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# taz.de -- Korruption in Brasilien: Mit Geld und Gefälligkeiten
> Die Regierung versinkt in einem Mix aus Korruption und Erpressung. Ohne
> Rücksicht auf Wähler setzt die Rechte ihre neoliberale Agenda durch.
Bild: Die Politik ist korrupt, die Bevölkerung leidet unter den Kürzungen
RIO DE JANEIRO taz | Neue Enthüllungen im Korruptionsskandal setzen
Brasiliens Präsidenten Michel Temer mächtig unter Druck. Laut einem
Zeitungsbericht ist er an der Zahlung von Schweigegeld an den ehemaligen
Parlamentspräsidenten Eduardo Cunha beteiligt. [1][In einem geheimen
Audiomitschnitt], den ein Kronzeuge am Mittwoch dem obersten Gericht
übergab, wird Temer über regelmäßige Zahlungen an Cunha informiert und sagt
dazu: „Sorge dafür, dass dies so bleibt.“
Temers Parteifreund Cunha, der wegen Korruptionsverbrechen zu einer langen
Haftstrafe verurteilt wurde, war als Parlamentspräsident maßgeblich an der
Einleitung des Amtsenthebungsverfahrens gegen die ehemalige Präsidentin
Dilma Rousseff beteiligt.
Auch der Vorsitzende von Temers Koalitionspartner PSDB, Aécio Neves, wurde
dabei ertappt, wie er umgerechnet 580.000 Euro Schmiergeld von einem
Manager des Fleischkonzerns JBS erbittet. Da die Polizei von den Taten
vorab informiert war, konnte sie sogar die Geldübergabe filmen und den
Eingang des Geldes auf dem Konto nachverfolgen. Die neuen Enthüllungen
schwächen die Regierung bei ihrem Versuch, ein umstrittenes Sparpaket auf
den Weg zu bringen.
Gewerkschaften und soziale Bewegungen laufen Sturm gegen die Reformen von
Arbeitsrecht und Rentensystem. Nach einem Generalstreik Ende April rufen
die Gewerkschaften jetzt zur „Besetzung von Brasilia“ auf. „Die geplanten
Einschnitte sind sehr unpopulär. Deswegen beteiligten sich Millionen am
Streik und Hunderttausende an den Demonstrationen“, erklärt
Politikwissenschaftler Luis Felipe Miguel.
## Offene Bestechung
Temer setzt bei der Durchsetzung der Sparpolitik auf den konservativen
Kongress, in dem die Regierungskoalition eine breite Mehrheit hat. „Die
Parlamentarier werden mit politischen Gefälligkeiten und Finanzgeschenken
umgarnt, um für die Reformen zu stimmen“, sagt Miguel.
Um den Großbauern entgegenzukommen, stellte Temer Umweltauflagen und
Indigenenrechte in Frage. Per Dekret lockerte er die Waffengesetze, um die
Unterstützung der Bleilobby zu sichern. Mit Steuergeschenken macht er sich
bei Unternehmern, die über 40 Prozent der Kongresssitze innehaben, beliebt.
„Jeder Abgeordnete macht nun folgende Rechnung auf: Was ist mir wichtiger,
der Groll meiner Wähler bei einer Zustimmung zu den Reformen oder die
Gefälligkeiten der Regierung?“
Bei Wahlen ist die konservative Agenda der Temer-Regierung mit ihren
sozialen Einschnitten stets durchgefallen. Temer selbst kam ohne Urnengang
an die Macht und kündigte bereits an, kein zweites Mandat anzustreben. Die
Rechte wittere nun die Chance, Maßnahmen zu verabschieden, die in Brasilien
spätestens seit 20 Jahren keine Mehrheit haben, analysiert Miguel. „Gerade
weil die Reformen so unpopulär sind, werden sie jetzt so schnell wie
möglich durchgezogen.“
Der Machtkampf dreht sich nicht nur um Sparpolitik. Die Wahl Ende 2018 ist
schon im Visier. Die Rechte hofft auf eine Fortsetzung des neoliberalen
Rollback. Die Linke, die mit der Arbeiterpartei PT von 2002 bis 2016
regierte, will den abrupten Machtwechsel durch die Rechten wieder
rückgängig machen.
Trotz der heftigen Stimmungsmache gegen die PT, die als korrupt
gebrandmarkt und von der Macht verdrängt wurde, ist es Expräsident Lula da
Silva, der in allen Meinungsumfragen deutlich in Führung liegt. „Lula ist
immer noch eine sehr populäre Führungsfigur“, sagt Miguel. „Er wird wegen
seiner erfolgreichen Armutsbekämpfung geachtet. Viele werden ihm erneut
ihre Stimme geben“, analysiert der Politikprofessor. Allerdings bedeuten
diese Umfragewerte keinesfalls, dass es eine breite linke Mehrheit gebe.
„Es geht um Lula als Person, die sich nicht in eine Mobilisierung auf den
Straßen übersetzen lässt.“
Noch ist völlig unklar, ob Lula kandidieren darf. Im riesigen
Korruptionsskandal um den Ölkonzern Petrobras steht auch der ehemalige
Gewerkschafter vor Gericht und würde bei einer Verurteilung in zweiter
Instanz das passive Wahlrecht verlieren. „Trotz fehlender Beweise setzen
die Korruptionsermittler alles daran, Lula und die PT zu schwächen“, sagt
Miguel.
19 May 2017
## LINKS
[1] /Korruptionsskandal-um-Petrobras/!5410594
## AUTOREN
Andreas Behn
## TAGS
Brasilien
Michel Temer
Schwerpunkt Korruption
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Odebrecht
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