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# taz.de -- Portugal gewinnt Eurovision Song Contest: Natürlichkeit und wenig …
> Er war alles andere als ein Favorit des Wettbewerbs: Salvador Sobral
> gewinnt dennoch. Und das, obwohl er auf den großen Aufwand verzichtete.
Bild: Salvador Sobral mit der Siegertrophäe
Kiew taz | Er könnte die Jurywertungen gewinnen, vielleicht. Aber die
Televoter der 42 Eurovisionsländer, die in Kiew am ESC teilnahmen?
Unwahrscheinlich. Salvador Sobral, 27 Jahre, Musiker eher in Clubs und in
kleineren Independentkellern, hatte ein eher dürftiges Angebot zu
unterbreiten – gemessen an den Standards der globalen Popindustrie.
„Amar pelos dois“ heißt das Lied, das seine Schwester Luisa komponiert und
getextet hat. Vorgetragen eben von einem Mann, dessen Frisur keine ist. Mit
Klamotten, die nicht zu passen scheinen. Ein Mann, der rund um das Mikrofon
eher vage schaukelnd und mit weit aufgerissenen Augen sich zeigt als mit
choreografierten Schrittfolgen. Ein Lied so sacht, wie es beim Eurovision
Song Contest noch nie gewonnen hat, schon gar nicht in den vergangenen 20
Jahren, als alle Acts irgendwie wie Feuerwerke inszeniert wurden – meist
aufdringlich und um Beifall bettelnd.
Am Ende hatte Sobral, der Portugiese, doch gewonnen. So klassisch nach dem
David-gegen-Goliath-Muster. Einer, der sich selbst auch nicht als Held der
Portugiesen sieht, weil ein Held, so sagte er, eben einer wie Cristiano
Ronaldo sei. Aber er? Eher nicht. Dabei hat er sein Land kurz nach
Mitternacht Lissaboner Zeit in einen Freudentaumel versetzt. Portugal nimmt
schließlich seit 1964 am ESC teil. Und das Beste, was man bis zu diesem
Wochenende erreichte, war ein sechster Rang – und der liegt auch schon 21
Jahre zurück.
Der Sieg für „Amar pelos dois“ war von jedem Zweifel frei. Von fast allen
Ländern erhielt der Song Punkte. Auch aus Ländern, die portugiesischen
ESC-Liedern entweder nie nur auch einen oder selten mehr als fünf Punkte
gaben. Dieses Jahr regnete es die Höchstwertung von zwölf Punkten auf
Salvador Sobral nur so herab: An ihn reichte nicht einmal der für Bulgarien
performende Russe Kristian Kostov heran. Er wurde Zweiter mit „Beautiful
Mess“. Den dritten Platz schafften die Moldawier „Sun Stroke Project“ mit
„Hey Mamma!“, Vierte wurde die Belgierin Blanche mit „City-Lights“.
## Orientierungslos wirkender Gewinner
Der Italiener Francesco Gabbani, haushoher Favorit bis zuletzt, fand sich
am Ende für ihn „sehr enttäuschend, aber es ist nur ein Spiel“ auf dem
sechsten Rang wieder.
Kurioserweise sah man während der Punktevergabe Salvador Sobral von der
Kamera eingeblendet – und stets wirkte er irgendwie orientierungslos.
