# taz.de -- Interview mit Hamidreza Torabi: „Doppelstandards müssen enden“ | |
> Weil er von Sigmar Gabriel zum Friedensdialog der Religioneneingeladen | |
> war, ist der Leiter der schiitischen Islamischen Akademie Hamidreza | |
> Torabi in den Fokus der Medien geraten. | |
Bild: „Ich wusste nicht genau, was auf den Plakaten steht“, Hamidreza Torab… | |
taz: Herr Torabi, Ihre Einladung ins Auswärtige Amt hat für mediales | |
Aufsehen gesorgt. Dabei hieß es, Sie wären Organsisator des Al Quds-Marschs | |
in Berlin: Stimmt das? | |
Hamidreza Torabi: Zunächst einmal möchte ich mich bedanken, dass endlich | |
jemand auch das Gespräch mit uns sucht und nicht nur über uns schreibt. Das | |
finde ich üblich, und nur so ist ein besseres Verständnis möglich. Ehrlich | |
gesagt hätte ich nie gedacht, dass die Teilnahme an einer Friedenskonferenz | |
solche publizistischen Konsequenzen nach sich ziehen würde. Die Konferenz | |
war ein voller Erfolg, und ich weiß nicht, welche Rechnungen mit dieser Art | |
der Berichterstattung darüber beglichen werden sollten – auf Kosten der | |
Islamischen Akademie Deutschland und auf Kosten meiner Person. | |
Inwiefern? | |
Bei all den Anschuldigungen und Verleumdungen, die ich über mich lesen | |
durfte, treffen nur zwei Dinge zu: Es stimmt, dass ich Leiter der | |
Islamischen Akademie Deutschland bin. Und es ist wahr, dass ich an dieser | |
Friedenskonferenz teilgenommen habe. Alles andere hat mit der Wahrung | |
journalistischer Standards aber auch mit dem Recht des Einzelnen auf | |
korrekte Darstellung nichts zu tun. | |
Waren Sie denn organisatorisch mit der Al-Quds-Demonstration voriges Jahr | |
betraut? | |
Es ist so, dass ich zum ersten Mal an dieser Versammlung teilgenommen habe, | |
die schon seit Jahren in Deutschland stattfindet. Weder bin ich an ihrer | |
Organisation beteiligt noch habe ich in irgendeiner Weise zu ihr | |
beigetragen. Meines Wissens nach kommen bei dieser Veranstaltung Menschen | |
zusammen, um einzutreten für die Würde und Rechte der Entrechteten, der | |
Frauen und Kinder, die in Palästina leben. Sie nehmen das auch als ihre | |
religiöse Pflicht wahr. Aus diesem Grund habe ich als Individuum an der | |
Demonstration teilgenommen – als Mensch und als Theologe, der sich | |
gegenüber seinem Schöpfer verpflichtet fühlt, gegen Unrecht seine Stimme zu | |
erheben. | |
Das Plakat, das Sie getragen haben, zeichnet sich nicht durch eine | |
theologisch tiefe Botschaft aus: Es behauptet bloß, der Staat Israel sei | |
„widerrechtlich und verbrecherisch“. Wer hat den Text verfasst und warum | |
haben Sie ihn sich zu eigen gemacht? | |
Wie erwähnt, hatte ich mich persönlich entschieden, an der Veranstaltung | |
teilzunehmen: Dort habe ich erst einmal geschaut, wo ich mich in dieser | |
Veranstaltung orientieren kann, ob ich jemanden kenne, ob es eine Ordnung | |
gibt, der ich mich anschließen kann: Dabei habe ich die Gruppe der Rabbiner | |
in ihren traditionellen Gewändern und einen unserer christlichen | |
Dialogpartner entdeckt. Ich hielt es für angebracht, dass ich mich als | |
Theologe – ich trage ja auch stets mein religiöses Gewand – dieser Gruppe | |
anschließe. Vieles, was in der Welt stattfindet, wird zu Unrecht mit | |
Religionen in Beziehung gesetzt: Es sind nicht die Religionen, die zu Hass | |
