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# taz.de -- Großstadtzuflucht Uckermark: Sehnsuchtsland Bullerbü
> Im Nordosten von Berlin gibt es so manches Künstlerdomizil. Aber um dort
> zu wohnen, muss man auch Überlebenskünstler sein.
Bild: Sommerausflug. Auf der Strecke zwischen Templin und Lychen.
Die menschenleere Uckermark steht bei Malern, Bildhauern und Fotografen
hoch im Kurs. Blühende Apfel- und Birnbäume, darunter ein blau bemalter
Holztisch mit ein paar Stühlen und einer Scheune, die von den Zweigen einer
Weide gestreichelt wird. Es sieht aus wie Bullerbü. Und ist das Atelierhaus
von Sybille Eckhorn in Rosenow, einem winzigen Ort in der Uckermark.
Im Nordosten von Berlin gibt es so manches Künstlerdomizil, in das sich
Besucher sofort verlieben. Überhaupt ist der Landkreis nordöstlich von
Berlin in den letzten Jahren zu einer Art Sehnsuchtsland geworden. Sanft
gewellte Felder und Wiesen – Brandenburgs früherer Ministerpräsident
Matthias Platzeck, der zeitweise in Gerswalde lebt, spricht von einer „Po-
und Busenlandschaft“ -, im Frühjahr von gelbem Raps und Mohnblumen übersät,
unzählige Seen, ausgedehnte Buchenwälder – und kaum Menschen. Nachdem immer
mehr Anwohner abgewandert sind, leben hier nur noch 121.000, das sind 39
pro Quadratkilometer, während es in Berlin 3.948 sind.
Doch genau das zieht jede Menge Großstadtmüde an. Auch wenn hier und da
aggressive Großbetriebe die traditionelle Landwirtschaft verdrängen, in
vielen Dörfern Einkaufsmöglichkeiten, Schulen und Ärzte fehlen und die
Verkehrsmöglichkeiten stark eingeschränkt sind. Die einen betreiben
Hofläden und Kräutergärten, die anderen machen Mohnöl, kandierte Blüten,
Naturseife. Oder eben Kunst.
Schließlich lässt es sich auf dem platten Land nicht nur günstiger wohnen
und arbeiten. „Es gibt überhaupt mehr Freiräume“, meint eine Künstlerin,
die mit Metall arbeitet. „Wirf mal in der Stadt deine Flex an, dann
erschlägt dich doch dein Nachbar.“ Gut, aber dieses Argument spricht auch
für andere menschenleere Regionen in Brandenburg. Warum gerade die
Uckermark?
## Objekte aus Keramik
„Mich inspiriert einfach der weite Himmel mit seinen Sonnenuntergängen“,
sagt Sybille Eckhorn. Für die Bildhauerin Astrid Mosch sind es eher die
Wälder, in denen man sich verlaufen kann, für den Fotografen Peter van
Heesen ist es die Stille. Jedenfalls kann, wer beispielsweise an den Tagen
der Offenen Ateliers in der Uckermark unterwegs ist, an die hundert
Kreativen begegnen.
Neben Sybille Eckhorn, die in ihrer Galerie „Rosenow 13“ Malerei und
allerlei skurrile Objekte aus Keramik ausstellt, hat sich Frieda Rommel ein
paar Häuser weiter auf Illusionsmalerei spezialisiert. In Warthe webt Beate
Flierl in ihren Lichtwerkstätten an Bildteppichen und großformatiger
Textilkunst. Besonders viele zeichnen, malen, fotografieren, töpfern,
meißeln oder schnitzen im benachbarten Lychen.
Sie haben unter anderem dazu beigetragen, dass sich in der Flößerstadt, die
von sieben Seen umzingelt ist, rund um das Haus Vogelsang mit Bioladen,
Hofcafé und Filzwerkstatt eine alternative Szene entwickelt hat und die
Straßen heute wesentlich belebter wirken als noch vor ein paar Jahren. Hier
die „Kleine Galerie“ von Renate Trottner, die in ihren Stillleben Motive
aus der Umgebung, darunter schon mal eine Meerrettichknolle, einfängt, dort
das Keramikatelier von Michaela Ambellan, die Kraftfrauen und Engelwesen
aus Raku und Rauchbrand modelliert, während ihr Mann fotografische
Uckermark-Panoramen entwirft.
Ein paar Straßen weiter präsentiert Jutta Siebert in der Atelier-Galerie
„KunstimPuls“ abstrakte Grafiken und figürliche Malerei. Vor ein paar
Jahren hat es sie aus dem Rhein-Main-Gebiet hierher verschlagen, 2016 hat
sie sich ganz in Lychen niedergelassen. Was war es, das den Ausschlag
gegeben hat? „Das Wasser“, sagt die Preisträgerin des Uckermärkischen
Kunstpreises 2017 ohne nachzudenken.
