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# taz.de -- Science-Fiction aus China: Wenn Protonen zu denken beginnen
> Der Schriftsteller Cixin Liu legt in seinem Thriller „Die drei Sonnen“
> das Schicksal der Menschheit in die Hände der Naturwissenschaften.
Bild: Unendliche Weiten, unendliche Fantasien
Wang Miao hat Angst. Dem Nanoforscher erscheint seit Tagen ein mysteriöser
Countdown. Niemand kann erklären, was da geschieht, doch irgendetwas macht,
dass vor seinen Augen Zahlen heruntergezählt werden, Stunden, Minuten,
Sekunden, die nur er sehen kann. Kurz zuvor war er von Polizisten zu einem
Treffen mit internationalen Militärs und Geheimdienstlern geführt worden,
auf dem ihm zwar keiner verraten wollte, warum man ihn hinzugebeten hatte,
auf dem aber das Wort „Krieg“ fiel. Erst viel später soll Wang Miao
erfahren, welcher Krieg gemeint ist.
Die Zukunft im Roman „Die drei Sonnen“ des chinesischen Autors Cixin Liu
beginnt allerdings erst einmal in der Vergangenheit. Im Jahr 1967 in China,
die Kulturrevolution wütet. Ye Zhetai, ein Physikprofessor, muss sich in
einer Kampf- und Kritiksitzung vor den Rotgardisten dafür rechtfertigen,
dass er in seinen Vorlesungen die „bourgeoise“ Relativitätstheorie lehrt.
Dem „reaktionären Idealismus“ kann er, ganz Wissenschaftler, jedoch nicht
abschwören, selbst des eigenen Lebens zuliebe nicht. Er wird von seinen
ehemaligen Studentinnen zu Tode geprügelt. Vor den Augen seiner Tochter Ye
Wenjie, die ebenfalls Physik studiert.
„Die drei Sonnen“ kommt zunächst daher wie ein Geschichtsroman über die
Schrecken des Maoismus unter Akademikern: Nach dem Vater bekommt sogleich
Ye Wenjie die Gefahren ihres Berufsstands zu spüren. Sie wird auf eine
entlegene Forschungsstation in der Inneren Mongolei strafversetzt, nachdem
man ihr, die durch ihre Familie ohnehin politisch verdächtig ist, eine
„konterrevolutionäre Schrift“ untergeschoben hat. Auf der Radarstation
„Rotes Ufer“ soll sie fortan lebenslänglich an einem Geheimprojekt
mitarbeiten, um sich zu rehabilitieren.
Was Ye Wenjie an dieser Station wirklich untersucht, lässt Cixin Liu lange
Zeit offen. Und bewegt sich in einem großzügigen Zeitsprung direkt zu Wang
Miao und dessen rätselhaften Erscheinungen – und der internationalen
Konspiration, die aufzudecken er sich zur Aufgabe macht. Über seine eigenen
Nachforschungen stößt Wang Miao dann auf Ye Wenjies Arbeiten zur
Astrophysik.
## Vom Computerspiel lernen
„Die drei Sonnen“ ist Science-Fiction im engsten Sinn des Worts. Cixin Lius
Wissenschaftsfiktion scheut nicht davor zurück, grundlegende Konzepte der
Physik oder Computerwissenschaften zu verhandeln. Sein Protagonist Wang
Miao beschränkt sich dabei nicht auf Fachgespräche unter Kollegen. Die
wichtigsten Entdeckungen macht er bei einem Computerspiel, „Three Body“, in
dem er die Welt des Planeten „Trisolaris“ kennenlernt, einem Himmelskörper,
der von drei Sonnen umgeben ist. Diese sorgen für eher schwierige
klimatische Verhältnisse, was regelmäßig zu Katastrophen globalen Ausmaßes
führt.
Im Spiel kämpft Wang Miao nicht gegen feindliche Gegner, sondern diskutiert
mit anderen Spielteilnehmern, die Namen wie Isaac Newton tragen, konkrete
wissenschaftliche Fragen. Und stellt fest, dass die Programmierer des
Spiels nicht bloß eine Menge an bekanntem theoretischen Wissen verarbeitet
haben, sondern auch Informationen über eine Zivilisation, die unter den
gleichen Bedingungen lebt wie auf Trisolaris.
Cixin Liu verbindet in einer ruhig geführten Dramaturgie die astrophysische
Forschung Ye Wenjies, die Countdown-Visionen Wang Miaos und seine
Erkenntnisse aus dem Computerspiel zu einer Spannungskurve, die sich bei
aller Nüchternheit der Materie wie ein Hightech-Thriller liest. Irgendwann
ist klar, dass Gefahr von weit weg droht und das Schicksal der Menschheit
auf dem Spiel steht – oder längst besiegelt ist.
Lust auf Besuche aus dem Weltall macht die Lektüre von „Die drei Sonnen“
jedenfalls nicht. Dafür umso mehr Lust, sich in die Funktionsweise
intelligenter Protonen reinzudenken. Vielleicht kann es ja einmal sehr
wichtig sein.
12 May 2017
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Astrophysik
Science-Fiction
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Science-Fiction
Volkszählung
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