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# taz.de -- Live-Touren im Internet: Was haben wir uns da eingebloggt
> Reiseblogger locken mit Live-Berichten über ihre Touren Millionen
> Leserinnen und Leser auf ihre Webseiten. Wie unabhängig sind sie von den
> Anbietern?
Bild: New York? Gleich mal fotografieren
Erfahrene Journalisten wundern sich über „hyperaktive“ junge Leute, die
ihre Handykameras auf alles richten, was ihnen vor die Linse kommt, ständig
Videos aufnehmen und Panikanfälle erleiden, wenn die WLAN-Verbindung
schwächelt. „Während wir noch gründlich recherchieren, haben die schon
alles ins Netz gestellt“, mault eine Reisejournalistin über Reiseblogger.
„Die Szene wird immer professioneller“, hält Julia Pawelczyk von der
PR-Agentur Wilde und Partner dagegen. Die PR- und Social-Media-Managerin
kümmert sich für Kunden aus der Touristik- und Reisebranche um das
Influencer Marketing.
Influencer – gemeint sind damit Bloggerinnen und Blogger, die sehr viele
Leser erreichen. So beeinflussen sie zum Beispiel Kauf- und
Reiseentscheidungen und das Bild eines Zielgebiets oder einer Marke. Etwa
750 dieser Influencer hat Pawelczyk in ihrer Datenbank. Immer mehr
Wilde-Kunden – darunter große Fluggesellschaften, Hotelketten und
Tourismusverbände – hoffen, über Blogger ein jüngeres Publikum zu erreichen
und an sich zu binden.
Die Blogger teilen ihre Beiträge in den sozialen Netzwerken. Ihr Kapital:
der persönliche Kontakt und die Glaubwürdigkeit, mit der sie das Vertrauen
ihrer Fans gewinnen und erhalten. Deshalb hält Julia Pawelczyk, wie die
meisten PR-Verantwortlichen, nichts davon, den Influencern reine
Werbebotschaften unterzujubeln.
Marketingfrau Verena Ullrich von der PR-Agentur Global Communication
Experts GCE bestätigt diese Einschätzung. Ihre Agentur werde von
Bloggeranfragen überschüttet. Die zumeist jungen Internetautorinnen und
Autoren fragen nach kostenlosen Reisen und Hotelübernachtungen, um darüber
auf ihren Blogs zu berichten. Ullrich und Pawelczyk versuchen für jeden
Kunden die passenden Blogger zu finden. Entscheidend ist die Zielgruppe,
die das Blog anspricht.
## Mehr quer denken
Das Unternehmen [1][brandnew.io] hat eine Plattform ins Netz gestellt, auf
der Unternehmen, die gegen Bezahlung wahrgenommen werden wollen, und
Influencer zusammenfinden können. brandnew stellt seinen Kunden
Informationen über 43.000 Blogger und andere „digital Influencer“ aus 60
Ländern zur Verfügung. Sales Managerin Heide Herbst empfiehlt beiden
Seiten, quer zu denken. Die Hotelkette Marriot habe Techblogger zu einer
Fachtagung über technische Entwicklungen eingeladen. Sie schrieben über die
Inhalte und den Veranstaltungsort. Der Effekt: Technikfreaks entdeckten die
Vorzüge der Luxusunterkünfte. Ihr Auftraggeber fand so Zugang zu einer
neuen Zielgruppe.
Entscheidend sei, dass „Sprache und Auftritt des Bloggers zur Marke“ passe.
Ein Rucksackreisender, der in Jugendsprache von seinen Abenteuern berichte,
passe nicht zur Luxus-Marke Hilton, aber sehr wohl zu einer Hostelkette.
Viel gelesene Blogger suchten sich ihre Kooperationspartner sorgfältig aus.
„Sie schreiben nur über Marken, hinter denen sie stehen“, berichtet Herbst.
„Dafür hängen sie sich dann voll rein.“
Während die deutsche Reisebranche Blogger bestenfalls einlädt, zahlen
US-Firmen zusätzlich zu den Recherchereisen auch Honorare. Influencer- und
Blogger-Relations seien in den Staaten längst selbstverständlicher Teil des
Marketingmixes.
