| # taz.de -- Kolumne Eier: Gleichberechtigte Selbstoptimierung | |
| > Wer im Flieger das Bordmagazin durchblättert, zahlt dafür mit neuen | |
| > Sorgen. Es wird der Grundverdacht verstärkt, nicht gut genug auszusehen. | |
| Bild: Frauen sind dieser ewigen Defizitsuche durch Werbung seit Jahrzehnten aus… | |
| Flugangst ist definitiv nichts für Männer, und so lasse ich meine nervösen | |
| Finger durch das Bordmagazin blättern, um das fürchterliche Gewackel über | |
| Berlin auszublenden. Eigentlich sollte ich meine Hände sanft auf die Knie | |
| legen, mich zurücklehnen und tief durchatmen. Aber das würde den anderen | |
| Fahrgästen so passen, mitzubekommen, dass ich progressive Muskelentspannung | |
| brauche, um mich davon abzulenken, dass die Tragflächen wobbeln wie eine | |
| Unterhose auf der Wäscheleine. Flugangst ist definitiv nichts für Männer. | |
| Also bemühe ich mich, nonchalant in dem Gratismagazin zu stöbern – und | |
| bleibe auf einer Anzeigenseite hängen. Für 23 Euro gibt’s einen Holzkamm | |
| und eine Bartbürste „mit echten Wildschweinborsten“. Kurzer Check, ob das | |
| Satire ist, aber nein: „Mit dem WildBoar Pflegeset erstrahlt der Bart und | |
| die Gesichtshaut wird massiert“. Die längste Zeit war Kosmetikwerbung eine | |
| Frauendomäne: Cremes gegen ’s Verschlafen-Aussehen, Bürstchen zum | |
| Wimpern-Verlängern, -Teilen, -Hochbiegen, -Auffächern – in die fünf bis | |
| acht Werbeunterbrechungen im ProSieben-Blockbuster hatten Werber ein ganzes | |
| Universum aus Makeln gestopft, die es zu reparieren galt. | |
| Männer traten erst wieder auf, wenn es um Autos oder Versicherungen ging. | |
| An ihren Körpern war nichts auszusetzen, sie brauchten Wasser und Seife und | |
| allerhöchstens acht flexibel gelagerte und mit Mikrogranulat geschliffene | |
| Rasierklingen. | |
| Blick zurück ins Magazin: „Mit dem BayBlade Rückenrasierer kommst du deinem | |
| Strandkörper einen großen Schritt näher.“ Bitte? Strandkörper? Bei Typen? | |
| Ist das jetzt ein Ding? Ich kann mir das nur so erklären, dass sich die | |
| Creative Directors im Hauptquartier der Körperpflegeindustrie (ich glaube, | |
| das steht in Ludwigshafen) getroffen haben, um zu brainstormen. „Jo, ich | |
| hab’s“, hat dann einer gesagt (er heißt Marvin und ist noch ziemlich neu), | |
| „wir haben doch schon jede Menge Scheiß, den wir Frauen andrehen. Müssen | |
| wir nur in Blau und Graumetallic umspritzen.“ | |
| ## Das Fixiertsein auf angebliche Makel macht alles kaputt | |
| Seitdem werden im ProSieben-Blockbuster auch Pflegecremes für die | |
| besonderen Bedürfnisse von Männerhaut beworben – was auch immer die sein | |
| mögen – und ich denke darüber nach, ob ich vor dem Gang zum Strand noch | |
| meinen Rücken im Spiegel checken sollte. Einerseits klingt das nach | |
| Gleichberechtigung. Aber nicht nach einer, für die man den Champagner | |
| auspacken braucht. Das Fixiertsein auf angebliche körperliche Makel macht | |
| so ziemlich alles kaputt: Selbstwertgefühl, Sex, Strandtage. | |
| Und gegen den Grundverdacht, dass man irgendwie nicht gut genug aussieht, | |
| gibt es keine Produkte. Frauen sind dieser ewigen Defizitsuche durch | |
| Werbung seit Jahrzehnten ausgesetzt. Und ihnen ist leider nicht geholfen, | |
| wenn es jetzt auch Männer betrifft – obgleich es vielleicht für ein | |
| bisschen Genugtuung sorgt. | |
| Jäh wird das Flugzeug von einer Windböe zur Seite und ich mit aller Wucht | |
| auf meinen Sitznachbarn geschleudert. Bis sich die Maschine ausbalanciert | |
| hat, liege ich halb auf ihm, unsere Unterarme berühren sich. | |
| Er hat wahnsinnig weiche Haut. | |
| 14 May 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Weissenburger | |
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