# taz.de -- 100. Geburtstag von Heinz Galinski: „Weil Hitler sonst gewonnen h… | |
> Heinz Galinski hat die Jüdische Gemeinde der Stadt wieder aufgebaut – so | |
> unermüdlich wie unbequem. Eine Spurensuche. | |
Bild: Das Grab von Heinz Galinski in Berlin. | |
Ein gesichtsloses Mietshaus an der Schönhauser Allee. Passanten eilen | |
vorbei, niemand beachtet die Tafel aus Messing, die neben der Toreinfahrt | |
hängt. Darauf ein Name: Heinz Galinski. Eine jüdische Grundschule ist nach | |
ihm benannt, außerdem eine Straße im Wedding. Mehr als 40 Jahre lang, von | |
1949 bis zu seinem Tod 1992, war Galinski der Vorsitzende der Jüdischen | |
Gemeinde zu Berlin, außerdem zweimal Präsident des Zentralrats der Juden. | |
An diesem Mittwoch wäre er 100 Jahre alt geworden. Wer war Heinz Galinski? | |
Das Mietshaus in Prenzlauer Berg ist ein guter Startpunkt, um nach Galinski | |
zu suchen. Er wurde zwar in Westpreußen geboren, kam aber als Kind mit | |
seinen Eltern nach Berlin. Hier, in der Schönhauser Allee, wurde | |
gewissermaßen der Grundstein für sein späteres Engagement gelegt. Von 1938 | |
bis 1943 wohnte er dort – dann wurde er von den Nazis nach Auschwitz | |
deportiert, zusammen mit seiner Frau und seiner Mutter. Beide sah er nie | |
wieder. | |
Galinski aber kam nach dem Ende des Kriegs, nach Auschwitz, Buchenwald und | |
Bergen-Belsen, zurück nach Berlin. Er kam zurück, „weil Hitler sonst | |
gewonnen hätte“, sagt seine Witwe Ruth, Galinskis zweite Frau. „Das durfte | |
nicht sein.“ | |
Das erlittene Unrecht, die Unversöhnbarkeit mit dem, was geschehen war – | |
das war sein innerer Antrieb, sagt Ruth Galinski. Es habe ihm die nötige | |
Kraft gegeben, in Berlin wieder eine Jüdische Gemeinde aufzubauen, die | |
heute rund 10.000 Mitglieder zählt. Mit sturer Beharrlichkeit: Mitte der | |
1950er Jahre wollte der Senat die in der Pogromnacht 1938 ausgebrannte | |
Synagoge in der Charlottenburger Fasanenstraße durch ein Parkhaus ersetzen. | |
Galinski setzte stattdessen ein neues Gemeindezentrum für die Jüdische | |
Gemeinde in Westberlin durch. Hitler durfte nicht gewinnen. | |
Macht man sich auf die Suche nach Heinz Galinski in der Stadt, wird man | |
zwar schnell fündig – findet aber zugleich erstaunlich wenig. Eben die | |
Straße in Wedding, die zum Jüdischen Krankenhaus führt, oder die | |
Grundschule in Charlottenburg. Die Biographie „Ich weiß, ich bin kein | |
Bequemer…“ der Berliner Historikerin Juliane Berndt, die nun pünktlich zu | |
seinem 100. Geburtstag erscheint, ist auch gleichzeitig die erste – 20 | |
Jahre nach seinem Tod. | |
Alle sind sie gekommen, zur Buchpräsentation in die Holocaust-Gedenkstätte | |
Topographie des Terrors: Die Presse ist versammelt, in der ersten Reihe | |
sitzt die Verlegerwitwe Friede Springer. Die Axel-Springer-Stiftung hat die | |
Druckkosten für die gut 320 Seiten Hardcover übernommen; Axel Springer und | |
Heinz Galinski waren befreundet. Der Zionist Galinski sah in dem Verleger | |
einen „konsequenten Vertreter unserer Angelegenheiten“, schrieb er einmal | |
in einem Nachruf auf Springer, der auch in der Biographie abgedruckt ist. | |
Alle finden sie ehrende Worte für ihn: Galinski, der bereits kurz nach | |
Kriegsende Entschädigungszahlungen für Siemens-Zwangsarbeiter diskutierte. | |
Der Demos organisierte, wenn Veit Harlan, der Regisseur des | |
NS-Propagandafilms „Jud Süß“, noch in den 1950er Jahren neue Filme | |
herausbrachte. Galinski, der 1986 einen wütenden Briefwechsel mit Erich | |
Honecker begann und verhinderte, dass die DDR eine Schnellstraße durch den | |
Jüdischen Friedhof in Weißensee baute. Galinski, „ein Anwalt der | |
Minderheiten, der Bürgerrechte, der Demokratie“, sagt Stephan Kramer, | |
Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland. | |
„Heinz hatte Humor“, sagt Ruth Galinski. Mit Theodor Heuss, 1949 der erste | |
Bundespräsident, habe er sich gerne Witze erzählt. „Heuss wollte immer | |
