# taz.de -- Kommentar Grüne vor der Wahl: Drei Monate Zeit, das Ding zu drehen | |
> Das Parteiprogramm ist gut, die Angriffslust ist da. Aber ziehen die | |
> Spitzengrünen Göring-Eckardt und Özdemir durch, wenn es wirklich zählt? | |
Bild: Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir am Sonntag in Berlin | |
Die erste gute Nachricht ist: Den Grünen ist, allen journalistischen | |
Abgesängen zum Trotz, die Kampfeslust nicht abhanden gekommen. Die | |
Ökopartei hat auf ihrem Parteitag ein feines Programm beschlossen, das, | |
würde es Wirklichkeit, die Gesellschaft zum Guten veränderte. Die zweite: | |
Die Spitzenleute Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt haben verstanden, | |
dass es Biss und Angriffslust braucht, um die Sieben-Prozent-Partei aus | |
ihrer Stagnation zu reißen. | |
Was bei der Ökopartei seit Monaten auffällt, ist eine Kluft zwischen dem | |
Programm und der öffentlichen Kommunikation, die durch die beiden | |
Spitzenkandidaten geprägt wird. Das Programm ist nach wie vor progressiv | |
und ambitioniert, es will verändern. Würde man das von Göring-Eckardt und | |
Özdemir sagen? Man weiß es nicht genau. Beide wollen unbedingt mitregieren, | |
in welcher Koalition auch immer, das ist klar. Aber besitzen sie die | |
stählerne Härte, um Relevantes gegen die ausgebufften Vollprofis um Merkel | |
herauszuholen? | |
Auf dem Parteitag präsentierten sie sich angriffslustig und nahmen | |
auffällig oft die Kanzlerin ins Visier. Dafür ist es höchste Zeit. Vieles | |
im grünen Programm ist dezidiert links, ein Wort, das man nun wirklich | |
nicht mit den Spitzengrünen verbindet. Göring-Eckardt und Özdemir agierten | |
in den vergangenen Monaten handzahm, sie vermieden scharfe Kritik an | |
Merkel, ließen diverse Chancen zur Attacke an sich vorbeiziehen. | |
Das liegt zum Teil an charakterlichen Dispositionen, Göring-Eckardt pflegt | |
eben eher einen diplomatischen Sound. Vor allem aber ging es beiden darum, | |
die grüne Braut für die bürgerliche Hochzeit aufzuhübschen. Ein solcher | |
Widerspruch zwischen Programm und Auftritt kann auf Dauer nicht | |
funktionieren. | |
## Scharfstellen, wo Unterschiede sind | |
Für freundlich-harmlose Unbestimmtheit ist nicht die rechte Zeit. Die | |
Gesellschaft ist polarisiert, die Schwarz-Gelben schießen aus allen Rohren | |
auf die angeblichen Öko-Träumer. Christian Lindner macht einen brutalen | |
Lagerwahlkampf, würde aber ohne mit der Wimper zu zucken mit den Grünen | |
koalieren. Das ist professionell. Wenn Merkel fliegt und die FDP | |
durchstartet, müssen grüne Spitzenleute scharfstellen, wo die Unterschiede | |
sind. Sonst, und das ist inzwischen eine reale Gefahr, wird die Partei | |
zerrieben. Frei nach Robert Habeck: Die Grünen müssen linker werden, wenn | |
sie Jamaika überleben wollen. | |
Der Parteitag hat den beiden Spitzen nun gute Vorlagen geliefert, die | |
allermeisten Beschlüsse sind eine okaye Mischung aus Ambition und Vernunft. | |
Für die Ehe für alle ist es höchste Zeit. Für eine neue Europapolitik auch. | |
[1][Beim Kohleausstieg haben die Grünen der Versuchung widerstanden, sich | |
einen symbolträchtigen Wettbewerb um Jahreszahlen zu liefern.] Die 20 | |
schmutzigsten Kohlekraftwerke in der nächsten Legislatur abschalten, den | |
Komplettausstieg bis 2030 – mit diesem Plan würde Deutschland die Pariser | |
Klimaschutzziele einhalten. Jene hat die Möchtegern-Klimakanzlerin Merkel | |
unterschrieben, dass sie seither so wenig dafür tut, ist ein unglaubliches | |
Versagen. | |
Wenn man so will, hat die grüne Basis ihrer Spitze die Munition in die Hand | |
gedrückt. Jetzt liegt es an Göring-Eckardt und Özdemir. Drei Monate sind | |
eine sehr kurze Zeit, um eine Dynamik zu drehen. Und noch etwas gehört | |
dazu: Leider weiß man nicht so genau, was von dem neuen, grünen | |
Selbstbewusstsein übrig bleibt, wenn sie sich mit Merkel und Seehofer an | |
einen Tisch setzen. Ob Göring-Eckardt und Özdemir die geistige Freiheit und | |
die Chuzpe hätten, Merkel im Zweifel abzusagen, ist eine offene Frage. | |
18 Jun 2017 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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