Später sagte er: „Ich verstand die Wertungen nicht, aber jemand aus unserem
Team erzählte uns plötzlich, wir hätten gewonnen.“ Seine Zukunft jedenfalls
werde er nicht umstürzen. „Im Sommer habe ich eine Tour in Portugal, ich
werde mein Leben einfach fortsetzen, wie es war. Ich mag mein ruhiges,
geregeltes Leben. Hier ist es jetzt Spaß, aber dass ich heute gewonnen
habe, weiß morgen schon keiner mehr.“
Noch auf der Bühne des Kiewer Messezentrums, in dem vor 7000 Zuschauern der
ESC ausgetragen wurde, formulierte der Portugiese die für ihn wichtigste
Botschaft dieses Abends: „Es geht bei Musik nicht um Feuerwerk, sondern um
Gefühl.“ Seine Schwester Luisa gab unumwunden zu, die Geschichte eines
Liebeskummers selbst erlebt und mit diesem Lied für ihren Bruder
künstlerisch verarbeitet zu haben: „Als ich es fertig hatte, hoffte ich,
dass es vom portugiesischen Fernsehen als mögliches Lied für Kiew
angenommen wird – es war meinem Bruder zugedacht. Es ist schön, dass alles
gut lief.“
## Rüge für Statement-T-Shirt
Noch am Mittwoch war Sobral gerügt worden, weil er, so hieß es seitens der
veranstaltenden European Broadcasting Union, ein politisches Statement
gegeben habe: Er trug auf der Pressekonferenz ein [1][T-Shirt mit der
Aufschrift „S.O.S. Refugees“]. Der Gescholtene erwiderte lapidar: „Es war
nicht politisch gemeint, es war nur humanistisch gesinnt. Menschen, die zu
uns flüchten, weil sie um ihr Leben fürchten, sind nicht politisch – was
wir als Erstes tun können, ist, ihnen Schutz zu geben.“
In der Tat hat ein Lied diesen ESC gewonnen, das in den meisten Ländern
nicht einmal zu einer Vorentscheidung zugelassen worden wäre. „Ich hoffe,
mein Sieg bei der Eurovision ändert nicht nur diesen, sondern Popmusik
überhaupt. Wir können doch meist nur das hören, was uns die Radiostationen
vorsetzen. Das kann anders werden.“ Und: „Das Motto der Eurovision in Kiew
lautet doch ‚Celebrate Diversity‘. Ich denke, der Contest handelt von Musik
– das ist alles, was ich zeigen wollte.“
Und nicht, so ließe sich Sobral interpretieren, dass es immer
angloamerikanische Chartware sein muss. „Amar pelos dois“ ist erst das
zweite ESC-Gewinnerlied in 22 Jahren, das ausschließlich in der
Landessprache der oder des Künstlers*in dargeboten wurde.
Die deutsche Kandidatin Levina, in einer Vorentscheidung der ARD im Februar
durch das Publikum ausgewählt, belegte mit „Perfect Life“ den 25. und
vorletzten Platz. Das ist, gemessen an den vergangenen zwei letzten Rängen
deutscher ESC-Acts (Ann Sophie und Jamie-Lee), klänge dies auch nicht auch
boshaft, eine zumindest leichte Verbesserung. Die gebürtige Sächsin, die in
London studiert hat, ausgebildete Musikerin ist und prima singen kann,
konnte mit ihrem Lied nicht einnehmen. Bis auf drei Punkte durch alle
ESC-Jurys und ebenfalls drei durch das eurovisionäre Televoting war das
alles. Ihr Beitrag war, wie so viele andere des Abends, nicht im
Zeitgeschmack: stylish und bühnenperfekt. Europa bevorzugte eben am
stärksten die Anmutung von Natürlichkeit und abgerüsteter
Inszenierungsweisen.
Kiew als Gastgeberin konnte nichts für das extrem nieselige Wetter und die
kühlen Temperaturen auch am Samstag. Public Viewing etwa rund um den Maidan
wollte so gut wie niemand. Was aber auffiel während der Moderation der
Show: Kein einziges Moment, dass die Ukraine für sich selbst werben sah –
als Teil Europas. Es scheint nach diesen ESC-Tagen, als habe man dieses
Eurovisionsfestival gewollt und wusste eher wenig damit anzufangen als
Schaufenster in die Welt. Im Mai 2018 geht es weiter mit dem 63. ESC seit
1956 – in Lissabon, wo sonst?
[2][Alle Ergebnisse gibt es hier]
14 May 2017
## LINKS
[1] http://www.eurovision.de/videos/2017/Sobral-setzt-sich-fuer-Fluechtlinge-ei…
[2] https://eurovision.tv/event/kyiv-2017/grand-final/participants
## AUTOREN
Jan Feddersen
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