# taz.de -- Die Wahrheit: Ich im Auftrag ihrer Majestät | |
> Eine Jugend in Deutschland. Als Deutscher? Als Jordanier? Nein! Als | |
> Brite. Denn man war so selbstverständlich britisch wie der Fünfuhrtee. | |
Als ich ein Kind war, hatten verschiedene Menschen und Institutionen | |
unterschiedliche Ansichten darüber, welcher Nation ich angehörte. Meine | |
deutsche Mutter war der festen Überzeugung, ich sei Deutscher, die | |
Bundesrepublik hingegen betrachtete mich als Jordanier und war sich da | |
einig mit meinem Vater, der regelmäßig versuchte, jordanischen | |
Nationalstolz in mir zu wecken. | |
Zu einem meiner Geburtstage schickte er mir ein Päckchen mit einer | |
kompletten arabischen Männer-Tracht, bestehend aus einer Thawb, dem | |
bodenlangen weißen Arabo-Hemd, einem Bisht, dem schwarzen Übermantel mit | |
Goldkragen, und einem Kuffiyah-Tuch inklusive Agal, der Kordel, die dafür | |
sorgt, dass das Tuch nicht vom Kopf rutscht. | |
Ich weiß noch, wie ich vor dem Spiegel stand und mich fragte, ob mein Vater | |
eigentlich noch alle Latten am Zaun hatte. Bei welcher Gelegenheit sollte | |
ich das denn bitteschön tragen? Okay: Pilotensonnenbrille auf, | |
Benzinkanister in die Hand und ich konnte zu Karneval als gieriger | |
Ölscheich gehen. Schließlich befanden wir uns gerade in der ersten Ölkrise. | |
Aber ich glaube kaum, dass mein Vater mir diese Festtagstracht schickte, | |
damit ich zu Fasching den Orient-Hampelmann gab. | |
Ich war sowieso anderer Meinung: Weder sah ich mich als Deutschen noch als | |
Araber. Ich war Brite. Durch und durch. Dieser Einschätzung wollte aber | |
niemand folgen. Ich hatte keinen englischen Namen und wirkte äußerlich im | |
besten Fall wie der Sohn der Hausangestellten aus den ehemaligen Kolonien. | |
Aber ich hatte meine ersten Lebensjahre in London verbracht und bis zu | |
unserem Umzug nach Deutschland hauptsächlich Englisch gesprochen. Nur wenn | |
meine Mutter und ich allein waren, sprachen wir deutsch. Manchmal. | |
Trotzdem fühlte ich mich hier in der ersten Zeit unverstanden. Ich benutzte | |
auch im Deutschen englische Deonyme, Begriffe, die sich von Markennamen | |
ableiteten. Ich klebte zerrissenes Papier mit „Sellotape“ statt mit Tesa, | |
putzte mir die Nase mit „Kleenex“, nicht mit Tempos, der Staubsauger meiner | |
Mutter war für mich ein „Hoover“ und wenn ich mir in der Gaststätte | |
ausnahmsweise eine Cola bestellen durfte, orderte ich eine „Coke“, was | |
damals extrem unüblich war und zu verwirrten Nachfragen führte. Wenn ich | |
Glück hatte, endete dies – im Hessischen – mit einem: „Ach, ein Cola, | |
sach’s doch gleisch“. Mit Betonung auf „ein“. Cola war damals sächlich. | |
Kurzum: Ich fühlte mich fremd. Hätte mir mein Vater einen Tweedanzug | |
geschickt, ich bin mir sicher, ich hätte ihn stolz und trotzig getragen. | |
Irgendwann ließ mein Exilantengefühl nach und mein Britischsein verblasste. | |
Wenn man mir jedoch heute in einem Café auf die übliche deutsche Art einen | |
Tee serviert – als Selbstbaukasten: das vor zehn Minuten gekocht habende, | |
urinwarme Wasser im Henkelglas, daneben der trockene Teebeutel – erinnere | |
ich mich wieder. Ich tunke den Beutel lustlos ein – and then I close my | |
eyes and think of England. | |
28 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Hartmut El Kurdi | |
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