# taz.de -- Feministische Medien in der Türkei: Fernsehen für die Emanzipation | |
> “Brot und Rosen“, ist eine Fernsehsendung, die den Alltag von Frauen und | |
> Arbeiter*innen in den Fokus nimmt. Sie wurde per Notstandsdekret verboten | |
> und ist daher online gegangen. | |
Bild: „Wir sind ein Baum. Unsere Wurzeln und Blätter sind Reporterinnen.“ | |
“Meine Mutter musste, 40 Tage nach meiner Geburt, wieder arbeiten. Die | |
Milch, die ihr aus den Brüsten rann, pumpte sie ab und kippte sie in die | |
Toilette. Sie stöhnt heute noch darüber. Die Situation der Arbeiter*innen | |
habe ich von meiner Mutter und allen Arbeiterinnen aus meiner Familie | |
erfahren. Und als Tochter einer Arbeiterin kenne ich das Leben der | |
Nachkommen der Arbeiter*innen aufgrund meiner eigenen Erfahrungen und der | |
Erfahrungen von anderen Arbeiterkindern gut.“ Sevda Karaca, | |
Programmmacherin und Moderatorin der Sendung “Brot und Rosen“ (türkisch | |
„Ekmek ve Gül“) ist die Tochter von Textilarbeitern aus Adana. | |
“Brot und Rosen“ war eine Sendung des Fernsehsenders “Hayatın Sesi“, e… | |
“Stimme des Lebens“. Immer im Blick waren dabei die Probleme der | |
Arbeiterinnen. Aber nicht nur das: Künstlerinnen und Journalistinnen, kurz: | |
jede Frau, die produzierte, arbeitete und intellektuelle Arbeit | |
verrichtete, hatte einen Platz in der Sendung. Per Notstandsdekret wurde | |
der Kanal nach dem Putschversuch und dem anschließend ausgerufenen | |
Ausnahmezustand, geschlossen. Die geballte Kraft der Frauen von “Brot und | |
Rosen“ beschränkt sich nun auf ein gleichnamiges Webportal. | |
## Keine Sendung, die Frauen verachtet, sondern empowert | |
Karaca, eine der Gründerinnen des Kanals, erklärt, dass sie 2007 mit der | |
Frage: “Welches TV brauchen Arbeiter*innen heute?“ starteten. Die Idee war, | |
in einer Fernsehwelt, die von brasilianischen Fernsehserien, seichten | |
Magazinsendungen und Unterhaltungsshows dominiert war, Sendungen zu planen, | |
die “die Frauen nicht verachteten, in Schubladen steckten und pauschal | |
verurteilten.“ Ihr Anliegen sei es gewesen, die Stimmen der Frauen | |
untereinander zu stärken, und die Verbreitung über den Fernsehsender auch | |
dafür zu nutzen, dass diese sich solidarisieren und organisieren. | |
Die Sendung “Brot und Rosen“ war in der türkischen TV-Geschichte nicht nur | |
eine der ersten Sendungen, die sich explizit auf die Probleme der Frauen | |
und der Produktivität richtete. Während der Vorbereitung zur Sendung traf | |
sich das Team in vielen verschiedenen Gebieten der Türkei mit Hausfrauen, | |
Arbeiterinnen, Lehrerinnen, Aktivistinnen aus der Frauenbewegung, | |
selbständigen Frauen, Schriftstellerinnen und Theatermacherinnen. “Wenn | |
Frauen Interesse an der Geschichte der anderen haben und sich gegenseitig | |
stützen, hat die Sendung bereits ihr Ziel erreicht“ lautet das Credo der | |
Macherinnen. | |
## Originelle Inhalte und eine solidarische Sendepolitik | |
In vielen Fällen gehen die alltäglichen Sendungen für Frauen nicht über | |
Praktisches für die Hausfrau, Hauswirtschaftstipps und Empfehlungen für die | |
Kindererziehung hinaus. “Brot und Rosen“ sieht sich fernab von diesen | |
einschränkenden Rollenbildern und setzte auf die Betonung der originellen | |
Inhalte und einer solidarischen Sendepolitik. Karaca erklärt den Erfolg des | |
Programmsenders so: “ Die Frauen haben durch den Sender die Gelegenheit, in | |
ihrem Kiez, in den Schulen und Arbeitsplätzen das Leben anderer Frauen zu | |
verändern.“ | |
“Brot und Rosen“ sagt Frauen nicht, was sie zu tun haben, sondern führt | |