## Eingewöhnungsschwierigkeiten
Kein Wunder, dass sie sich an einem der Stadtseen angesiedelt hat, wo sie
auch Kreativworkshops und Ferienwohnungen anbietet. Inzwischen ist sie auch
mit den Menschen der Gegend warm geworden. „Wobei man die Uckermärker erst
mal knacken muss“, wie sie sagt. „Das ist ja eine eigenwillige Mischung aus
Norddeutschland, Berlin und ehemaligem Osten.“
Keine Eingewöhnungsschwierigkeiten hatten demgegenüber die Ambellans.
Schließlich sind sie in der Gegend aufgewachsen und nach Jahren aus der
Großstadt wieder zurückgekehrt. „Das war ein solches Glücksgefühl, als ich
mit meiner Tochter morgens mit dem Fahrrad zum Kindergarten gefahren und
mir vorgestellt habe, wie es im dicken Verkehr von Berlin wäre“, erinnert
sich die Keramikerin.
Sie hat aber auch das Glück, wie ihr Mann eine Halbtagsstelle zu haben, mit
denen sie ihren Lebensunterhalt finanzieren. Zwar vermisst auch ihre
Kollegin Friederike Dux die Großstadt nicht, doch neben ihrer Töpferei in
der Retzower Straße, in der sie blaugraue Gebrauchskeramik und allerlei
Objekte formt, betreibt sie noch Landwirtschaft. „Nur so habe ich mir mein
Auskommen gesichert“, sagt sie. Als Künstler man muss sich ja schon
arrangieren. Einige backen Brot oder putzen, um zu überleben.“ „Sich allein
mit der Kunst zu finanzieren, gelingt nur den wenigsten“, weiß Ines
Baumgartl, Sprecherin von „umKunst Uckermark“.
In dem Netzwerk sind etwa zwanzig Künstler aktiv, die sich einmal im Monat
zum Atelierbrunch treffen, gemeinsame Ausstellungen und Projekte mit Polen
oder Schottland organisieren. „Für Diskussionsstoff sorgt immer wieder das
Thema Ausstellungshonorar. Denn das ist einfach keine
Selbstverständlichkeit“, hat Baumgartl beobachtet.
## Ein Rückzugsort
Ohne Honorar muss meist auch der experimentierfreudige Grafiker, Bildhauer
und Maler Lutz Kommalein auskommen, der in der alten Schule von Ringenwalde
unter relativ spartanischen Bedingungen wohnt, arbeitet und ausstellt. Alle
anderen pendeln. So zum Beispiel die rund zwanzig Künstler, die sich an den
Wochenenden unter dem Motto „Transit Lychen“ bei Peter van Heesen am
Goetheweg 4 einfinden.
Vor sieben Jahren hat der Fotograf Berlin den Rücken gekehrt und ein
ehemaliges FDGB-Heim angemietet, wo es ganz und gar nicht wie Bullerbü
aussieht. Mit bröckelndem Putz, aufgerissenen Böden, Kabeln, die aus Wänden
und Decken hängen, scheint es ihm und seinen Kollegen aber genau den
Freiraum zu bieten, den sie für ihre Installationen, Zeichnungen, Fotokunst
und elektronische Musik brauchen.
Der Rückzugsort von Astrid Mosch liegt in Hohenwalde südöstlich von Lychen.
Vor vielen Jahren hat die Bildhauerin in dem Dörfchen unweit von Angela
Merkels Wochenenddomizil das Kunsthaus „Hohenwalde“ gebaut. Über Galerie
und Garten verteilen sich ihre minimalistischen Skulpturen aus
verschiedenen Holzarten. Meist sind es langgestreckte, archaisch anmutende
Frauenkörper, von denen spitze Brüste abstehen, bedrohlich wie Waffen. Ein
paar Jahre hat Mosch versucht, hier ganz zu leben. Dann ist sie wieder nach
Berlin gezogen. Nicht nur, weil sie ihren Lebensunterhalt mit anderen
Dingen bestreiten musste. „Ich habe auch gemerkt, dass sich die Schönheit
der Landschaft einfach abnutzt, wenn man sie tagtäglich vor sich hat. Erst
aus der Distanz wächst immer wieder die Sehnsucht nach der Uckermark, die
mich bei meiner Arbeit inspiriert.“
18 Jun 2017
## AUTOREN
Ulrike Wiebrecht
## TAGS
Kunst
Uckermark
Natur
Brandenburg
Uckermark
Uckermark
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