| # taz.de -- Aufführung an der Berliner Volksbühne: Außerordentlich gespreizt | |
| > Ruhe im Karton: Als letzte Premiere an der Castorf-Volksbühne inszeniert | |
| > René Pollesch John Carpenters Sci-Fi-Parodie „Dark Star“. | |
| Bild: Ecstasy? Lethargy!, wie die Kalifornier zu sagen pflegen: Martin Wuttke i… | |
| Ganz am Schluss sind die Erwartungen noch einmal superhoch: In den letzten | |
| Premieren mögen nochmals weise Worte voller Trost und Endgültigkeit fallen, | |
| ein Fass auf- und der Sack zugemacht werden, Tränen fließen dürfen und das | |
| Lachen kein Ende nehmen. Zugleich, das hat die letzte Castorf-Premiere | |
| vergangene Woche gezeigt, nimmt einem angesichts der theaterhistorischen | |
| Zäsur, die da ansteht, auch keiner übel, wenn all das ausbleibt. Wobei die | |
| vier faden Dostojewski-Stunden „Ein schwaches Herz“ womöglich weniger | |
| gnädig durchgerutscht wären, wenn Castorf nicht vor drei Monaten einen | |
| fulminanten „Faust“ geliefert hätte. | |
| René Pollesch, der in dieser letzten Spielzeit bereits zwei Stückchen mit | |
| dem Titel „Volksbühnendiskurs I und II“ und den drei Amigos Martin Wuttke, | |
| Milan Peschel und Trystan Pütter herausgebracht hat, greift zu guter Letzt | |
| zu John Carpenters Sci-Fi-Parodie „Dark Star“ (1974). Das gleichnamige | |
| Movie-Raumschiff weist nämlich verblüffende Ähnlichkeiten mit der | |
| Volksbühne auf: 20 Jahre im All zwecks Sprengung instabiler Planeten haben | |
| ihre Spuren hinterlassen, das schwer bewaffnete Raumschiff ist ramponiert, | |
| die Crew zwar kaum gealtert, aber deutlich verwahrlost. Im Verlauf des | |
| Films wird jeder Versuch, die Mission zu einem sinnvollen Ende zu führen, | |
| ihre Selbstauslöschung beschleunigen. In den Drehbühnenboden der Volksbühne | |
| ist daher eine Art Raumkapsel eingelassen, unter der sich beim Hochfahren | |
| hinter einer Holzwand die intelligente Bombe „20“ verbirgt (Bühne Barbara | |
| Steiner). | |
| In der Kapsel hockt Postercowboy Wuttke, Milan Peschel tritt lässig von der | |
| Seite hinzu und kreist zwei Runden bedeutungsvoll rauchend auf der | |
| Drehbühne mit, und vom Bühnenhimmel reitet Trystan Pütter mit einem | |
| Timothy-Leary-breiten Dauergrinsen auf einem Surfbrett einher. Den Surfer | |
| gibt es tatsächlich auch in der „Dark Star“-Besatzung, er passt aber auch | |
| zum Soundtrack der Beach Boys, deren Album „Pet Sounds“ Pollesch zur | |
| Unterstreichung der hier performten und kritisierten „kalifornischen | |
| Ideologie“ hemmungslos plündert. | |
| Man kann die Fantasien über Expansionen ins All nach dem Zweiten Weltkrieg | |
| als Fortsetzung des amerikanischen Zugs nach Westen lesen, als Verschiebung | |
| der Frontier in Richtung Universum (Ähnliches galt für die nicht weniger | |
| imperialistische Konkurrenz im Osten). Sehr viel konkreter als die | |
| Weltallforschung wurde für die Erdbewohner jedoch ihre Sublimierung durch | |
| die Entwicklung digitaler Technologien, und zwar ausgerechnet durch die | |
| drogenaffine Hippiekultur im Silicon Valley, oder, wie die drei | |
| Sternreisenden immer wieder vor sich hin philosophieren, die Verkehrung des | |
| Außen ins Innere der Subjekte. Tatsächlich nimmt Pollesch an diesem Abend | |
| ein paar interessante Anläufe, New Age und Techno-Avantgarde, | |
| Bewusstseinserweiterung und Neuprogrammierung der Menschenmaschine | |
| zusammenzudenken, doch über ein verschwörerisches Stichwortstreuen à la | |
| „direkte Linie von der Manson-Family zu Facebook“ gelangt er kaum hinaus. | |
| ## Offensives Mansplaining | |
| Schon bald greift die legendäre Lethargie der „Dark Star“-Crew auf die | |
| Mannschaft der Volksbühne über. Erst ist das Geplauder über Kommunikation | |
| in der Weltraum-Theater-WG noch ganz witzig („Immer, wenn ich gerade die | |
| Kaffeemühle anstelle, will er ein Gespräch anfangen“). Später häufen sich | |
| Insider-Jokes auf die Zukunft der Volksbühne unter Chris Dercon („Bei der | |
| Bewegung nach Westen muss ich immer an OST denken“, “‚Die Saison 2017/18 | |
| findet nicht statt‘ – ist das von Baudrillard?!“), und schon ist das | |
| kollektiv auftretende Volksbühnen-Subjekt wieder bei seinem Lieblingsthema | |
| gelandet: sich selbst. Umprogrammierungsmission accomplished? | |
| Anfang der nuller Jahre hatte die Pollesch-Mission in der Spielstätte | |
| Prater begonnen: Schon damals verdichtete der geborene Gießener | |
| Philosophielektüren und Skripte der Popkultur zu einem eigenwilligen | |
| Theorieboulevard, der in erster Linie von Frauen performt wurde und | |
| gleichsam im Vorübergehen Kapitalismus, Gentrifizierung und | |
| Verbürgerlichung vors Schienbein trat. | |
| Was damals noch betont trashig und roh inszeniert war, ist im Laufe der | |
| Jahre virtuoser, glatter und glamouröser geworden – von den prächtigen | |
| Onesies (Ganzkörperanzügen) der Kostümbildnerin Nina von Mechow bis zu den | |
| Bühnenräumen und -skulpturen Bert Neumanns, die zuletzt einem ahnungsvoll | |
| schwarzen Minimalismus huldigten. | |
| Kurios wirkt es dennoch, dass die endlos geglaubte Pollesch-Serie nun | |
| vorläufig mit einem Männertrio endet, das offensives Mansplaining betreibt | |
| – wenn auch konterkariert durch die würdevolle Christine Groß, die jedem | |
| Satz den Stempel „gelöscht“ aufdrückt, und ironisch gebrochen durch | |
| Marlboro-Man-hafte Zuhörgesten von Pütter und Peschel, die ihre Ellenbogen | |
| auf gespreizten Knien abstützen, wenn Wuttke mehr oder weniger zwischen den | |
| Zeilen über die Außerordentlichkeit der Volksbühne schwadroniert. | |
| „Hauptsache, wir gehen auf kein anderes Raumschiff“ – so viel | |
| Nibelungentreue muss wohl sein, bevor die Volksbühne in aller gebotenen | |
| Coolness auf einem Surfbrett im All verglüht. | |
| 11 Jun 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Eva Behrendt | |
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