Blogs erreichen die meisten Leser, wenn sich die Autorinnen und Autoren auf
eine Nische spezialisiert haben. Manche berichten nur über Städtereisen
in Europa, andere über Camping, Reisen mit Kind oder Hund, Hostels,
Luxushotels, Spa und Wellness oder Rucksacktouren. Andere konzentrieren
sich auf einzelne Städte, Regionen oder Länder.
So erhöhen sie ihre Chance, in den Suchmaschinen weit oben zu erscheinen
und häufiger angeklickt zu werden. Bei einer Suche nach „London“ wird kaum
ein deutscher Reiseblog unter den ersten Google-Treffern auftauchen. Wer
dagegen „Städtetrip London mit vierjährigem Kind“ eintippt, erhält deutl…
weniger Treffer. So kann ein Blog weit oben in der Liste landen. Je
häufiger andere Seiten auf einen Artikel verlinken und je öfter dieser
angeklickt wird, desto höher rutscht er in den Trefferlisten. Diese
orientieren sich auch daran, wie häufig ein Suchwort im Text vorkommt.
Um bei Google und Co gut zu „ranken“, also in der Trefferliste weit oben
aufzutauchen, orientieren sich viele Autorinnen und Autoren vor allem an
den Kriterien der Suchmaschinen: Superlative, marktschreierische
Übertreibungen und Listen.
## Neue Follower kreieren
Listicals heißen Artikel wie „Die zehn heißesten Plätze in Paris“ oder d…
„7 spannendsten Sehenswürdigkeiten in Lissabon“. Gute Rankings erzielen
daher abgedroschene Reiseweisheiten, die man überall findet. Die begehrten
„Likes“ lassen sich inzwischen ebenso kaufen wie Follower. Das sind Nutzer,
die einem Blog über dessen Facebookseite auf Instagram oder auf anderem
Wege folgen. In einem Beitrag auf der Internetseite [2][gruenderszene.de]
berichtet Autor Roland Eisenbrand von Computerprogrammen, sogenannten Bots,
die zum Beispiel über den Anbieter Instagress automatisch vermeintliche
Follower generieren.
Trotzdem haben Blogs das Marketing der Tourismusunternehmen und ihrer
PR-Agenturen verändert. Fotos und vor allem Videos werden immer wichtiger.
Gefragt ist, was die Internetuser optisch anspricht. Fundierte Recherche
und kritisches Nachfragen interessieren vor allem auf die optische Wirkung
fixierte Instagramer weniger.
Die Macht der Bewertungsportale wie Tripadvisor wächst. Verena Ullrich von
GCE schätzt, dass die Hälfte aller Urlauber ihre Reisepläne ändern, wenn
sie schlechte Bewertungen ihres gewählten Hotels oder Reiseziels lesen.
Deshalb lassen sich manche Anbieter gegen Bezahlung
Gefälligkeitsbewertungen schreiben.
Auch Bloggerinnen und Blogger sind anfällig für solche Einflussnahmen.
Schließlich brauchen sie die Unterstützung von Hotels, Tourismusverbänden
und Fluggesellschaften, um im Reisegebiet kostengünstig zu recherchieren.
## Vorsicht bei Geschenken
„Dem geschenkten Gaul muss man genau ins Maul schauen“, warnt Barbara
Liepert, Ressortleiterin Reise bei der Frankfurter Allgemeinen
Sonntagszeitung (FAS) im Fachbuch „Motor/Reise. Basiswissen für die
Medienpraxis“ von Evelyn Runge und Hektor Haarkötter.
Nachdem kaum noch ein Verlag oder Sender Reisekosten bezahlt, sind auch
Reisejournalisten auf die Unterstützung der Anbieter angewiesen.
Tourismusverbände organisieren Pressereisen, auf denen sie Bloggern und
Autoren von Zeitungen, Zeitschriften, Radio- und Fernsehsendern das zeigen,
was sie in den Medien wiederfinden wollen.
Der Unterschied: Während Journalisten für ihre Veröffentlichungen zumindest
ein bescheidenes Honorar erhalten, müssen sich Blogger andere
Einnahmequellen suchen. Viele finanzieren sich und ihre Arbeit durch einen
Hauptberuf. Sie arbeiten in Reisebüros, Stadtverwaltungen oder anderen
Erwerbszweigen, die mit ihrem Blog nichts zu tun haben.