ihnen vor Augen, was sie bereits geleistet und geschafft haben. Frauen | |
wurden als Expertinnen in vielen Bereichen wie Kultur, Politik, Gesundheit, | |
Bildung und Geschichte als Studiogäste eingeladen, so trug die Sendung auch | |
dazu bei, dass sich Frauen landesweit organisierten und Vereinigungen mit | |
dem gleichnamigen Titel der Sendung gründeten. “Diese Gruppen bemühen sich | |
vielerorts darum, die Probleme von Frauen zu lösen. Dabei engagieren sie | |
sich für unterschiedliche Belange. Manchmal setzten sie sich gegen | |
Gentrifizierung und Bildungsdefizite ein, verfolgen Gewaltverhandlungen, | |
oder organisieren Diskussionen zum Thema Sexismus an Hochschulen“, so | |
Karaca. | |
Nicht Probleme, sondern Erfolgsgeschichten stehen im Fokus | |
Die Solidarität unter Frauen ist von Tag zu Tag gestiegen. Dazu haben | |
Arbeitslosigkeit, die Schließung von Frauenhäusern, Gewalt gegen Frauen und | |
die Straffreiheit für diese Gewalt geführt. Also im Allgemeinen die | |
frauenfeindliche Politik der AKP-Regierung. Auch wenn es im tagesaktuellen | |
Geschehen nicht an Nachrichten aus der Türkei gemangelt hat, ging es in der | |
Sendung auch um globale Frauenthemen. Allerdings wurde nicht nur über | |
Probleme und Verluste berichtet, sondern auch über Erfolgsgeschichten, was | |
den Frauen vor den Bildschirmen Kraft und Inspiration gab. | |
Das Kernteam von „Brot und Rosen“ besteht bis auf wenige Techniker aus | |
Frauen. Das Netzwerk an Bürgerreporterinnen erstreckt sich über die gesamte | |
Türkei. Finanziert wird das Programm mit Spenden und den Einkünften aus | |
Festivitäten, die die Frauen organisieren. | |
“Brot und Rosen“ war vom ersten Tag an auch als Zeitschrift konzipiert. | |
Alle zwei Wochen liegt sie nun der Tageszeitung Evrensel bei und setzt auf | |
die Berichte von Bürgerreporterinnen. Karaca, die die Reportergruppen | |
organisiert, erzählt, dass viele Frauen mit der Handykamera ihres Kindes | |
oder mit dem Computer der Nachbarn ihnen Texte schicken. | |
Denkzettel für das Patriarchat | |
“Wir sind ein riesiger Baum geworden. Unsere Wurzeln und Blätter sind | |
Reporterinnen, die erst mit 50 Jahren die digitale Technik kennenlernten, | |
oder Analphabetinnen, die uns per Tonmitschnitt ihre Nachrichten zukommen | |
lassen, weil sie nicht schreiben können. Überall wo Frauen zusammen kommen, | |
um etwas zu ändern, oder wenn Frauenthemen ohne ihr Zutun besprochen | |
werden, und auch wenn alle anderen Sender geschlossen werden sollten, wird | |
“Brot und Rosen“ Bestand haben“, so Karaca. | |
Der Fernsehsender Hayatin Sesi TV ist nicht das einzige Medium, das Frauen | |
eine Stimme gab und per Notstandsdekret seit dem Putschversuch geschlossen | |
wurde. Es betrifft auch die Nachrichtenagentur Jinha, bei der hauptsächlich | |
Frauen gearbeitet haben. Während letztere ihre Arbeit unter dem Namen Şujîn | |
weiterführt, wurde “Brot und Rosen“ ins Internet verlegt. Unter der | |
Webadresse [1][ekmekvegul.net] werden seit dem 3. April 2017 neue Sendungen | |
produziert. | |
Auch in der Umstellungsphase ins Web sind die Macherinnen von Ort zu Ort | |
gezogen und haben sich mit Frauen ausgetauscht. Bei einem dieser Treffen | |
sagte eine Frau: “Sie drücken mit aller Kraft auf uns, damit wir im Boden | |
versinken und verschwinden. Sollen sie nur. Je mehr sie drücken, desto mehr | |
werden wir uns verteilen. Das wird ihnen schon noch Leid tun.“ | |
1 May 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://ekmekvegul.net/ | |
## AUTOREN | |
Sibel Schick | |
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