und Gewalt aufrufen. Umso mehr war das eine Bestärkung, mich neben meine | |
jüdischen Brüder einzureihen. Ich hätte es schöner gefunden, einander an | |
die Hand zu nehmen, um eine Menschenketten zu bilden. Aber die Rabbiner | |
trugen bereits Plakate, sodass ich meinen Arm auf eines von ihnen gelegt | |
habe. | |
Das heißt, Sie wussten nicht, was draufsteht? | |
Nein, ich wusste nicht genau, was auf den Plakaten draufsteht. Ich kenne | |
aber den Geist der Veranstaltung – und mir ging es darum, eine Einheit der | |
abrahamitischen Religionen zu symbolisieren. | |
Und jetzt, wo Sie die Botschaft des Plakats verstehen – entspricht sie | |
Ihrer Ansicht nach dem Geist des Al-Quds-Tages? | |
Wie Sie sehen, steht auf den Plakaten, dass „das Judentum“ den Staat Israel | |
ablehnt. Ich bin kein Jude, das sind also nicht meine Inhalte. Es scheint | |
tatsächlich, als ob es unterschiedliche Wahrnehmungen dieser Botschaft | |
gäbe. Einige von ihnen teile ich ganz ausdrücklich nicht: Ich verstehe die | |
Botschaft so, dass diejenigen, die das Plakat verfasst haben, jede Form von | |
Extremismus, Rassismus, Apartheid und Gewalt als dem Judentum fremd ansehen | |
und von der Religion fernhalten möchten. Genauso, wie man die | |
terroristische Gewalt des ISIS nicht dem Islam zuschreiben darf, darf man | |
Gewalt, Diskriminierung und jegliche Form von Unrecht auf eine Religion | |
zurückführen. Aus meinem islamischen Verständnis heraus ist dabei deutlich | |
hervorzuheben, dass alles abzulehnen ist, was widerrechtlich und | |
verbrecherisch ist, sowohl im Bezug auf die Gesetze etwa der Bundesrepublik | |
Deutschland als auch auf das Völkerrecht. Was gegen den Geist des Friedens | |
verstößt und das Miteinander auf nationaler und internationaler Ebene | |
gefährdet, ist aus theologischer Sicht abzulehnen. | |
Aber die Botschaft ist ja so allgemein nicht gehalten – sondern richtet | |
sich konkret gegen den Staat Israel, dem unterstellt wird, illegal zu sein. | |
Und das ist nicht nur eine Haltung dieser spezifischen jüdischen | |
Gruppierung der Neturei, sondern auch der iranischen Führung seit Khomenei. | |
Teilen Sie denn diese Einschätzung? | |
Im Bezug auf das Verhältnis und die Beziehungen der Völker gibt es Rechte, | |
die eingehalten werden müssen. Kein Mensch darf aufgrund seiner Herkunft, | |
seines Geschlechts, Glaubens oder seiner religiösen sowie politischen | |
Anschauung, Diskriminierung, Rassismus und Apartheid ausgesetzt werden. | |
Wenn aber jemand zu einer Bedrohung für die Menschheit wird, dann müssen | |
wir gemeinsam dagegen eintreten. Das ist das, was uns der heilige Koran | |
lehrt, und das ist meine Sicht als schiitischer Theologe. Es darf nicht | |
sein, dass Menschen aufgrund von bestimmten politischen Konstruktionen | |
unrecht behandelt werden. Wir sehen heute in vielen Ländern der Welt | |
Unterdrückung und Unrecht. Und dies würde ich genauso anprangern. | |
Auch die Verfolgung der Ba’ hai, die Massenhinrichtungen und die Folter im | |
Iran? | |
Wir sind nicht die Vertretung des iranischen Staates, zumal in der | |
Islamischen Akademie Deutschland Gelehrte aus dem Iran, Irak, der Türkei, | |
Afghanistan, dem Libanon, aber auch aus Deutschland und Österreich als | |
Theologen wirken. Das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen: Wir sind die | |
