# taz.de -- Kommentar Proteste in der Türkei: Hoffen auf eine echte Opposition | |
> Es musste erst der stellvertretende CHP-Parteichef verurteilt werden, bis | |
> die Partei sich aufraffte. Jetzt aber könnte sie tatsächlich etwas | |
> bewegen. | |
Bild: Die türkische Opposition unter Kemal Kilicdaroglu hat jetzt eine letzte … | |
Endlich, muss man sagen, endlich, nach jahrelangem Zögern hat „der Gandhi“ | |
der Türkei, Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu sich einen Ruck gegeben | |
und begonnen zu handeln. Seit Donnerstag sitzt seine | |
sozialdemokratisch-kemalistische CHP nicht mehr bequem im Sessel, sie | |
protestiert jetzt auf der Straße. | |
Mit seinem „Marsch für Gerechtigkeit“ unternimmt Kılıçdaroğlu eine | |
Anstrengung, auf die Hunderttausende Türken seit Jahren warten: nämlich | |
eine echte Opposition zu leisten. Gemeinsam mit anderen Abgeordneten der | |
CHP und Tausenden weiteren Parteimitgliedern und unabhängigen | |
Oppositionellen hat er sich vergleichbare Aktionen des friedlichen | |
Widerstands zum Vorbild genommen und begonnen, seinem Spitznamen „Gandhi“ | |
Ehre zu machen. | |
Noch ist nicht entschieden, ob sich der Marsch von Ankara nach Istanbul auf | |
den bevorstehenden 450 Kilometern nicht im wahrsten Sinne des Wortes | |
verläuft, aber der Start weckt längst verloren geglaubte Hoffnungen. | |
Kılıçdaroğlu betont immer wieder, dass der Protestmarsch kein Parteimarsch | |
ist, sondern Gerechtigkeit für alle fordert und deshalb auch für alle offen | |
ist. Die Aktion ist für alle von der Regierung Erdoğan frustrierten und | |
unterdrückten Türken anschlussfähig und hatte auch schon am ersten Tag Züge | |
eines Volksmarsches. Zwar wird von vielen Linken kritisiert, dass | |
Kılıçdaroğlu und seine CHP sich erst jetzt, als es einen der ihren | |
getroffen hat, aufraffen. Wo wart ihr, als Selahattin Demirtaş und Hunderte | |
Mandatsträger und Mitglieder der kurdisch-linken HDP ins Gefängnis geworfen | |
wurden, fragen sie zu Recht. | |
Es musste erst der stellvertretende CHP-Parteichef Enis Berberoğlu in einem | |
offensichtlich gelenkten Prozess zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt werden, | |
bis die Partei sich aufraffte, doch spät ist immer noch besser als gar | |
nicht. | |
Der HDP-Ko-Chef Selahattin Demirtaş hat bereits aus dem Gefängnis heraus | |
signalisiert, dass er den Protestmarsch unterstützt, andere HDP-Politiker | |
haben das bekräftigt. Der Marsch nach Istanbul ist nun noch einmal, | |
vielleicht das letzte Mal, eine echte Chance, den Weg der Türkei in eine | |
Präsidialdiktatur zu stoppen. Wenn alle, die bei dem Referendum über das | |
Präsidialsystem Nein gesagt haben, nun mitmachen, wird der Marsch seine | |
Wirkung nicht verfehlen. | |
15 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Türkei | |
Putschversuch Türkei | |
Türkei Referendum | |
Proteste in der Türkei | |
CHP | |
HDP | |
Recep Tayyip Erdoğan | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
CHP | |
Türkei | |
taz.gazete | |
Schwerpunkt Türkei | |
Schwerpunkt Türkei | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar Opposition in der Türkei: Gerechtigkeit lässt sich nicht aufhalten | |
Marschierende Regierungskritiker wollen Staatschef Erdoğan herausfordern. | |
Mit Erfolg: Wer noch nicht mitläuft, redet zumindest darüber. | |
Für Gerechtigkeit in der Türkei: Neue Drohungen gegen den Marsch | |
Für Erdoğan wird der Marsch für Gerechtigkeit zu einer Herausforderung. Er | |
droht mit Sanktionen und fordert eine „objektive“ Berichterstattung. | |
Die türkische Opposition marschiert: Von Ankara bis Istanbul | |
Der Chef der kemalistischen CHP ruft zu einem „Marsch für die | |
Gerechtigkeit“ auf. Er soll bis zum Gefängnis von Istanbul führen. | |
Türkische Justiz gegen Journalisten: Can Dündar droht hohe Haftstrafe | |
Angeklagt wegen Geheimnisverrat: Can Dündar, Exchefredakteur von | |
„Cumhuriyet“, erwartet ein hartes Urteil. Es soll Mitte Juni verkündet | |
werden. | |
Kongress der HDP in der Türkei: Zeit, sich für den Frieden einzusetzen | |
Mehrere Abgeordnete der HDP sitzen in Haft. Auf ihrem Kongress wählt die | |
Partei eine neue Kovorsitzende und kündigt einen Friedensplan an. | |
Demos in der Türkei: Sie fürchten neue Gezi-Proteste | |
Zu Tausenden demonstrieren Menschen gegen das Ergebnis des Referendums. | |
Unser Reporter hat die Proteste in Kadıköy und Beşiktaş begleitet. | |
Nach dem Referendum in der Türkei: Noch wollen viele es nicht wahrhaben | |
Hoffnungsvoll, geschockt, frustriert – oder voller Siegesfreude: Das | |
Referendum bestätigt die tiefe Spaltung der Türkei. | |
Analyse zum Türkei-Referendum: Die Macht der anderen 50 Prozent | |
Nach dem Referendum mehren sich die Hinweise auf Manipulationen. Die Türken | |
haben nun zwei Optionen: sich zu fügen oder sich zu wehren. |