# taz.de -- Gedenken an Holocaust in Berlin: Ein fast vergessener Ort | |
> Der NS-Deportationsbahnhof Berlin-Moabit wird zur Gedenkstätte – ein Ort, | |
> der so lange verdrängt oder vergessen war, dass kaum etwas von ihm übrig | |
> ist. | |
Bild: Gedenken zwischen Bau- und Supermarkt. | |
Den ganzen Freitagmorgen hat es geschüttet, jetzt bricht die Wolkendecke | |
auf und die Sonne scheint durch ein Loch im grauen Himmel. Fast unverschämt | |
und trotzig strahlt sie in die Lücke zwischen einem Bau- und einem | |
Supermarkt auf einen mit Backsteinen gepflasterten Weg, der eher wie eine | |
Einfahrt wirkt. Oder einfach nur wie eine Verbindung zwischen | |
Ellen-Ebstein-Straße und Quitzowstraße in Moabit. | |
Es geht eine Rampe herunter auf eine Zwischenebene, auf der anderen Seite | |
wieder rauf. Hineinfahren kann man in den Durchgang, weil da jetzt Bäume | |
stehen. Die stehen da, weil das nicht einfach nur ein Durchgang ist, | |
sondern der heute eingeweihte Gedenkort Güterbahnhof Moabit. Man erkennt | |
ihn nur, weil gerade viele Menschen da sind. Die zwei Gedenktafeln und dass | |
die Baumstämme mit weißer Farbe markiert sind, erkennt man erst auf den | |
zweiten Blick. Alles wirkt etwas fehl am Platz. Eine Schulklasse singt. | |
„Wir stehen auf dem größten Deportationsbahnhof Berlins,“ sagt Sabine | |
Weißler, Stadträtin für Weiterbildung, Kultur, Umwelt, Natur, Straßen und | |
Grünflächen des Bezirks Mitte bei der Eröffnungsrede der Gedenkstätte. | |
Neben dem Anhalter Bahnhof und dem Bahnhof Grunewald wurden vom | |
Güterbahnhof Moabit ab 1942 über 30.000 Juden in Ghettos und | |
Vernichtungslager in Osteuropa gebracht. Von den Gleisen 69, 81 und 82 | |
fuhren unschuldige Menschen in den Tod. | |
## Von der Stadt vergessen | |
Das wurde scheinbar eine ganze Weile von der Stadt vergessen oder | |
verdrängt. Ab den 1990er Jahren gingen Grundstücksverwertung und | |
Verkehrsplanung vor. „Erst später stellte sich heraus, dass das hier der | |
größte Deportationsbahnhof Berlins war. Da war der größte Teil der Fläche | |
schon verscherbelt“, sagt Weißler. So wurden Teile des Grundstücks | |
verkauft, bis nur noch Fragmente des Gleises 69 und der Pflasterweg zur | |
Quitzowstraße übrig waren. Ein schmaler Streifen zwischen Industriegebiet | |
und Westhafen. „Wie konnte ein Deportationsbahnhof zum Reststück werden?“, | |
fragt sie. Dann rattert ein Güterzug vorbei. | |
Ungefähr 80 Menschen sind gekommen, um des Geschehens auf dem fast | |
vergessenen Stück Stadt zu gedenken, und der Menschen, deren Schicksal | |
dieser Ort auf so unheimliche Weise geprägt hat. Damit man wenigstens die | |
nicht vergisst. Um dem Vergessen entgegenzuwirken bemühten sich in den | |
vergangenen 25 Jahren zahlreiche Einzelpersonen, Initiativen und die | |
Stiftung Topographie des Terrors in Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung | |
für Kultur und Europa und dem Bezirk Mitte, diesen historischen Ort von | |
gesamtstädtischer Bedeutung ins Bewusstsein aller zu rücken. „Das hat lange | |
gedauert“, sagt Weißler, „uns aber gelehrt, dass man nicht vor Erreichung | |
des Ziels aufgeben darf.“ | |
## Ein Kiefernhain zur Erinnerung | |
Um dieses Ziel, einen Ort des Gedenkens zu errichten, zu verwirklichen, | |
wurde 2016 ein Kunstwettbewerb durchgeführt. Den Zuschlag erhielt das | |
Künstlerkollektiv raumlaborberlin für seinen Entwurf „Hain“. Die Idee: ein | |
sich über Jahre entwickelnder Kiefernhain, der den Ort des Gedenkens aus | |
der Umgebung des Gewerbegebiets herausheben soll. „Als deplatziertes | |
Fragment eines Kiefernwaldes in diesem unwirtlichen Kontext entsteht eine | |
Verbindung zur Landschaft. Genau wie das Fragment des Gleises 69 eine | |
Verbindung zu den Orten der Ausgrenzung und Vernichtung herstellt, die | |
heute noch als authentische Orte existieren“, werden die Künstler in einer | |
Pressemitteilung des Bezirksamts zitiert. | |
„Die Haltung der Opfer war bewundernswert“, sagt Andreas Nachama, Direktor | |
der Stiftung Topographie des Terrors. Dann liest er aus den Aufzeichnungen | |
von Hildegard Henschel vor. Henschel war Gemeindemitarbeiterin und Ehefrau | |
des letzten Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Berlin, hat Buch geführt | |
über die Transporte aus der Stadt. | |
Sie schreibt von ihren Erinnerungen an den Beginn der Deportationen, die | |
Errichtung von Sammellagern und dem Ende der Gemeinde. Bis hin zu ihrem | |
eigenen Abtransport nach Theresienstadt: „Wir wussten, dass es ein Aufleben | |
nicht geben könnte. Das einzige Aufleben war Selbstmord.“ Eine Frau wischt | |
sich eine Träne aus dem Augenwinkel, dann setzt sie ihre Sonnenbrille auf. | |
Die Sonne brennt, als wolle sie einem die Erinnerung einbrennen. | |
16 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Ivy Nortey | |
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