Vertreter der schiitischen Theologie und Rechtsschule, sozusagen Vertreter | |
der Quellen der Nachahmung, Mardscha-e Taghlid, hier in Deutschland und | |
Europa, die aufgrund von historischen Ereignissen vorwiegend im Iran, aber | |
auch im Irak oder im Libanon beheimatet sind. Was den Iran angeht, kann ich | |
nur meine persönliche Meinung und Wahrnehmung als iranischer Bürger | |
mitteilen: Der Iran gibt religiösen Minderheiten, so auch den Christen und | |
Juden Schutz und die Freiheit, ihre religiösen Pflichten zu erfüllen. | |
Religiöse Minderheiten haben ihre Gotteshäuser und einen festen Platz und | |
eigene Vertreter im Parlament. Sie nehmen, zusammen mit allen anderen | |
Iranern, an freien und demokratischen Wahlen teil, um ihre Regierung zu | |
wählen, während zum Beispiel ein Land wie Saudi-Arabien, das keinerlei | |
Demokratie kennt, das von Vertretern des Westens hofiert wird, Waffen im | |
Wert von Milliarden Dollar kaufen darf, von denen wir alle wissen, in | |
wessen Händen sie landen und welchen Flächenbrand sie auf der Welt | |
angezettelt haben. Nicht nur, dass sie mit ihrer extremistischen Ideologie | |
den mittleren Osten in Brand gesetzt haben, sie haben auch hier in Europa, | |
in Berlin, in Paris und in Manchester, Angst, Terror und Gewalt verbreitet. | |
Diese Doppelstandards müssen enden. Lassen sie mich ergänzen: Im | |
vergangenen Jahr kam im Rahmen einer Tagung, bei der unsere Dialogabteilung | |
mitgewirkt hat, hier im Islamischen Zentrum Hamburg, das Interreligiösen | |
Frauennetzwerk Hamburgs zusammen, wo auch die Vertreterinnen der | |
Ba’hai-Gemeinde teilgenommen und Räume für die Ausübung ihrer Gebete zur | |
Verfügung gestellt bekommen haben. Will man das nicht sehen oder wird dies | |
bewusst verschwiegen? Also, wir sind offen für den Dialog und respektvoll | |
im Umgang mit jedem – unsere Taten sind der Beweis dafür. | |
Aber dann sprechen Sie doch die Ungerechtigkeiten im Iran an – wohin Sie | |
direkte Kontakte und gute Beziehungen haben. Wäre das nicht viel | |
effizienter? | |
Ich bin kein Politiker. Ich bin ein Theologe. Ich handele aus meiner | |
religiösen Verantwortung. Das heißt, dass ich hier nicht gegen oder für ein | |
bestimmtes Land spreche. Das habe ich in den Jahren, in denen ich in | |
Deutschland lebe, auch nicht getan: Ich habe als Leiter der Islamischen | |
Akademie keine politischen Aussagen getätigt oder in irgendeiner Weise für | |
oder gegen ein Land gesprochen. Es ist unwahr, dass ich zu Hass und Gewalt | |
gegen Juden und die Vernichtung eines Staates aufgerufen hätte. Überall in | |
der Welt geschehen Ungerechtigkeiten. Deren Ausmaße sind zweifellos | |
unterschiedlich, ebenso wie ihre Auswirkungen. Ein Indikator dafür könnten | |
zum Beispiel die UN-Resolutionen gegen ein Land sein. Aber überall, wo | |
Ungerechtigkeiten geschehen, müssen sie angesprochen werden. Ich für meinen | |
Teil tue das, egal, wo ich das sehe, und egal, wo ich eine Ungerechtigkeit | |
empfinde. | |
Anmerkung: Das Gespräch wurde von Mohammad Ale Hosseini, dem Leiter der | |
Dialogabteilung des Islamischen Zentrum Hamburg, Pharsi-Deutsch und | |
Deutsch-Pharsi gedolmetscht. | |
5 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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Teheran | |
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