvereins Each One Teach | |
One aus dem Weddinger Afrikanischen Viertel. Immer wieder kommen welche | |
hinzu, gerade sind 15 Bücher nach Kassel zur documenta ausgeliehen, im | |
Austausch sollen demnächst von dort welche aus der Bibliothek von Lucius | |
und Annemarie Burckhardt leihweise nach Berlin kommen. | |
Überhaupt ist es durchaus erwünscht, mit den Büchern zu arbeiten und sogar | |
Kommentare auf Post-its zu hinterlassen. Im Leseraum fanden bereits | |
Universitätsseminare statt, und nun folgen noch vier Veranstaltungen, die | |
erste am heutigen Donnerstag. | |
Vorgestellt wird die aktuelle Ausgabe des Fotografie-Magazins Aperture, das | |
in Zusammenarbeit mit Contemporary And erschien: ein Hochglanzmagazin, | |
jedoch ganz im Sinne des Konzepts von Mutumba und Grosse. „Platform Africa“ | |
funktioniert wie Kartografie für Orte, die afrikanische Fotografie, das | |
Netzwerk afrikanischer Fotograf_innen prägen, in all ihren Facetten. | |
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg | |
immer Donnerstags in der Printausgabe der taz | |
19 Jul 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.contemporaryand.com/de/ | |
[2] http://www.ifa.de/kunst/ifa-galerien.html | |
[3] http://www.contemporaryand.com | |
## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
## TAGS | |
Afrika | |
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Kunstgeschichte | |
zeitgenössische Kunst | |
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