jüdische Witze hören. Und hat dann selbst welche auf schwäbisch erzählt.“ | |
Unermüdlich sei Galinski gewesen, sagt Andreas Nachama, Herausgeber der | |
Galinski-Biographie und Direktor der Topographie des Terrors. „Selbst im | |
Urlaub saß er mit Krawatte und Anzug da und hat sich das Wichtigste in den | |
Zeitungen angestrichen.“ Und bescheiden war er, das vor allem, sagt Nachama | |
und hebt die Hände. Galinski fuhr einen Opel Rekord, sein Zuhause war | |
zunächst ein sozialer Wohnungsbau in Friedenau. Bis Galinski als | |
überzeugtem Zionisten 1975 ein missglückter Paketbombenanschlag der RAF | |
galt. Danach bekam er einen gepanzerten Wagen und einen Wachschutz, der | |
allerdings im Treppenhaus stehen musste. Auch Galinskis neue Wohnung war zu | |
klein. | |
Und doch: Es gab diese Zwischentöne zwischen all den schönen, lobenden | |
Worten auf der Buchpräsentation. Ein kleines „aber“, das manchmal | |
mitschwang und eine gewisse Distanz markierte: Mutig sei er gewesen, ja – | |
aber schon auch „ein harter Knochen“, sagt Kramer über Galinski. Ein Nicken | |
geht durch die Runde. „Heinzchen“, so habe man ihn genannt, sagt Nachama | |
später in seinem Büro. „Aber man hat ihn auch gefürchtet, in der | |
Öffentlichkeit.“ Nie habe er etwas hingenommen oder sich von der Politik | |
vereinnahmen lassen: „Er war eine Institution für Widerspruch.“ „Ein | |
Störfaktor“, sagt die Berliner Historikerin Juliane Berndt, die das Buch | |
geschrieben hat. Als in den 1950er Jahren alle erst mal das | |
Wirtschaftswunder genießen wollten, habe er unerbittlich die | |
NS-Vergangenheit der Industriebosse thematisiert. Mit anderen Worten: | |
Galinski konnte seine Zeitgenossen auch ganz schön nerven. | |
In der Biographie finden sich Interviews, die Berndt geführt hat, etwa mit | |
Eberhard Diepgen, in den 80er und 90er Jahren Regierender Bürgermeister von | |
Berlin. Fordernd sei Galinskis Tonfall oft gewesen, sagt Diepgen da. | |
Autoritär sein Führungsstil innerhalb der jüdischen Gemeinde, überall habe | |
er sich eingemischt. Heinz Galinski, der Anwalt der Holocaust-Opfer, der | |
nimmermüde Mahner. Der insgeheim wohl oft auch Unbeliebte. Denn natürlich | |
ist es furchtbar anstrengend, wenn man ständig am Vergessen gehindert wird | |
– weil es die Gegenwart so viel komplizierter macht. | |
Dass erst eine Autorin wie Berndt, die Galinski nie persönlich erlebt hat, | |
seine Biographie schreiben kann, ist eigentlich nicht überraschend, wenn | |
man Galinskis Weggefährten eine Weile lang zugehört hat. Da ist wenig | |
emotionale Distanz zu einem, der jahrzehntelag Autoritäts- und | |
Identifikationsfigur war. Diese Verehrung, die mitschwingt, wenn Kramer | |
über Galinski sagt: „Ich schaue auch heute noch aus einer Froschperspektive | |
zu ihm auf und frage mich oft: Was hätte Galinski jetzt wohl getan?“ | |
Nachama erzählt von Galinskis Büro in der Fasanenstraße, das er 1997 als | |
Vorsitzender der jüdischen Gemeinde exakt so übernahm, wie Heinz Galinski | |
es zurückgelassen hatte. Galinskis direkter Nachfolger, Jerzy Kanal, hatte | |
in fünf Jahren nicht eine Kleinigkeit verändert. | |
Joseph Feinstein ist 17, er engagiert sich im Jugendzentrum der Jüdischen | |
Gemeinde. Über Heinz Galinski weiß er, dass er 1954 der erste Präsident des | |
Zentralrats der Juden in Deutschland war. Er weiß, dass Galinski 1943 | |
deportiert wurde. Und dass er mal irgendwie wichtig gewesen sein muss. Auf | |
der Heinz-Galinski-Grundschule habe er „nichts über Galinski gehört“. Im | |
Jugendzentrum, erinnert er sich, habe man aber mal über Janusz Korczak | |
gesprochen, den polnischen Arzt und Kinderbuchautor, der in Treblinka | |
starb. Für die junge Generation hat der Leuchtturm Heinz Galinski an | |
Strahlkraft verloren. | |
28 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
## TAGS | |
NS-Gedenken | |
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