# taz.de -- Streetart in Yogjakarta: Die Polizei als Auftraggeber | |
> Yogjakarta auf der Insel Java wird durch eine lebendige Streetartszene | |
> ganz bunt. Das ist Kunst für den öffentlichen Raum, ohne Preisschilder. | |
Bild: Findet dort überall Anerkennung: Streetart | |
Andernorts mögen die Nächte ja katzengrau sein, nicht so in Yogjakarta, der | |
Kinderstube der javanischen Kultur und einem der letzten aktiven Sultanate | |
Indonesiens. Hier wird, wenn die größte Hitze gewichen ist, wenn die | |
Einheimischen unter rappelnden Ventilatoren langsam in ihre Kissen sinken | |
und auch die letzten Touristen sich auf den Weg in ihr Hotel machen, die | |
Stadt erst richtig bunt. Zumindest in den Nächten, an denen die Jungs von | |
YORC oder FSK (Flameable Seven Kids) die Spraydosen in ihre Backpacks | |
packen, ihre Basecaps oder Hoodies über den Kopf ziehen und sich auf ihren | |
Mopeds in der Stille der Nacht auf den Weg zur Arbeit machen. | |
Die eigentliche Arbeit, denn tagsüber sind sie Kellner, Taxifahrer, | |
Designer oder Lehrer. Die Währung der Nachtschicht heißt fame. YORC steht | |
für Yogjakarta Art Crime, eine Gruppe von Streetart-Künstlern, die es sich | |
zur Aufgabe gemacht haben, ihre Stadt klammheimlich ein bisschen farbiger | |
zu gestalten. | |
LOVEHATELOVE, SAVE, MUCK und PLUS03, die Spezialisten in posters, murals, | |
logos, stencils und writings, trudeln nach und nach in ihrem Headquarter, | |
dem winzigen Café Sellie Coffee, ein. Rolly alias LOVEHATELOVE ein, wie er | |
sagt „full-time-artist“, ist so etwas wie der König der Szene, MUCK, der | |
junge Wilde unter ihnen: Schmutzig müsse Streetart sein, illegal und | |
aufrichtig, zerstörerisch und schön, findet er. MUCK hat sich mit seinen | |
writings, bei denen es darum geht, seinen eigenen Stil zu entwickeln und | |
den eigenen Namen kunstvoll auf so vielen Wänden wie möglich zu | |
hinterlassen, in der Hierarchie der Szene hochgesprüht. Das writing ist die | |
Form der Selbstdarstellung unter den Sprayern. | |
Aber: Wer keinen guten style hat, kann sprühen, so viel er will, er wird | |
niemals fame erreichen. „Natürlich sind wir alle Narzissten“, sagt Sabiq | |
alias SAVE. Während die Graffitiszene in Europa und den USA bereits wieder | |
im Aussterben begriffen scheint oder sich satt im kommerziellen | |
Kunstbetrieb etabliert hat, ehemals illegale Straßenkunst bekannter Sprayer | |
wie etwa die des Amerikaners Banksy Preise von mehreren hunderttausend | |
Euros erzielt und ganze Wände für ein piece oder ein mural abgetragen | |
werden, geht es hier erst richtig los. | |
## Neu ist das nicht, aber schön | |
Von fetten Erlösen für ihre Werke sind die indonesischen Sprayer weit | |
entfernt. Das Honorar für einen „wall“ – Auftrag liegt bei 10 Euro pro | |
Meter; Auftraggeber sind meist Unternehmen und auch schon mal die Polizei | |
im Rahmen einer Antiterrorkampagne. Das monetäre Nahziel dieser Künstler | |
ist es, über den öffentlichen Raum einen Job als Designer oder Grafiker zu | |
finden; so wie Sabiq, der Exsprayer, der inzwischen als | |
Freelance-Werbedesigner arbeitet und nur noch „nebenher“ sprüht: „Von | |
irgendwas müssen wir ja leben.“ | |
Neu ist diese Kunstform in Indonesien nicht, die meisten der | |
Streetartveteranen haben als Teenager angefangen und gehören der Szene seit | |
mehr als 10 Jahren an. Begonnen hat sie hier, in Yogjakarta. Davon, dass | |
sie die Pioniere der Streetart in Südostasien seien, sind YORC überzeugt. | |
Streetartkünstler aus der ganzen Welt kommen nach Yogja, man befruchtet | |
sich gegenseitig. | |
Wie kaum eine andere Stadt des Archipels hat Yogja den Spagat zwischen | |
Tradition und Moderne, im Leben wie in der Kunst, geschafft. Modernes | |
Universitätsleben vibriert neben den Traditionen des Sultanspalastes, dem | |
Kraton, der im Wechselspiel zwischen Hinduismus, Buddhismus und Islam seine | |
ganz eigene Kultur hervorgebracht hat. Im Zentrum von Bildung, Kunst und | |
Kultur ist über Jahrhunderte eine reiche Kunstszene gewachsen, die Tanz, | |
Musik, Wayang-Schattenspiel, Batik und Malerei umfasst. | |
## Die Stadt ist ein großes Atelier | |
Die Offenheit gegenüber Neuem zeigt sich auch darin, dass Streetart sowohl | |
bei den meisten Bewohnern der Stadt als auch bei den Behörden weitgehend | |
anerkannt und als Kunst wahrgenommen wird. Viele sind stolz auf „ihre“ | |
Straßenkünstler, und eine mobile Suppenküche vor einem bunten mural macht | |
sich allemal besser als vor einer grauen Wand. | |
PLUS03, der in Yogjakarta Kunst studiert hat und dort nun selbst Kunst | |
unterrichtet, hat 2003 mit dem Sprayen von characters begonnen, weil er | |
fand, dass die Stadt schmutzig und trist aussah. Inzwischen hat seine | |
Straßenkunst aber eine Botschaft: „Kunst ist immer so schwer und | |
abschreckend“, sagt er und will genau das ändern „Jeder kann Kunst machen, | |
jeder kann es lernen, und unsere Stadt ist wie ein großes Atelier.“ | |
Die Leute sollen sich freuen, wenn sie am Morgen zur Arbeit gehen und | |
wieder ein neues Bild an einer schäbigen grauen Wand vorfinden. Das | |
Bilderverbot im Islam, das einer muslimischen Tradition folgt, die die | |
Abbildung von lebenden Wesen ablehnt, schert die jungen Muslime hier wenig. | |
Einzuhalten wäre es im Epizentrum des hinduistischen Ramayana-Epos ohnehin | |
nicht, denn der Epos lebt von seinen filigranen Figuren um Rama und Shinta. | |
Vielmehr bedienen sich viele Streetartkünstler dieser Figuren wandfüllend, | |
um auf soziale Missstände zu zeigen. | |
Sie geben der Kunst wieder Raum und dem öffentlichen Raum die Kunst zurück, | |
ohne auf Preisschilder zu schielen. Sie wollen Kunst vom Volk fürs Volk. | |
Ihre Galerien und Ateliers sind die Straßen ihrer Stadt. Vielleicht braucht | |
Kunst eben doch einen leeren Bauch. Denn satt sind die Streetartkünstler | |
von Yogja noch lange nicht, und ans Aufhören denkt auch keiner. „Niemals!“, | |
sagt MUCK, als hätte man ihn gefragt, ob er sich vorstellen könne, | |
irgendwann mit dem Atmen aufzuhören. | |
28 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Doris Klein | |
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