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# taz.de -- Krise in afghanischer Regierung: Abflug eines Warlords
> Vizepräsident Dostum geht ins türkische Exil. Offiziell, um sich
> behandeln zu lassen. Tatsächlich stecken aber wohl schwerwiegende
> Vorwürfe dahinter.
Bild: Raschid Dostum (links) und Aschraf Ghani im Jahr 2014
Berlin taz | „Bald werde ich zurückkehren und mit meinen stolzen
Landsleuten zusammenstehen, um den Menschen Sicherheit zu geben.“ Das
twitterte Abdul Raschid Dostum, afghanischer Warlord und seit 2014 Erster
Vizepräsident des Landes, von Bord des Flugzeuges, das ihn am Freitagabend
ins Exil in die Türkei brachte. Denn offiziell begibt er sich dorthin zur
medizinischen Behandlung. Dostums Abflug vertieft die Krise in der schon
zerstrittenen afghanischen Einheitsregierung unter Präsident Aschraf Ghani
weiter.
Dostum, der 63-jährige für seine Wutausbrüche unter Alkoholeinfluss
berüchtigte Usbekenchef aus dem afghanischem Norden, hatte im vergangenen
November einen früheren Vize seiner Jombesch-Partei namens Ahmad Ischtschi
entführen und zusammenschlagen lassen. Schließlich sollen sein Leibwächter
ihn mit einer Kalaschnikow vergewaltigt haben. Dostum, sagte Ischtschi dem
Guardian, sei anwesend gewesen. „Stellt sicher, dass nichts von seiner Ehre
übrig bleibt“, solle er angeordnet haben.
Der Vizepräsident hatte Ischtschi beschuldigt, zu einer „fünften Kolonne“
in der Regierung zu gehören, die seinen Kampf gegen die Taliban
unterminiere. Er stritt Ischtschis Vorwürfe ab und erklärte, der sei von
regulären Sicherheitskräften festgenommen worden. Allerdings gehören
Dostums dazu, seit er der Regierung angehört. Dostum verhinderte dann auch,
dass die Leibwächter der Einladung zu einem „Gespräch“ mit dem
Generalstaatsanwalt folgten.
Der Übergriff auf Ischtschi war mindestens der dritte dieser Art mit
Dostums Beteiligung. 2008 wollte Ghanis Vorgänger Hamed Karsai ihn schon
einmal verhaften lassen, aber Dostums Leute verhinderten das, indem sie auf
die Polizei schossen. Danach überredeten Karsai und dessen US-Verbündete
Dostum, sich „zur Erholung“ in die Türkei zu begeben.
## Ghani verdankt Dostum einiges
Seit November rang die afghanische Regierung darum, wie sie mit dem Fall
Dostum umgehen solle. Menschenrechtler verlangten, Dostum solle vor Gericht
gestellt werden, doch Ghani ließ Vorsicht walten. Er weiß aus Karsais
Erfahrung, dass Dostum auch vor einem bewaffneten Kräftemessen nicht
zurückschreckt. Zudem verdankt er Dostum seinen Wahlsieg vor zweieinhalb
Jahren. Er hatte ihn als zweiten Mann in sein Team geholt, weil Dostum die
afghanischen Usbeken mit ihrem Potenzial von etwa einer Million
Stimmberechtigten kontrolliert.
Deshalb hatte ihn Karsai vor seinem Wahlsieg 2010 auch schon aus der Türkei
zurückgeholt. Die Kontrolle über „seine Usbeken“ verdankt Dostum dem
Schrecken, den Untaten wie die gegen Ischtschi hervorrufen, aber vor allem
massiven Menschenrechtsverletzungen, die ihm als Chef einer irregulären
Eingreiftruppe unter der prosowjetischen Regierung in den 1980er Jahren
vorgeworfen werden. Nur sein Schwenk zu den antisowjetischen Mudschahedin
bewahrt ihn vor gerichtlicher Verfolgung.
Auch nachdem Ghani Dostum während seiner Kandidatur zwang, sich öffentlich
für die Untaten während des Bürgerkriegs zu entschuldigen, änderte der sein
Verhalten nicht. Mitte letzten Jahres warf die Menschenrechtsorganisation
Human Rights Watch ihm Übergriffe gegen die paschtunische Minderheit in
Nordafghanistan vor. Dostum hatte dort persönlich Anti-Taliban-Operationen
befehligt.
Ghani beschränkte sich darauf, Dostum im Februar nahezulegen, nicht mehr
„ins Büro“ zu gehen – ein inoffizieller Hausarrest. So verstand Dostum d…
auch. Er mobilisierte seine Bewaffneten, was in Kabul Angst vor
Straßenkämpfen oder einem Putsch hervorrief.
Generalstaatsanwalt Farid Hamidi erklärte am Freitag, dass mit Dostums
Abreise seine Akte nicht geschlossen sei. Im Klartext: Sie kann jederzeit
hervorgeholt werden, falls Dostum beabsichtigte, gegen Ghanis Willen nach
Afghanistan zurückzukehren. Für die nächste Präsidentenwahl 2019 muss Ghani
einen neuen Führer der Usbeken aufbauen, sonst könnte diese Wählerbank
bröckeln.
22 May 2017
## AUTOREN
Thomas Ruttig
## TAGS
Schwerpunkt Afghanistan
Aschraf Ghani
Schwerpunkt Afghanistan
Taliban
Afghanistankrieg
Schwerpunkt Afghanistan
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