[3][„Teilzeitreisender“] hat zum Beispiel die ehemalige Journalistin Janett
Schindler ihren Reiseblog genannt. Dort stellt sie Trips vor, die auch
Vollzeitberufstätige in ihrer Freizeit nachreisen können. Ihr Geld verdient
die Autorin als Angestellte einer Hochschule.
## Finanzielle Unabhängigkeit
Doch auch die meisten Vollzeitblogger versuchen, finanziell möglichst
unabhängig zu bleiben. Die Reisebloggerin und Buchautorin Elena Paschinger
([4][CreativElena]) lebt von „Vortragstätigkeiten, Social-Media- und
Tourismusberatung, Sprachseminaren und EU-Projekten“. Wie die meisten
anderen Bloggerinnen und Blogger lässt sie sich „nicht beeinflussen“.
Schließlich wolle sie sich ihr „wichtigstes Kapital“ nicht zerstören
lassen: die Glaubwürdigkeit. Tatsächlich verlieren Online-Autoren Leser,
wenn sich die Beiträge als gekaufte Lobeshymnen erweisen.
„Reiseblogs werden in dem Maße uninteressant werden, in dem sie vorwiegend
denselben Einheitsbrei und zu viele bezahlte Inhalte verbreiten“, antwortet
zum Beispiel Maria Kapeller auf eine Umfrage der taz zur Unabhängigkeit von
Reiseblogs. Ihr Antrieb sei „die Leidenschaft fürs Schreiben und fürs
Reisen“, der Blog ihre „Spielwiese“. Dennoch sieht sich die Texterin,
Reisejournalistin und Betreiberin des „Alternativen Onlinereisemagazins“
[5][kofferpacken.at] „häufig zwischen den Stühlen“. Schließlich sei sie
„Herausgeberin, Geschäftsführerin, Marketingleiterin und Redakteurin in
einer Person“.
Einnahmen generieren die größeren Blogs zum Beispiel mit „affiliate
marketing“. Im Text stellen sie ein Produkt vor. Darunter setzen sie einen
Link, über den es die Leserinnen und Leser direkt kaufen oder buchen
können. Für jede Buchung zahlt ihnen der Anbieter eine Provision.
Die Autorin Rita Branco aus Porto finanziert ihren Blog [6][oportoencanta]
fast ausschließlich auf diesem Weg. Die Brasilianerin zog vor einigen
Jahren in die nordportugiesische Metropole, entdeckte die Schönheiten der
Stadt und beobachtete, dass immer mehr brasilianische Touristen in die
Region kamen. So begann sie, Reiseangebote und Hotels für ihre Landsleute
zu recherchieren und über diese im Internet zu berichten. Dabei verspricht
sie – wie die meisten Blogger –, ihre Unabhängigkeit zu wahren: „Ich
schreibe nur über das, was ich selbst getestet habe und was mich
überzeugt.“
## Die Geldquellen
Geld verdienen Bloggerinnen und Blogger auch mit Büchern, die sie zumeist
als E-Books selbst verlegen, mit Workshops und Beiträgen, die sie für
kommerzielle Internetseiten erstellen, aber auch mit „sponsored posts“. Das
sind Texte, Fotos oder Videos, für deren Platzierung Unternehmen bezahlen.
Solange diese deutlich genug gekennzeichnet sind, haben die meisten Blogger
damit kein Problem. Auch Werbung ist erlaubt, wenn die Leserinnen und Leser
sie von selbst recherchierten, unbeeinflussten Inhalten deutlich
unterscheiden können.
Manche Blogger lassen sich ähnlich wie Profifußballer als
„Markenbotschafter“ großer Unternehmen verpflichten. Sebastian Canaves von
[7][Off the Path], einem der bekanntesten deutschsprachigen Outdoorreise-
und Abenteuerblogs, hat solche Verträge mit vier verschiedenen Marken
geschlossen. So wirbt er für einen Rucksack, weil ihn der „persönlich
überzeugt“. Auch Conni Biesalski von [8][Planet Backpack] promoted „nur
Produkte, die ich selbst benutze und mit denen ich zufrieden bin“. So
trommelt sie auf ihrer Seite für eine Kreditkarte und für Waren, die man
über einen Link zu Amazon direkt kaufen kann. Ihre Einnahmen legt sie
offen: Mit ihrem Blog und dem E-Book-Kurs „Digitale Nomaden“ erzielt sie
jährlich „etwa 100.000 Euro Umsatz“.
Planet Backpack erreiche jeden Monat 160.000 Leserinnen und Leser. Ihr
Thema: Das spirituell bereicherte Leben als „digitale Nomadin“, die ihren
Lebensunterhalt mit Begeisterung für die Sache an jedem Ort der Welt
erwirtschaftet. „Der Blog bin ich“, lüftet sie eines ihrer
„Erfolgsgeheimnisse“. Weil sie mit Planet Backpack und ihren anderen
Produkten genügend Geld verdiene, könne sie ihre gesamte Zeit investieren
und ständig auf allen Kanälen präsent sein.
Blogger leben vor allem von der Nähe zu ihrem Publikum. Anders als
Journalisten sind sie für ihre Leserinnen und Leser via facebook, E-Mail
und über andere Kanäle jederzeit erreichbar, antworten auf Kommentare und
beraten ihre Fans.
So werden sie zu Persönlichkeiten der internationalen Reise-Community, mit
denen sich die Kunden identifizieren. „Viele sehen mich als eine Art
Freundin“, berichtet zum Beispiel Yvonne Zagermann von [9][Just Travelous].
„Sie fragen nach Dingen, die ich beschrieben habe.“
## Frischer und spontaner
Die Nutzer finden im Blogger ein Gegenüber und manchmal auch einen Partner,
der sie zum Beispiel auf einer Reise begleitet. „Frischer und spontaner“
als die meisten Journalisten erscheinen sie dem Direktor des spanischen
Fremdenverkehrsamts in Deutschland Alvaro F. Blanco Volmer.
Die einst von Rucksackreisenden und Alternativtouristen betonten Werte wie
Authentizität, Unmittelbarkeit der Begegnungen und Individualität tragen
viele Blogger ins Netz. Die meisten haben nicht umsonst als Backpacker
angefangen.
Franz Neumeier vom [10][Bloggerclub] und Betreiber des Kreuzfahrtblogs
[11][Cruisetricks] versucht den Unterschied zwischen Journalisten und
Blogger so zu beschreiben: Letztere „geben den Lesern ein Bild aus ihren
subjektiven Wahrnehmungen“, während Erstere erreichen wollen, „dass sich
das Publikum selbst ein Bild macht“. Leser wie die meisten Marketingleute
sehen die Blogger als Ergänzung des Journalismus. Während ein Artikel in
einer Zeitung einmal erscheint, bleiben die Blogbeiträge ewig im Netz,
solange niemand sie löscht. Nachdem inzwischen zwei Drittel der Deutschen
im Internet nach Antworten auf ihre Fragen suchen, wächst ihre Bedeutung.
Unterdessen verschwimmen die Grenzen zwischen PR, Journalismus und Blogs.
Reisereportagen erschienen in den klassischen Medien immer häufiger in der
Ich-Form. Anspruchsvolle Hintergründe blenden die Redaktionen lieber aus
und drucken oder senden stattdessen leicht verdauliche Infohäppchen.
Radio- und Fernsehbeiträge werden immer kürzer. Artikel enden in der Regel
nach spätestens 5.000 Anschlägen. Je schlechter die Verlage ihre
Redaktionen ausstatten, desto schneller gelangt interessengesteuerte PR
ungeprüft in Zeitungen und Zeitschriften. Viele Magazine, seien sie online
oder gedruckt, zahlen Journalisten keine oder lächerlich geringe Honorare.
Recherche kann sich so kaum noch ein Autor leisten. Blogger, die sich
diesen Aufwand sparen und sofort posten, was sie sehen und hören, sind da
ehrlicher.
4 Jun 2017
## LINKS
[1] http://brandnew.io/?gclid=CLLpy73InNQCFdTNGwodF7UL8g
[2] http://www.gruenderszene.de/
[3] https://teilzeitreisender.de/
[4] https://www.creativelena.com/
[5] http://www.kofferpacken.at/
[6] http://www.oportoencanta.com/
[7] https://www.off-the-path.com/de/
[8] https://www.planetbackpack.de/
[9] http://www.justtravelous.com/
[10] http://www.bloggerclub.de/
[11] https://www.cruisetricks.de/
## AUTOREN
Robert B. Fishman
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